Zentralbanken So groß ist die Vorhersagekraft von Zinsen für die Börse

EZB & Fed: So groß ist die Vorhersagekraft von Zinsen wirklich Quelle: imago images

Viele Marktbeobachter hängen an den Lippen der Präsidenten der EZB und Fed. Akribisch werden die Sitzungsprotokolle studiert, um Hinweise auf künftige Zinsentscheidungen zu erhalten. Aber ist das wirklich hilfreich?

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Als die EZB im März 2016 den Leitzins auf Null setzte, gab es einen Sturm der Entrüstung: Sparer würden um ihre Erträge gebracht und mit diesem wahnwitzigen Vorgehen werde der Weg für das nächste Desaster an den Finanzmärkten bereitet.

Aber wie groß ist der Einfluss der Zinsen auf die Entwicklungen an den Börsen wirklich? Die Mehrheit der Anleger und Investoren weiß, dass die Zinsen eine zentrale Rolle für die Wirtschaft und an den Finanzmärkten spielen. Aber unter den Akteuren besteht keinesfalls Einigkeit darüber, wie deren Entwicklung und demzufolge ihr Einfluss zu bewerten ist.

Wie beurteilen Sie also die Zinsen, um die korrekten Anlageentscheidungen für sich zu treffen?

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Sind höhere Zinsen besser für die Aktienmärkte?

Während das Zinsniveau gemessen etwa an den Renditen langlaufender zehnjähriger Staatsanleihen der großen Wirtschaftsnationen wie den USA, Deutschland, Großbritannien oder auch Japan seit der Jahrtausendwende kontinuierlich gesunken ist, kam es global zu zwei besonders schweren Krisen (2000 und 2008) am Aktienmarkt sowie Rezessionen; nicht nur in den USA. Dass zwischenzeitlich in Japan, Deutschland und der Schweiz die Renditen von Staatsanleihen und die kurzfristigen Geldmarktzinsen sogar in den negativen Bereich abrutschten, führte ebenfalls zu großer Verunsicherung. Pensionskassen etwa hatten große Probleme, ausreichende Zins-Erträge zu erwirtschaften, um ihren künftigen Verpflichtungen nachkommen zu können.

Infolge dessen wurden in den letzten Jahren die Anhebungen der Leitzinsen durch die US-Fed von vielen Marktteilnehmern als eine Rückkehr zur Normalität und vielfach mit Erleichterung aufgenommen. Die EZB hingegen, die bis heute den Leitzins unverändert belassen hat, wird für ihre Zinspolitik gescholten. Aber sind höhere Zinsen wirklich besser für die Märkte?

Ein gewichtiges Argument, das dafür spricht, ist die Stärkung der Kaufkraft von Sparern. Diese ermöglicht einen höheren Konsum, denn der hilft die Wirtschaft anzukurbeln.

Was der Blick zurück zeigt

Blicken Sie mit mir kurz zurück: Anfang der Achtzigerjahre erreichten die Renditen sowohl langlaufender Staatsanleihen als auch die Zinsen kurzfristiger Geldmarktsätze teilweise zweistellige Werte. Ein aus heutiger Sicht fast unvorstellbar hohes Niveau.

Auf dem Gipfel rentierten zehnjährige US-Staatsanleihen bei fast 16 Prozent und auch zehnjährige Deutsche Bundesanleihen standen im September 1981 mit rund 11 Prozent dem kaum nach. Anfang Juni 1981 hatte die US-Notenbank die Leitzinsen (Fed Funds Rate) zudem auf ein bis heute einmaliges und historisches Rekordhoch von 19,1 Prozent angehoben.
Bereits 1980 war die US-Wirtschaft in einen konjunkturellen Abschwung geraten und rutschte nun innerhalb kurzer Zeit zum zweiten Mal in eine Rezession. Mit deren Hereinbrechen fielen die Aktienkurse zweistellig: der Dow Jones stürzte 1981 von kurz zuvor erreichten über 1000 Punkten um fast 23 Prozent bis August 1982 auf 777 Punkte.

Historisch gesehen lässt sich somit nicht sagen, dass nur dieses oder nur jenes Zinsniveau schädlich war.

Der Zusammenhang zwischen Aktien und Zinsen

Unabhängig vom Zinsniveau galt in der Vergangenheit: In einer Rezession oder in einem Wirtschaftsabschwung senken die Notenbanken die Leitzinsen und auch die langfristigen Zinsen fallen meist analog. Sinkende Zinsen erleichtern Investitionen und helfen mit, den Motor der Wirtschaft in Schwung zu bringen. Darauf reagieren die Aktienmärkte sehr früh, teilweise sogar Monate, bevor sich dies in Konjunkturdaten widerspiegelt.

Mit dem Beginn eines Wirtschaftsaufschwungs (und insbesondere nach Rezessionen) steigen die Anleihe-Zinsen und Aktienkurse eine ganze Zeit parallel. Und wenn es konjunkturell besser läuft, erhöhen auch die Notenbanken irgendwann die Leitzinsen.

Aber: Auf Dauer werden höhere Zinsen zu einem Belastungsfaktor für die Wirtschaft. Wobei es weniger um die absolute Höhe der Zinsen, als vielmehr um die Veränderung von Relationen geht. Klettern die Zinsen von beispielsweise drei auf sechs Prozent, so entspricht dies relativ gesehen einem Zinsanstieg von 1,5 auf drei Prozent. In beiden Fällen verdoppeln sich die Kapitalkosten für Investitionen.

Nun müssen Zinsen sich nicht unbedingt verdoppeln, damit von ihnen eine Gefahr ausgeht. Denn trotz teilweise gravierender Unterschiede im jeweiligen Zinsniveau wurde es in der Vergangenheit bereits dann gefährlich, wenn die langfristigen Zinsen (beispielsweise gemessen an den Renditen der zehnjährigen Staatsanleihen) weltweit gesehen und etwa über ein Jahr hinweg stiegen.

Doch wie beeinflussen steigende Zinsen den Aktienmarkt überhaupt?

Was Sie aus Zinsentscheidungen für Ihre Geldanlage ableiten können

Ein steigender Zins ist an mehreren Stellen gefährlich: Er erhöht zunächst die Kapitalkosten und reduziert so die Gewinnmargen. Elementar ist zudem, dass künftige Gewinne, die ja den Wert eines Unternehmens wesentlich beeinflussen, mit entsprechend größeren Zinsabschlägen diskontiert werden. Das bedeutet: steigende Zinsen beeinflussen den Unternehmenswert und damit den Aktienkurs negativ. Und zwar besonders dann, wenn die Gewinne des Unternehmens stagnieren oder gar rückläufig sind.

So etwas dürfen Anleger dann zunächst als ein Warnsignal für die Börse ansehen. Sie sollten das aber auch nicht isoliert betrachten, denn es gibt an der Börse keinen Einzelindikator, der immer die richtigen Signale gibt.

Die Börse ist in dieser Hinsicht wie ein kleiner See – lange Zeit geht alles gut, aber am nächsten Tag kippt plötzlich das Wasser. Dafür ist nie eine einzelne Ursache (wie eine Zinserhebung) allein verantwortlich, sondern es kommen vorher immer mehrere Belastungsfaktoren zusammen. Bis schließlich die Risiken überhandnehmen.

Deshalb können Sie die Monokausalität „Wenn die Zinsen so oder so steigen, dann gibt es einen Börsen-Crash“ nicht als Richtlinie für Ihre Anlageentscheidungen ansehen. 

Worauf Sie noch achten sollten

Hinweise auf eine künftige geplante Erhöhung der Leitzinsen sind für Anlageentscheidungen irreführend. Selbst die jeweiligen Chefs der US-Fed oder der EZB wissen nicht, was in den nächsten sechs Monaten passieren wird und wie sie dann tatsächlich die Zinsen steuern werden. Sie können immer nur die aktuelle Situation beurteilen und dementsprechend werden sie auch entscheiden.

Hierbei spielen ebenfalls Zins-Relationen eine wichtige Rolle. Mit den Leitzinsen bekunden die Notenbanken, wie sie im Wesentlichen die kurzfristigen Zinsen beeinflussen. Besonders gut ist dies an der Entwicklung der kurzfristigen Geldmarktzinsen (Tagesgeld und Festgeld von ein bis zwölf Monaten) zu erkennen. Liegen die kurzfristigen Zinsen über den Renditen langfristiger Anleihen (inverse = negative Zinsstruktur) bedeutet dies, dass eine Notenbank (so wie aktuell die US-Fed) die Geldpolitik tatsächlich verschärft.

Denn eine negative (inverse) Zinsstruktur wird, ähnlich wie insgesamt steigende Zinsen, mit der Zeit zu einem weiteren Belastungsfaktor an den Finanzmärkten, weil sie zunächst einmal die Möglichkeiten der Kreditvergabe von Banken einschränkt.

Achtung: Inverse Zinsstruktur

Im Durchschnitt betrug die Dauer einer inversen Zinsstruktur vor Beginn einer Rezession und damit auch vor heftigen Kurseinbrüchen am Aktienmarkt in den letzten 50 Jahren sowohl in den USA als auch beispielsweise in Deutschland gut 23 Monate. Im Minimum dauerte diese Phase zehn Monate. Vor der Finanzkrise von 2008 war die Zinsstruktur in den USA seit 2005 und damit über gut 28 Monate hinweg negativ, für Deutschland hingegen wurde die Zinsstruktur erst im Sommer 2007 negativ.

Aber ob es jetzt zehn, 23 oder mehr Monate werden, kann niemand vorhersagen. Das ist auch nicht erforderlich. Denn es reicht völlig, die Gefahrenfaktoren, die sich unter anderem aus der bisherigen Entwicklung der Zinsen ergeben, zu erkennen und aufzusummieren. Dann erhalten Sie für die Börse wichtige Indizien zum ein- oder aussteigen.

Aktuelle Situation und Ausblick

Die Kapitalmärkte bieten selten ein einheitliches Bild. Lassen Sie sich dabei nicht durch eine verharmlosende Interpretation von Äußerungen des US-Notenbankchefs oder Analysen der Sitzungsprotokolle des FOMC (Federal Open Market Committee) ablenken oder gar auf die falsche Spur locken.

Einem signifikanten Zinsanstieg in den USA bei gleichzeitig gut laufender US-Konjunktur steht eine weiterhin müde Zinsentwicklung in Deutschland und Japan gegenüber. Noch sind die Zins-Signale schwach. Die US-Notenbank führt aber schon Bremsmanöver durch, indem sie seit ein paar Wochen die kurzfristigen Zinsen über die langfristigen hebt, die für die USA zur erwähnten inversen, also negativen Zinsstruktur führten. In der Euro-Zone, allen voran in Deutschland, ist die Zinsstruktur jedoch noch immer positiv.

Aber so wie nicht jede konjunkturelle Abkühlung gleich in eine Rezession führt, gibt es auch an der Börse Schwächephasen, die zwar nicht direkt in eine schwere Baisse münden, in denen aber doch die Kurse der meisten Aktien empfindlicher reagieren. Dies verdeutlicht das hektische Auf- und Ab an den Finanzmärkten, sowie die traditionell eher starken Wintermonate wie der November und der Dezember, die nicht nur an der Weltleitbörse, der Wall Street, bisher schwach verlaufen sind.

Die Zeichen für 2019 sind momentan durchaus auf Hausse gerichtet, es geht also insgesamt mit der Börse nach oben. Schonen Sie aber im Moment noch Ihr Kapital etwas und halten Sie genügend Cash-Reserven für Aktienkäufe in den kommenden Monaten.

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