VW-Aktie Günstig - aber gefährlich

Die Volkswagen-Aktien wirkt nach den Kursrückschlägen günstig. Anleger, die jetzt auf eine schnelle Erholung spekulieren, könnte die Entscheidung aber teuer zu stehen kommen.

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Die VW-Aktie zuckt nach jedem neuen Detail, das zur Abgaskrise ans Licht kommt. Daran haben nur Zocker Spaß, Anleger sollten VW noch meiden. Quelle: dpa

Martin Winterkorn ist weg. Die Zeichen stehen auf Neuanfang. Frank Schwope, Auto-Analyst bei der NordLB, schätzt die Volkswagen-Aktien deshalb weiter als Kauf ein. „Wir rechnen aktuell mit einer Gegenbewegung zu den Verlusten aus dieser Woche und belassen die Aktie auf Kaufen.“

Diese Gegenbewegung zeigte sich am Donnerstagmorgen bereits. Während Anleger unmittelbar nach dem Rücktritt von Martin Winterkorn verhalten reagierten, und die Aktie weder nach oben noch nach unten schoben, ging es am Morgen danach für die Aktie ins Plus. „Heute ist der Neuanfang glaubwürdiger“, sagt Schwope. Volkswagen gewann bis zum Mittag etwa fünf Prozent.

Dennoch: Auch Schwope senkte am Donnerstag sein Kursziel für VW bereits zum zweiten Mal in dieser Woche, von 155 Euro auf 135 Euro je Aktie. Damit prognostiziert er, wo der Aktienkurs in einem Jahr stehen könnte. Und so überlegen nun auch viele Anleger, ob sie nach den heftigen Rücksetzern bei Volkswagen in dieser Woche eine scheinbar einmalige Einstiegsgelegenheit für den Dax-Konzern wahrnehmen sollen.

Doch so einfach funktioniert es an der Börse nicht, geschädigtes Vertrauen wieder aufzubauen. Aktionäre, die ob der vermeintlich günstigen Einstiegskurse jetzt auf eine schnelle Erholung bei Volkswagen spekulieren, sollten vorsichtig sein. Auch wenn ein für 2015 geschätztes Kursgewinn-Verhältnis von 4,9 für den Dax-Konzern verlockend klingt.

Wer jetzt bei VW einsteigt, spekuliert. Jede Einschätzung zu zukünftigen Erträgen ist verfrüht, das Ausmaß der Krise nicht abzuschätzen. Das Vertrauen in die gesamte Automobilbranche ist erschüttert. Als an diesem Donnerstag bekannt wurde, dass bei einem Test eines BMW X3 auch höhere Abgaswerte gemessen wurden, als nach Euro-6-Grenzwerten zulässig sind, ging es für die BMW-Aktie sechs Prozent ins Minus. Dabei gibt es bislang überhaupt keine Anzeichen auf bewusste Manipulation, wie im Falle VW. Und sogar Daimler, die bislang überhaupt nicht mit möglichen Grenzwert-Überschreitungen in Verbindung gebracht wurden, musste ein Minus der Aktie von fünf Prozent hinnehmen. Derzeit führt jede kleinste Nachricht zu heftigen Kursausschlägen bei allen Automobilwerten.

Börse nimmt Autobauer in VW-Sippenhaft

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Auch erneut bei Volkswagen. Der Konzern hatte am Donnerstagmittag der von Verkehrsminister Alexander Dobrindt eingesetzten Untersuchungskommission mitgeteilt, dass auch in Europa manipulierte Software zur Steuerung der Abgaswerte zum Einsatz kam. Das hätte jedem Investor schon Anfang der Woche klar sein müssen, als VW in seiner Adhoc-Mitteilung erklärte, weltweit seien elf Millionen Fahrzeuge betroffen. Anleger reagierten auf die neue Meldung dennoch nervös: Nach dem Kursanstieg als Folge des Winterkorn-Rücktritts fiel die Aktie am Mittag wieder deutlich nach unten, konnte gerade noch ein Prozent Plus gegenüber dem Vortag verteidigen.

Dabei bahnte sich im Sommer an, worauf Volkswagen bereits lange hinarbeitet: größter Autohersteller weltweit noch vor Toyota zu sein. In diesem Jahr hätte es soweit sein können. VW verkaufte mit 5,04 Millionen Autos im ersten Halbjahr 200.000 Autos mehr als Toyota. Der Traum aus dem ersten Halbjahr scheint nun ausgeträumt. „Die Zielsetzung, Weltmarktführer zu werden, war ohnehin nur ein Marketingziel. Davon kann sich der Konzern nun aber verabschieden. VW steckt in einer massiven Krise.“

Unkalkulierbare Gewinneinbußen

Bislang ist bekannt, dass VW im dritten Quartal 6,5 Milliarden Euro zurückstellen will, um für Schadenszahlungen gewappnet zu sein. „Die bereits zurückgestellten 6,5 Milliarden sind zu wenig", sagt Frank Schwope. Für Nachbesserungen an den Autos, vielleicht sogar Rücknahme einiger Fahrzeuge und Strafzahlungen sollte man mit einer breiten Spanne rechnen, ein Kapitalmarktexperte rechnet sogar mit einem dreistelligen Milliardenbetrag. „Insgesamt müsste VW wohl über zehn Milliarden Euro dafür veranschlagen", schätzt Schwope. Zwar hielt Volkswagen im ersten Halbjahr 2015 Barreserven von rund 17,5 Milliarden Euro ohne Wertpapieranlagen. Die könnten so aber schnell aufgezehrt werden.

Anzeichen von Schwäche im ersten Halbjahr

Und abgesehen von der Abgas-Krise lief es für Volkswagen ohnehin nur mäßig, die Absatzzahlen auf den wichtigsten Märkten weltweit schwächelten im ersten Halbjahr 2015: in China setzten die Wolfsburger vier Prozent weniger Pkw ab als im gleichen Zeitraum 2014; in Brasilien gingen die Verkaufszahlen um ein Viertel zurück und das Wachstum in den USA enttäuschte mit nur zwei Prozent. Einzig auf dem westeuropäischen Markt stimmten die um sechs Prozent gestiegenen Verkaufszahlen ein wenig optimistisch. Unter Strich blieben die Gewinne für das erste Halbjahr aber knapp ein Prozent unter denen des Vorjahres, auch wenn VW seinen Umsatz um zehn Prozent auf 108,7 Milliarden steigern konnte.

Schwope schätzt, dass auch die Umsätze und Gewinne im kommenden Jahr unter dem Vertrauensverlust in die Marke Volkswagen leiden werden. Wie stark genau, mag er noch nicht berechnen. „Man kann mit Prognosen im Moment nur falsch liegen.“

Selbst Volkswagen schreibt in seiner Adhoc-Mitteilung: „Aufgrund der laufenden Untersuchungen unterliegt der angenommene Betrag [von 6,5 Milliarden Euro] Einschätzungsrisiken. Die Ergebnisziele des Konzerns für das Jahr 2015 werden dementsprechend angepasst.“ So dürfte spätestens die Veröffentlichung der Zahlen für das dritte Quartal am 28. Oktober den nächsten Rücksetzer im Kurs geben, wenn Volkswagen offenbart, wie massiv es den Einfluss von Nachbesserungen und Schadenszahlungen auf seine Gewinne in diesem Jahr einschätzt. Erst dann können Anleger ungefähr abschätzen, wie es mit dem VW-Konzern weitergehen könnte.

Aufarbeiten wird Volkswagen den Skandal in diesem Jahr aber wohl nicht mehr vollständig. „Die Krise wird zwei bis drei Jahre dauern“, schätzt Analyst Schwope. „In den USA aufgrund der Sammelklagen wohl noch ein bisschen länger.“

Wer also langfristig an den deutschen Autobauer glaubt, dürfte noch einige Gelegenheiten bekommen, zu attraktiven Kursen einzusteigen. So lassen sich unberechenbare Rückschläge vermeiden, die momentan noch jede Stunde nach neuen Details zur Krise drohen.

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