Wenig Risikobereitschaft Schlechte Zeiten für Börsengänge

Die Zeit für Börsengänge in Deutschland war wohl noch nie so schlecht. Weil die Investoren kaum noch Risikobereitschaft zeigen, müssen immer mehr Unternehmen ihre Börsenpläne aufschieben oder ganz abblasen.

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Die Versicherungsgruppe Talanx plant seit 1997 ihren Börsengang - und schob die Pläne erst gerade erneut auf. Quelle: dpa

Frankfurt Der Chemiekonzern Evonik, die Siemens-Tochter Osram - und jetzt auch noch der Versicherer Talanx und die Autozulieferer-Sparte des Rüstungskonzerns Rheinmetall. Die Liste abgesagter Börsengänge wird immer länger. An den Finanzmärkten werden Neuemissionen kaum noch Chancen eingeräumt.

Historisch betrachtet ist die Serie der Absagen in diesem Jahr einzigartig in Deutschland. Den letzten ganz großen Rückzug hatte es vor Jahren gegeben, als der Teilprivatisierung der Deutschen Bahn eine Absage erteilt wurde. Der Börsengang der Logistik-Tochter DB Mobility Logistics war seinerzeit wegen der sich zuspitzenden Finanzkrise abgeblasen worden. In diesem Jahr hingegen sind bereits vier Neuemissionen mit einem geschätzten Wert von mindestens einer Milliarde Euro aufgeschoben worden.

Besonders bitter erwischte es dabei Talanx. Das Unternehmen, zu dem neben Marken wie HDI und HDI-Gerling auch die Mehrheit am Rückversicherer Hannover Rück gehört, hatte seine Börsenpläne erst vor einer Woche konkretisiert und mit Eiltempo vorangetrieben - nur um dann in letzter Minute den seit 1997 immer wieder in Aussicht gestellten Sprung aufs Parkett abzublasen.

Als Grund für den überraschenden Rückzug nannte Vorstandschef Herbert Haas die tatsächliche Risikobereitschaft der Investoren, die man falsch eingeschätzt habe. In einem Interview mit dem „Handelsblatt“ schob er dafür den Banken die Schuld in die Schuhe. Sein Unternehmen habe keine überzogenen Forderungen gehabt, und dennoch hätten die Preisvorstellungen noch mehr als zehn Prozent auseinander gelegen, sagte Haas der Zeitung.

„Der Prozess eines Börsengangs ist langwierig und beinhaltet so seine Risiken für die Investoren“, sagte Marktanalyst Robert Halver von der Baader Bank mit Blick auf die jüngsten Börsen-Pleiten. Bei der Zeichnung der Aktien müssten diese vorab abschätzen, ob es bis zum Tag der tatsächlichen Erstnotiz erneute Störfeuer geben wird. „Dies treibt die verlangten Abschläge nach oben und erschwert so das Finden eines vernünftigen Preises“, sagte der Experte. Es sei schade, dass Börsengänge derzeit wegen der konjunkturellen Unsicherheiten und dem Dauerthema Schuldenkrise nicht möglich sind. „Sie sind schließlich der eigentliche Zweck des Kapitalmarktes.“


Facebook-Debakel trübt Gesamteindruck

Offensichtlich hilft es dabei auch nicht, dass sich die Aktienmärkte zeitgleich auf alte Höchststände zubewegen: Der deutsche Leitindex Dax notiert trotz aller Probleme in der Eurozone nur noch knapp 10 Prozent unter seinem Rekordhoch. Beim weltweit bekanntesten Kursbarometer in New York, dem Dow Jones, fehlen trotz der in den USA nach wie vor unsicheren Konjunkturlage nicht einmal mehr fünf Prozent. Während sich Anleger am Sekundärmarkt bei bereits gelisteten Aktien üppig bedienen, zeigen sie sich bei Neuemissionen also weniger risikobereit.

Mit Blick auf bereits absolvierte Börsengänge in diesem Jahr wird klar: Der internationale Gesamteindruck ist negativ und vor allem vom Debakel bei Facebook getrübt, dessen Börsenkurs sich zwischenzeitlich mehr als halbierte. Allerdings gibt es auch positive Ausnahmen: Aktien des Restaurantführers Yelp notieren derzeit in New York über dem Ausgabepreis, aber auch jene des Schweizer Handelskonzerns DKSH und des niederländischen Kabelnetzbetreibers Ziggo.

Umso gespannter dürften die internationalen Investoren nun auf eine Börsen-Rückkehr in Tokio blicken. Dort wird für Mitte September das Comeback der Fluggesellschaft Japan Airlines erwartet. Bei den Japanern waren genug Investoren dazu bereit, die Aktien am oberen Ende der Preisspanne zu zeichnen. Mit einem erwarteten Börsenwert von umgerechnet 6,7 Milliarden Euro wäre dies nach Facebook der global größte Börsengang des Jahres.

Während in London der Autoversicherer Direct Line in den Startlöchern steht, sind hierzulande vorerst einmal keine konkreten Börsenpläne geplant. Im Raum stehen lediglich vage Überlegungen: Aus jüngsten Aussagen von Bertelsmann folgerten Beobachter, dass der größte europäische Medienkonzern vielleicht einige Teilbereiche an die Börsen bringen könnte.

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