Zschabers Börsenblick
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Hauptsache gut versichert

Die steigenden Zinsen rücken die Versicherungsbranche in den Fokus. Unternehmen und ihre Kunden freuen sich über höhere Einnahmen, Anleger sollten die guten Aussichten für Versicherungsaktien nutzen. Eine Kolumne.

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Mal Hand aufs Herz, wie gut sind Sie versichert? Zu viel, zu wenig? Das ist wahrscheinlich eine sehr individuelle Frage. Allgemein gelten aber insbesondere die Deutschen mit über 460 Millionen aktuell laufenden Versicherungsverträgen – das sind pro erwachsene Person rein rechnerisch knapp sieben Policen – eher als überversichert.

Doch das ist so nicht ganz richtig. Denn nur allzu oft werden bestehende Versicherungsverträge nicht an neue Bedingungen angepasst. So steigt der Wert eines Hauses etwa aufgrund von Renovierungsarbeiten, die einmal festgelegte Versicherungssumme bleibt aber über Jahrzehnte konstant. Im Schadensfall droht dann eine Lücke zwischen dem, was die Versicherung zahlt und dem Wiederherstellungswert für das Haus. Das nennt man unterversichert. Also: Obwohl der Deutsche allgemein im Ruf steht, zu viele Versicherungen zu haben, umgangssprachlich nennt man das dann oft „überversichert“, sind viele dennoch möglicherweise eher unterversichert.

Nun, das mit den Versicherungen ist nicht immer ganz einfach. Daher wächst der Wunsch der Versicherungskunden nach Zusatzleistungen. Und das muss deutlich mehr sein als ein freundliches „Hallo Herr Kaiser“. Das Digitalzeitalter ist für die Versicherungsbranche eine Herausforderung und eine Chance zugleich.

Herausforderung, weil die Konkurrenz schlichtweg zunimmt. Selbst Amazon ist in das Versicherungsgeschäft eingestiegen. Noch tritt der Online-Versandhausgigant nur als Makler auf und bietet Policen von bekannten Versicherungsunternehmen an, doch daraus könnte eines Tages mehr werden, sagen Beobachter. Chance, weil hochwertige qualitative Angebote durchaus von der Kundschaft geschätzt und gerne auch bezahlt werden.

Gebührenpflichtige Zusatzleistungen sind am Versicherungsmarkt ein Trend, das zeigen aktuelle Erhebungen etwa aus Großbritannien. Dort bieten Versicherungen Hausbesitzern kostenpflichtige Dienstleistungen an, mit denen etwa Wasserschäden vorhergesagt und somit vermieden werden können. Hilfe bei der Vorsorge, bei der Reparatur von Schäden, bei der Wiederbeschaffung und der Katastrophenplanung – die Versicherungskonzerne verlassen damit ihren traditionellen Geschäftsbereich der reinen finanziellen Absicherung.

Hinzu kommt, dass die Grenzen zwischen Versicherer einerseits und Banken andererseits zusehends verwischt. Mittlerweile bieten auch Versicherungsunternehmen etwa Festgeldkonten an, werben mit durchaus attraktiven Zinsen für neue Kundengelder.

Apropos Zinsen: Die laufenden Zinserhöhungen durch die Notenbanken kommen natürlich auch den Versicherungsgesellschaften zugute. Das eingesammelte Geld kann schlichtweg zu besseren Konditionen angelegt werden. Letztendlich profitiert davon auch die Kundschaft. Insbesondere jene, die Lebensversicherungen abgeschlossen haben, können sich mittelfristig wohl über eine höhere Überschussbeteiligung freuen.

Aber auch die Versicherungsgesellschaften selbst profitieren von den steigenden Zinsen. Ihnen wird es in Zukunft wieder einfacher fallen, die vorgegebene Solvenzquote zu erfüllen. Die Solvenzquote gibt an, ob ein Versicherungsunternehmen genug Eigenmittel hat, um etwa eine Wirtschaftskrise zu bewältigen. Was den Banken ihr Stresstest ist, ist bei den Versicherungen die Solvenzquote. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) verlangt einen Wert von mindestens 100 Prozent. Bereits Ende des Jahres 2021 lag die für die BaFin relevante Quote der auf dem deutschen Markt tätigen Lebensversicherer bei über 480 Prozent. Da ist also genügend Puffer für schwere Zeiten vorhanden.

All das macht die Aktien der Versicherungskonzerne auch für den Börsianer interessant. Ohnehin könnten diese zu den Favoriten im laufenden Jahr gehören. Allein unter bewertungstechnischen Aspekten spricht vieles für Versicherungspapiere. Die im STOXX Europe 600 Insurance gelisteten Versicherungsunternehmen etwa weisen im Schnitt eine Dividendenrendite von über fünf Prozent auf. Beim Kurs-Gewinn-Verhältnis, dem KGV, das gut für eine Ersteinschätzung taugt und den Gewinn eines Unternehmens in Bezug zu seinem Börsenwert setzt, liegen die meisten Versicherungskonzerne entweder im einstelligen oder nur knapp im zweistelligen Bereich. Die Allianz etwa kommt für das laufende Jahr auf ein aktuelles KGV von 9, und das bei einer Dividendenrendite von 5,5 Prozent. Ähnlich die Bewertung bei Axa. Der auch hierzulande vielen bekannte französische Versicherer weist eine Dividendenrendite von derzeit über 6 Prozent und ein KGV von etwas über 8 auf. Für interessierte Anleger könnte sich daher womöglich ein ETF auf den STOXX Europe 600 Insurance lohnen.

Also alles prima? Vielleicht nicht ganz. Denn auch die Versicherungsbranche hat so ihre spezifischen Risiken. Da ist zum einen ein enormer Konkurrenz- und daraus resultierender Konsolidierungsdruck. Gab es zu Beginn der 1990er-Jahre laut dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) noch weit über 700 Versicherungsunternehmen, die unter deutscher Aufsicht standen, sind es heute nur noch rund 500 Gesellschaften. Und da ist zum anderen das gestiegene Risiko insbesondere durch Naturkatastrophen – der Klimawandel lässt grüßen. Auch hier werden sich die Versicherer was ausdenken müssen, um die Gefahren zu beherrschen – und zu finanzieren. Das heutige Vorgehen, in Risikogebieten einfach nur die Prämien ins Unermessliche zu steigern, ist gesellschaftlich nicht tragfähig.

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Bleibt zum Schluss die Frage, ist der Deutsche wirklich überversichert? Im internationalen Vergleich trifft das auf jeden Fall nicht zu. Mit knapp 2700 Euro Versicherungsbeitrag pro Kopf pro Jahr liegt Deutschland laut dem GDV eher im Mittelfeld. Der Durchschnittsfranzose zahlt rund 3000 Euro im Jahr für seine Policen, Briten und Schweden sogar fast 4000 Euro. Typisch deutsch ist „Versicherung“ also nicht.

Bitte beachten Sie den Haftungsausschluss.

Lesen Sie auch: Vorsorge: Welche Versicherung brauche ich wann (nicht mehr)

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