Zschabers Börsenblick
Quelle: REUTERS

Raus in die Natur – rein in Aktien

Wer vor einem Jahr laut über Aktienengagements in Wohnmobilunternehmen nachgedacht hätte, wäre zumindest schräg angeschaut worden. Im Jahr 2020 sind diese Gedanken durchaus gesellschaftsfähig. Wenn nicht sogar notwendig.

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Dass sich die Zeiten im Zuge von Corona geändert haben, lässt sich im Alltag an vielem festmachen: Mundschutz im Supermarkt, vereinzelte leere Tische in üblicherweise gefragten Restaurants – oder aber abgesagte oder nur unter umfangreichen Beschränkungen stattfindende öffentliche Veranstaltungen. Wenn etwa in diesen Tagen der Düsseldorfer Caravan Salon, das nach eigenem Bekunden international größte Event für die Caravaning- und Camping-Branche, seine Tore öffnet, dürfte Covid-19 überdurchschnittlich starke Zuschauerströme verhindern. Wohl auch deshalb, weil die Zahl derer, die sich pro Tag in den Messehallen aufhalten, auf 20.000 Personen beschränkt ist. Ironischerweise hat die Pandemie eben dieser Branche aber auch einen Run beschert, der sie auf Jahre zu etwas machen dürfte, wovon es nicht allzu viele gibt: einem Krisengewinner.

Was für viele Jahre als verstaubte, längst aus der Zeit gefallene Art des Reisens galt und mitunter immer noch gilt, hat in den vergangenen Monaten eine wahre Renaissance erfahren: der Urlaub mit dem Wohnwagen oder dem Reisemobil. So zumindest muss es einem angesichts der zunehmenden Stimmen derer vorkommen, die diesen Tourismus plötzlich für sich entdeckt haben. Und daher werden wohl auch die Zahlen des Jahres 2020 in einigen Monaten für Zufriedenheit bei den Branchenvertretern sorgen – so wie Corona den Trend hin zu Digitalisierung beschleunigt hat, vermag die Krise wohl auch in die andere Richtung zu wirken, beim Trend hin zu Entschleunigung und Natur.

Bemerkenswert ist aber eigentlich, dass diese Industrie schon in den Jahren vor Corona auf zunehmendes Interesse gestoßen war: Von 2004 bis 2019 war die Anzahl der Übernachtungen von Gästen auf deutschen Campingplätzen nach Zahlen des Datenanbieters Statista um knapp zwei Drittel auf knapp 36 Millionen gestiegen. Im Jahr 2018 wurden allein in Deutschland insgesamt rund 4,4 Milliarden Euro mit Campingausrüstung umgesetzt; der größte Erlös entfiel mit rund 3,2 Milliarden auf Ausgaben der Touristikcamper mit Reisemobil. Angesichts der Diskussionen über Umweltverträglichkeit und Sinnhaftigkeit von Langstreckenflügen sowie Kreuzfahrtschiffen waren Reisen mit dem Wohnwagen in der öffentlichen Wahrnehmung aber wohl offenbar eher in der Nische angesiedelt.


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Von Nische kann allerdings angesichts der Größe der Branchenanbieter gerade auf internationaler Ebene keine Rede sein. Thor Industries etwa ist mit einer Börsenbewertung von rund 5,3 Milliarden US-Dollar der Weltmarktführer im Bereich der Wohnmobil- und Wohnwagenhersteller und dürfte dem einen oder anderen durch die Übernahme des deutschen Anbieters Hymer vor rund anderthalb Jahren ein Begriff sein. Auch wenn sich die Thor-Aktie seit ihrem Coronabedingten Jahrestief im Kurs bereits wieder in etwa verdreifacht hat, ist für sie zumindest optisch noch Luft nach oben – Ende 2017 stand das Thor-Papier schon einmal um rund 50 Prozent höher als derzeit.

Camping World, ebenfalls aus den USA, bringt in etwa halb so viel auf die Börsenwaage wie Thor; seine Notierung ist allerdings deutlich volatiler – gegenüber ihrem Tief aus dem Frühjahr hat sie sich sogar schon verzehnfacht.

Auch in Europa gibt es börsennotierte Anbieter, darunter Trigano. Das Unternehmen aus Paris ist so etwas wie ein Mischkonzern in diesem Bereich, immerhin bietet es neben
Wohnmobilen verschiedener Marken auch ein umfangreiches Spektrum an Campingzubehör an. Trigano wird im CAC Mid 26 gelistet, dem nach dem CAC 40 und dem CAC Next 20 drittwichtigsten Index Frankreichs. Die Marktkapitalisierung – gut zwei Milliarden Euro – würde der Aktie auch zu einer Zugehörigkeit im MDAX gereichen.

Man sieht, dass die Camping-Branche eine Vielfalt bietet, die jedem Börsianer ein Investment mit der notwendigen Streuung ermöglicht. Und auch wenn sie bei Freunden digitaler Geschäftsmodelle als Old Economy par excellence verpönt sein dürfte: Die neue Fangemeinde, die Camping- und Wohnwagen-Urlaub im Jahr 2020 gewonnen hat, dürfte nachwirken, selbst wenn – was natürlich zu hoffen ist – Corona in den nächsten Jahren nicht mehr eine so entscheidende Rolle spielen wird wie in diesem Jahr.

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