Zschabers Börsenblick
Quelle: AP

Siemens & GE: Wenn Konkurrenten plötzlich gleich groß sind

Lange Zeit musste sich Siemens mit General Electric vergleichen lassen. Doch der einstige US-amerikanische Dauerrivale ist längst nur noch ein Schatten vergangener Tage. Welches der beiden Unternehmen an der Börse im Vorteil ist.

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Der Tod von Jack Welch in der vergangenen Woche stellte eine Zäsur dar. Mit Welch trat eine Ikone der US-Wirtschaft von der Bühne. Der frühere CEO des US-Mischkonzerns General Electric (GE), der dort schon im Jahr 1960 als Chemieingenieur angeheuert hatte, gehörte zu den Managern, die eine gesamte Ära prägen: Effizienz und Kostenreduktion als oberste Direktiven, die mitunter einhergingen mit drastischen Personalkürzungen, brachten Welch zwar das Image des eisenharten Unternehmenslenkers ein. Auf der anderen Seite machte er aber GE, dessen Historie auf der Erfindung der Glühbirne durch Thomas Edison basierte, zum Sinnbild der Stärke der US-Industrie.

Sein Einfluss ließ sich auch beziffern: Als Welch GE im Jahr 2001 verließ, stand der Aktienkurs viermal so hoch wie jetzt. Im Jahr 2000 war GE mit einem Börsenwert von mehr als einer halben Billion US-Dollar sogar das teuerste Unternehmen der Welt gewesen – vier Jahre, bevor Google an die Börse ging und Facebook gegründet wurde.

Seine Nachfolger bei GE konnten an Welchs Erfolge nicht heranreichen. Im Gegenteil: Das Finanzgeschäft des Konglomerats aus Boston wurde auf Kosten des operativen Geschäfts ausgebaut, in der Folge litten Innovations- und letztendlich auch Ertragskraft. Der mehr oder weniger schleichende Niedergang mündete in einem denkwürdigen Ereignis: Mitte 2018 flog Gründungsmitglied GE nach gut 110 Jahren Zugehörigkeit aus dem renommierten Dow Jones Index hinaus. Heute liegt der GE-Börsenwert bei rund 95 Milliarden Dollar, umgerechnet ungefähr 85 Milliarden Euro. Zugute kann man der GE-Aktie derzeit eigentlich nur halten, dass deren Kursverlauf sich zumindest in den vergangenen vier Monaten nicht wesentlich schlechter als der S&P entwickelt hat.

Wie sehr der Stern von GE gesunken ist, lässt sich auch an Siemens festmachen. Früher wurden die Münchener immer an GE gemessen, heute zieht kaum einer mehr diese Parallele. Zwar liegt Siemens in punkto Marktkapitalisierung mit knapp 80 Milliarden Euro immer noch knapp hinter GE, doch im Dax sind nur SAP und Linde signifikant größer als Siemens. Überhaupt hat der süddeutsche Mischkonzern mit seinem Fokus auf Elektronik, Hard- und Software das wesentlich innovativere Portfolio als GE. Dass Siemens ein Global Player von Relevanz ist, verdeutlicht zudem die jüngste Konfrontation mit Fridays for Future, die unter PR-Aspekten schon fast einem Ritterschlag gleichkommt – schließlich adressieren die Aktivisten in erster Linie die Großen.

Natürlich kann sich auch die Siemens-Aktie nicht einiger Störfeuer entziehen. Die Zukunft von Joe Kaeser, dessen Vertrag als CEO Anfang nächsten Jahres ausläuft, bestimmt die Frage nach der künftigen Ausrichtung und natürlich ist auch Siemens von den Bedenken der Börsianer rund um das Corona-Virus betroffen, die den internationalen Lieferketten des Konzerns geschuldet sind.

Dennoch: Grundsätzlich sprechen die Zahlen eher für Siemens denn für GE: Siemens weist zwar auf Basis der Schätzungen für 2020 ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von 14 auf – hier ist GE mit einem KGV von 6 deutlich günstiger. Doch der höhere Preis, den die Börse Siemens beimisst, ist auch begründet: Während der Durchschnitt der Analysten bei Siemens ein kontinuierliches Wachstum erwartet, in dessen Rahmen die Münchener im Jahr 2023 einen jährlichen Umsatz von 99,3 Milliarden Euro erreichen – nach 86,9 Milliarden Euro im jüngsten Geschäftsjahr -, ist die Prognose für GE eher verhalten: Für das Jahr 2019 rechnen Analysten mit einem Umsatz von 95,2 Milliarden Dollar, im Jahr 2021 soll er bei nur noch 93,9 Milliarden Dollar liegen.

Ein weiterer Pluspunkt von Siemens: Beim Dax-Konzern beträgt die Dividendenrendite rund vier Prozent, die Ausschüttung von GE bewegt sich bei gerade einmal einem Zehntel davon. Nun ist das Thema Dividende zwar in der Regel auch nichts, auf das US-Unternehmen enorm viel Wert legen würden. Doch für den langfristig orientierten Investor ist dies durchaus ein mitentscheidender, wenn nicht sogar der ausschlaggebende Faktor.

Für ein bisschen Kursfantasie sorgt auch eine Maßnahme aus dem strategischen Bereich: Die Ausgliederung der Gas- und Energiesparte, die 2021 als Siemens Energy an die Börse gehen soll, schafft eine Fokussierung, die das Unternehmen Siemens weg vom allzu umfassenden Mischkonzern bewegen könnte. Denn auch wenn man womöglich in München schon lange nicht mehr in Richtung GE schaut – wenn man eines vom ehemals großen Wettbewerber gelernt haben dürfte, dann, dass es sinnvoll ist, sich seiner operativen Stärken zu besinnen.

Bitte beachten Sie den Haftungsausschluss.

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