Wirecard und die Rechtslage Keine Angst vor Leerverkäufern

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Negative Finanzanalyse ist per se keine Insiderinformation

Das Insiderhandelsverbot stellt dabei grundsätzlich keine Hürde dar.

Denn Analysen und Bewertungen, die auf öffentlich verfügbaren Informationen beruhen, sind keine Insiderinformation.

Der Begriff der Insiderinformation ist gesetzlich definiert. Kernelement ist, dass die Information nicht öffentlich bekannt, aber präzise und geeignet ist, bei Bekanntwerden erhebliches Kurspotential zu entfalten. 

Analysen und Bewertungen, die aufgrund öffentlich verfügbarer Informationen erstellt wurden, können daher per se nicht als Insiderinformation angesehen werden. Die bloße Tatsache, dass Börsengeschäfte auf der Grundlage derartiger Analysen und Bewertungen vollzogen werden, kann daher nicht als eine (rechtswidrige) „Ausnutzung einer Insiderinformation“ angesehen werden.

Ob der Umstand des Erscheinens der Finanzanalyse selbst ein Insiderumstand sein kann, ist rechtlich unklar. Derartiges dürfte etwa ausnahmsweise dann gelten, wenn eine (negative) Finanzanalyse zur Veröffentlichung ansteht, die im Range und in der Qualität einer Rating-Entscheidung (einer Rating-Abwertung) gleichkommt.

Das ist bei Analysen, die von Leerverkäufern veröffentlicht werden, aber in der Regel nicht der Fall.

Selbst wenn etwa ein Whistleblower einzelne Tatsachenelemente, die (noch) nicht öffentlich bekannt sind, dem Urheber der Finanzanalyse zur Kenntnis gibt – und in der Finanzanalyse diese noch geheime Information verwertet wird, dürfte dies regelmäßig (noch) nicht den Finanzbericht derart infizieren, dass dadurch selbst eine Insiderinformation geschaffen wird. Wenn und solange eine einzelne - etwa durch einen Whistleblower - mitgeteilte Information selbst noch keine Insidertatsache darstellt, dürfte auch das „Gesamtwerk“ der (vollständigen) Finanzanalyse (noch) nicht zu einer Insiderinformation erstarken können. Die Rechtslage ist insoweit aber ungeklärt.

Scalping als Fall der Marktmanipulation

Schwieriger ist die Frage zu beurteilen, ob ein Leerverkäufer, mit seiner Analyse eine Marktmanipulation begeht.

Hier gilt zunächst der Spezialfall des sogenannten Scalping. Ein Scalping liegt vor, wenn eine Analyse veröffentlicht wird, und dabei der Eindruck entsteht, dass diese objektiv und frei von wirtschaftlichem Eigeninteresse ist. Erfolgt die Analyse zu dem Zweck, eine negative Kursentwicklung herbeizuführen und damit die Erzielung von Gewinnen aus der Leerverkaufsposition zu ermöglichen, so muss dies offengelegt werden. In der Praxis geschieht dies durch eine entsprechend hinreichend deutliche Offenlegung des Interessenkonfliktes („Disclaimer“).

Ist ein solcher „Disclaimer“ vorhanden, fehlt es an einem Scalping.

Weitere Anforderungen an die Finanzanalyse

Bei Finanzanalysen sind zudem weitere Anforderungen und Grenzen zu beachten. Eine Marktmanipulation kann nämlich auch durch Veröffentlichung einer bewusst unrichtigen Finanzanalyse erfolgen.

Eine Analyse darf keine offensichtlich unwahren Informationen enthalten und auch keine Bewertung, die offenkundig unvertretbar sind.  Hier gilt der Maßstab, dass die Informationen, die in der Analyse enthalten sind, zutreffend sein müssen und die enthaltenen Wertungen (insbesondere eine negative Bewertung des Werts des Unternehmens) im Verhältnis zum derzeitigen Aktienkurs zumindest nachvollziehbar und plausibel sein müssen. Auf diese Mindeststandards ist naturgemäß sorgfältig zu achten. 

Praktische Auswirkungen

Die dargestellten Regularien sind sinnvoll, um eine missbräuchliche Verwendung der Instrumente „Leerverkauf“ und „Finanzanalyse“ zu beschränken. Sie schränken auch die Möglichkeit, die Erkenntnis negativer Umstände bei einer Gesellschaft zu Geld zu machen, nicht unverhältnismäßig ein. Denn wenn eine negative Finanzanalyse „ins Schwarze trifft“, wird sie auch dann die entsprechenden Wirkungen zeigen, wenn sie Interessenkonflikte offenlegt.

Anders formuliert: Ein Unternehmen mit einem soliden Geschäftsmodell muss vor negativen Bewertungen, zumindest vor solchen, die den geltenden Qualitätsanforderungen genügen, keine Angst haben. Negativ betroffen von Analysen sind oftmals solche Unternehmen, bei denen in der Tat eine zu hohe Bewertung vorliegt und deren Geschäftsmodell das sprichwörtliche Kartenhaus ist, das durch eine Analyse, bei der der Interessenkonflikt auch noch offengelegt wird, leicht zu erschüttern ist.

Auf jeden Fall gilt: Der Leerverkauf stellt selbst im Vorfeld negativer Finanzanalysen kein per se rechtswidriges Verhalten dar. Der Kapitalmarkt, sowohl der einzelne Kapitalanleger als auch alle theoretisch betroffenen Emittenten, haben sich darauf einzustellen. Schließlich ist es nicht so, dass dem Kursgewinn des Leerverkäufers ein „Geruch des Illegalen“ anhaftet.

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