Wahl in Großbritannien Rally oder Ausverkauf?

Wie wird der Ausgang der britischen Parlamentswahl die Märkte beeinflussen? Experten haben verschiedene Szenarien je nach Ergebnis entwickelt. Klar ist: Das Schlimmste blenden die Anleger offenbar aus.

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Eine Reihe von Sparschweinen in den Farben der britischen Nationalflagge stehen in einem Londoner Souvenir-Shop. Der Ausgaben der Wahl in Großbritannien wird von den Börsianern mit Spannung erwartet. Quelle: Reuters

Die britischen Konservativen sind nicht mehr, was sie einmal waren. So könnte man die Erkenntnisse von Analysten nach Durchsicht des Wahlprogramms der Tories auf den Punkt bringen. Zwar gelten sie immer noch als unternehmerfreundlicher als die Labour Party von Jeremy Corbyn, jedoch hat Premierministerin Theresa May dem Manifest einen populistischen Touch verliehen und Obergrenzen für die Energiekosten, strengere Prüfung von Firmenübernahmen und Managervergütungen und vor allem einen Austritt aus dem EU-Binnenmarkt versprochen.

„Da May offenbar stärker in den Markt eingreifen wird als ihre konservativen Vorgänger, erwarten wir, dass Fondsmanager zunehmend auf das Kleingedruckte in den Wahlversprechen des Tory-Programms achten werden“, sagte David Docherty, Fondsmanager bei Schroders in London.

Nach den Terroranschlägen von London und Manchester hat sich der Fokus vom Brexit auf das Thema Sicherheit verlagert. Eine Reihe von Fehltritten Mays haben ihren Vorsprung bei den Umfragen verringert. Zwar haben die Konservativen in den Umfragen noch immer die Nase vorn, aber Labour-Partei verringerte den Abstand am heutigen Mittwoch weiter. 

So lagen die Tories nach der letzten YouGov-Umfrage mit 42 Prozent der Stimmen nur noch vier Punkte vor Labour mit 38 Prozent. Laut einer Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Opinium hat Mays Partei mit 43 Prozent immerhin sieben Prozentpunkte Vorsprung. Bei dem Wettbewerber ICM betrug der Abstand zwischen den Parteien zuletzt ganze elf Punkte mit 45 Prozent für die Konservativen und 34 Prozent für Labour. Labour hatte Anfang Mai zeitweise unter der 30-Prozent-Marke gelegen.

Doch welche Aktien würden unter einem Sieg der Tories an Wert verlieren? Zum einen wären das Versorger-Titel. Sowohl Corbyn als auch May haben sich auf die Energiekosten eingeschossen. Das Versprechen der Konservativen, die Stromrechnungen der Privathaushalte zu deckeln, hatte den Versorgern einen Schlag versetzt; sie erholten sich jedoch, als im Wahlprogramm der Tories wenig Neues zu dem Thema zu finden war.

Unter den Aktien der sechs großen Energieversorger hatten die von Centrica nach den anfänglichen Kursverlusten am wenigsten aufgeholt und sich schwächer entwickelt als der britische Markt. Ihr Gewinn werde unter den Auswirkungen der Regulierung am stärksten leiden, glaubt Goldman Sachs. Die deutsche Innogy, Mutter des britischen Versorgers Npower, dürfte aufgrund der vorgeschlagenen Deckelung die Insel verlassen, erwarten die Analysten der Deutschen Bank.


Das schlimmste Szenario

Zudem steht der gesamten Bereich der Unternehmens-Übernahme (Mergers & Acquisitions, M&A) vor einer Neubewertung. Eine Regierung May fordert eine strengere Prüfung von Übernahmen, nationale Infrastrukturbranchen sollen geschützt werden. „Das könnte die M&A-Aktivität abwürgen, gerade zu einer Zeit, wo in Großbritannien gelistete Firmen wegen der Wechselkursentwicklung attraktiver werden“, schrieben Strategen von Bank of America Merrill Lynch um Tommy Ricketts in einer Analyse vom 27. April.

Außerdem im Blickpunkt: Das Pfund, das im Fall eines Erdrutschsiegs der Tories aufwerten dürfte. Seit der Ankündigung der Neuwahlen hat die Währung etwa drei Prozent zugelegt, in Spekulation darauf, dass eine starke Mehrheit für die Regierungspartei Großbritannien helfen wird – sie soll einen guten Brexit-Übergangsdeal aushandeln und stärker EU-feindliche Tory-Mitglieder aufs Abstellgleis stellen. Ein stärkeres Pfund schwächt die Export-Wettbewerbsfähigkeit und drückt die in Pfund gerechneten Gewinne aus dem Außenhandel. Als die Führung Mays in den Umfragen schrumpfte, fiel das Pfund auf ein Sechs-Wochen-Tief.

Dennoch: Auch wenn das Pfund zuletzt an das Wahlglück von May gekoppelt war, ist nicht klar, ob eine Partei, die sich für einen harten Brexit einsetzt, langfristig unbedingt gut für die britische Wirtschaft und den Wechselkurs sein wird. Die inverse Beziehung zwischen dem Pfund und dem exportlastigen FTSE 100 hat sich zudem in letzter Zeit etwas abgeschwächt. „Da der Ausgang der Wahl, insbesondere nach dem jüngsten Anschlag, mit hoher Unsicherheit behaftet ist, raten wir Pfund-Investoren zur Vorsicht“, betonen die Analysten der Bayern LB.

„Wenn May die Mehrheit nicht deutlich ausbauen kann, vergrößert sich ihr Verhandlungsspielraum nicht“, sagt George Saravelos, Anlagestratege der Deutschen Bank. „Eine starke konservative Mehrheit ist außerdem nur eine notwendige, keine hinreichende Bedingung für einen reibungslosen Brexit.“

Bereits jetzt sei die Mehrheit der Regierungspartei so gering wie zuletzt Mitte der 1970er-Jahre, betont Investment-Manager Jaisal Pastakia vom Vermögensverwalter Heartwood. „Eine interne Parteirevolte wäre eine unwillkommene Ablenkung, die oft zu Verzögerungen und peinlichen Kehrtwenden führt.“ Devisenstrategin Kathleen Brooks vom Brokerhaus Gain Capital sieht die Gefahr eines größeren Ausverkaufs und einen Sturz des Pfund auf 1,20 Dollar.

Eine realistische Chance der Labour-Partei auf einen Wahlsieg gibt es laut Börsianern nicht. Sollte es dennoch so kommen, könnte das Pfund kräftig zulegen. „Hat Labour einen schlaueren Brexit-Plan?“, fragt Commerzbank-Analystin Thu Lan Nguyen. „Ich bin nicht sicher, aber es würde zumindest ein sanfterer Brexit.“ Unter einem „Soft Brexit“ verstehen Börsianer einen Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union, bei dem das Königreich den Zugang zum Binnenmarkt behält. Die Experten der Investmentbank Nomura schließen bei einer Labour-geführten Regierung nicht aus, dass Großbritannien doch nicht aus der EU aussteigt.

Das schlimmste Szenario: Keine Partei erreicht eine Mehrheit. „Dieses Restrisiko blenden die Anleger bislang aus, deswegen würde das die größten Verwerfungen nach sich ziehen“, erklärt Gain-Expertin Brooks. Britische Aktien und das Pfund gingen dann wohl auf Talfahrt.


Die Profiteure eines Erfolgs der Konservativen

Bekomme May nicht die von ihr angepeilte Mehrheit, würde das als ihr persönliches Scheitern ausgelegt, sagt Analyst Neil Wilson vom Brokerhaus ETX Capital. „Das wäre das Horrorszenario für May.“ Brexit-Hardliner wie Außenminister Boris Johnson bekämen dadurch Oberwasser.

Analyst Paul Meggyesi von der US-Großbank JP Morgan sieht aber auch bei einem Wahlergebnis ohne absolute Mehrheit für eine Partei Chancen für eine Pfund-Rally. „Man kann argumentieren, dass eine Mitte-Links-Koalition einen sanfteren Brexit bringt oder die Aussicht darauf.“

Ein eindeutiger Sieg der Konservativen dürfte der britischen Währung Auftrieb geben. „Je größer die Mehrheit, desto selbstbewusster kann May auftreten und desto besser ist ihre Position bei den Brexit-Verhandlungen“, betont HSH-Experte de la Rubia. Strategin Brooks rechnet dann mit einem Sprung des Pfund über 1,30 Dollar und Rekordständen des Londoner Aktienindex FTSE.

Zusätzlich Schub könnte das Pfund bekommen, sollten die Tories in schottischen Wahlkreisen Sitze hinzugewinnen. „Dies würde eine Abspaltung Schottlands unwahrscheinlicher machen“, prognostiziert de la Rubia. Das dortige Regionalparlament stimmte im März für ein erneutes Unabhängigkeitsreferendum. 2014 hatten sich die Schotten mit knapper Mehrheit für einen Verbleib im Vereinigten Königreich ausgesprochen.

Und welche Aktien könnten von einem Erfolg der Tories profitieren?  Er wäre ein gutes Ergebnis für  die Rüstungsindustrie, und vor allem für stärker von Großbritannien abhängige Unternehmen wie BAE Systems oder QinetiQ , sagte Sandy Morris, Analyst bei Jefferies. Unterstützung für den Bau neuer Kriegsschiffe könnte zudem Chancen für Babcock bedeuten.

Zwar ist der Wohnungsbau parteiübergreifend ein wichtiges Thema, jedoch würden politische Stabilität und anhaltende Infrastrukturinvestitionen dem Bausektor zusätzlichen Schub verleihen, sagte Robert Chantry, Analyst bei Berenberg Bank.

Unternehmensdienstleister wie Hays oder Pagegroup würden von der Neigung der Tories profitieren, Funktionen outzusourcen, erwartet die Deutsche Bank. Inlandsfokussierte Einzelhändler wie Marks & Spencer oder Tesco dürften vom Tories-Plan zur Senkung der Unternehmenssteuern, einer stärkeren Währung und niedrigerer Inflation profitieren, schrieb Deutsche Bank.

Natürlich ist der Brexit weiterhin das dominierende Thema bei britischen Aktien. Ein Triumph der Tories würde zwar politische Stabilität und einen langen Übergangsdeal mit der EU bringen, jedoch wäre die höhere Wahrscheinlichkeit eines Austritts aus dem Binnenmarkt längerfristig mit Belastungen verbunden, meinte Morgan Stanley.

„Das verringerte Risiko eines disruptiven Brexit, gepaart mit stärkerer politischer Stabilität, dürfte die Märkte anfangs unterstützen“, schrieb Stratege Andrew Sheets. „Doch je stärker die konservative Mehrheit ist, umso höher ist das Risiko eines harten Brexit, was das Wachstums noch stärker dämpfen könnte.“


Die Börsen-Erfolge der Premierminster

Der Fondsanbieter M&G hat die Entwicklung des britischen Aktienmarktes während der Regierungszeit aller Premierminister seit den 1970er-Jahren untersucht und unter Berücksichtigung der Inflation verglichen. Im Schnitt hat der FTSE All-Share Index in dieser Zeit um 6,1 Prozent pro Jahr zugelegt – doch die Unterschiede zwischen den einzelnen Regierungsphasen sind enorm.

An der Spitze des Rankings steht die amtierende Premierministerin Theresa May, allerdings unter Vorbehalt. Seit ihrem Amtsantritt im Juli 2016 stieg der britische Aktienindex FTSE All-Share zwar um stattliche 18,1 Prozent. Mit diesem außergewöhnlichen Börsenboom während ihrer bisher nur kurzen Regierungszeit muss May aber wohl außer Konkurrenz zu ihren Vorgängern gewertet werden.

Der auf längere Sicht für Aktienanleger erfolgreichste britische Premierminister war John Major. Nach Abzug der Inflation erreichten Aktieninvestoren während Majors siebenjähriger Amtszeit in der Downing Street ab 1990 jährlich 13,7 Prozent. Nicht einmal der abrupte Ausstieg der Briten aus dem europäischen Wechselkursmechanismus am „Schwarzen Mittwoch“ 1992 konnte diese stabile Wertentwicklung aufhalten.

Unter Margaret Thatcher von 1979 bis 1990 erzielten Anleger dagegen inflationsbereinigt lediglich 9,1 Prozent pro Jahr. Die höchsten Aktienmarktverluste mussten sie unter dem Labour-Premier Harold Wilson hinnehmen, der von 1974 bis 1976 regierte. Bei der damaligen Inflationsrate von über 20 Prozent jährlich waren am Aktienmarkt real nur minus 6,9 Prozent per annum möglich.

„Nicht nur in Großbritannien entwickeln sich die Märkte unregelmäßig. Politische Unsicherheiten und das mediale Stimmengewirr rund um die Wahlen können Einstiegsgelegenheiten für Anleger schaffen“, sagt Juan Nevado, Fondsmanager des M&G Dynamic Allocation Fund. „Wichtig ist allerdings, sich nicht von jeder Wendung und jeder Meinung ablenken zu lassen. Die Performance eines Investments lässt sich erst über einen Mehrjahreszeitraum sinnvoll beurteilen.“

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