Lange Zeit sah es so aus, als würde Australien vergleichsweise gut durch die Coronakrise kommen. Der fünfte Kontinent schottete sich ab, unter anderem rigorose Einreisebeschränkungen und strikte Maßnahmen im Falle einzelner Erkrankungen konnten das Infektionsgeschehen eine Zeit lang unter Kontrolle halten. In der Folge kamen die Australier in den Genuss von Freiheiten, von denen in dieser Zeit die Bewohner anderer Länder nur träumen konnten. Noch Anfang dieses Jahres bis in den Frühsommer (nach dem europäischen Kalender) war Australien in Sachen Pandemie so etwas wie eine Oase der Glückseligkeit, gerade auch in ökonomischer Hinsicht: Im Juni deuteten Australiens Wirtschaftsdaten nach einem starken ersten Quartal sogar auf einen Aufschwung hin, das Bruttoinlandsprodukt lag bereits wieder über dem Vorkrisenniveau.
Dann folgte das böse Erwachen: Corona kam wie ein Bumerang zurück, das Virus setzte sich letztendlich doch durch. Die aggressive Delta-Variante und die Angst vor einer rasanten Ausbreitung der Krankheit sorgten dafür, dass Australien nicht nur die internationalen Grenzen geschlossen hielt, sondern zudem auch im Inneren dichtmachte: mit einem Lockdown, der das soziale und kulturelle Leben der Australier förmlich lahmlegte und auch die Wirtschaft hart traf. Der also in allen Belangen auf die Stimmung drückte.
Vergangene Woche nun folgte aber die Rückkehr zur guten Laune: New South Wales beendete als erster australischer Bundesstaat den Corona-Lockdown. In der Metropole Sydney konnten die Menschen erstmals nach 108 Tagen, also nach mehr als 15 Wochen, wieder einen Hauch von normalem Leben genießen. Und mit diesem Lockerungsschritt keimt die Hoffnung auf, dass die Wirtschaft wieder auf den Wachstumspfad zurückehren könnte.
Dass das Land die Pandemie hinter sich lassen und seine Ökonomie an die Zeit vor der Krise anknüpfen kann, dürfte man sich auch an der australischen Börse erhoffen. Nachholbedarf hat sie in jedem Fall. Auf den ersten Blick und auf kürzere Sicht liegt der australische Leitindex S&P/ASX 200 zwar nur marginal hinter dem Dax: Vergleicht man den australischen Leitindex mit dem Kursindex des Dax – das bietet sich an, da der S&P/ASX ebenfalls ein Kursindex ist –, und zieht dazu das Tief zum Höhepunkt der zweiten Corona-Welle Ende Oktober des vergangenen Jahres an, liegt der australische Index nur rund fünf Prozent hinter dem Dax-Kursindex. Interessant wird aber das große Bild – und dazu bietet sich ein Blick weiter zurück an. So hatte Australien immerhin vor der Corona-Zeit 30 Jahre lang ununterbrochen sein jährliches BIP gesteigert – ein Rekord unter den Volkswirtschaften der Welt. Diese aufgrund ihrer Nachhaltigkeit beachtliche Leistung spiegelt sich auch in der langfristigen Performance des S&P/ASX 200 wider: Während der Dax nur minimal über dem Niveau der Kurse zu Zeiten des Dotcom-Booms im Frühjahr notiert, liegt der australische Index aktuell um ein Zweieinhalbfaches höher als seine damalige Notierung. Der S&P/ASX 200 entwickelt sich unter normalen Umständen also deutlich besser als sein deutsches Pendant – findet er wieder in die Spur, dürfte er wesentlich mehr gutmachen als nur fünf Prozent.
Dass der S&P/ASX 200 seine langfristige Outperformance wieder erreicht, ist aber natürlich kein Selbstläufer. Voraussetzung dafür ist, dass die Impfkampagne, die bislang auf dem Kontinent eher schleppend verläuft – bislang ist gerade einmal etwas mehr als die Hälfe der Bevölkerung vollständig geimpft –, deutlich an Fahrt gewinnt. Zudem müssen auch die politischen Rahmenbedingungen stimmen. Zuletzt wurden die Anleger vom U-Boot-Streit zwischen Frankreich und der Allianz aus den USA, Großbritannien und Australien verunsichert. Denn von China, dem diese Initiative tatsächlich gilt, hängt die australische Wirtschaft in erheblichem Maße ab: China ist der größte Abnehmer australischer Rohstoffe wie Eisenerz, Erdöl, Gas und Gold – ist das Riesenreich verstimmt und drosselt die Nachfrage, bekommt das Australiens Wirtschaft unmittelbar zu spüren.
Die gegenseitige Abhängigkeit von Australien und China dürfte allerdings die Hauptmotivation für beide sein, Meinungsverschiedenheiten nicht eskalieren zu lassen. Zu sehr benötigt die Volksrepublik mit ihren anderthalb Milliarden Einwohnern die Rohstoffe des Nachbarn, auf der anderen Seite würde Australien mit einem Zwist mit dem größten Abnehmer seinen Export belasten. Das schließt nicht aus, dass beide Staaten immer mal wieder aneinandergeraten können. Aber am Ende des Tages dürften sich beide Seiten darauf besinnen, was sie am Anderen haben: einen notwendigen Geschäftspartner.
Wer sich dieses Risikos bewusst ist, kann ein Engagement in einen ETF auf den S&P/ASX 200 durchaus in Erwägung ziehen. Sozusagen als Depotbeimischung vom anderen Ende der Welt.
Mehr zum Thema: Der Bitcoin nähert sich seinem alten Rekordhoch – das lässt die Kurse von unbekannten Mini-Coins wie Shiba Inu und Co. explodieren. Worauf Anleger dabei achten müssen.