Zschabers Börsenblick
Tech-Unternehmen wie Amazon haben während der Pandemie Stellen aufgebaut – und müssen sich nun an den Wachstumsrückgang anpassen. Quelle: REUTERS

Warum die Börse trotz Massenentlassungen auf eine Erholung der Techbranche setzt

Berichte über Entlassungen im Silicon Valley machen die Runde. Einige Beobachter befürchten eine Krise in der Branche. Andere setzen auf eine Konsolidierung und darauf, dass es ohne Technologie nicht geht. Eine Kolumne.

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Im Silicon Valley geht die Angst um, die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Schätzungen zufolge sollen in den zurückliegenden Monaten über 60.000 Menschen ihren Job in der Tech-Schmiede südlich von San Francisco verloren haben. Allein Alphabet alias Google soll demnach rund 12.000 Mitarbeitende entlassen und Online-Handelsriese Amazon etwa 18.000 Menschen vor die Tür gesetzt haben. Jobs abgebaut hat auch Microsoft, hier sollen es rund 10.000 Angestellte gewesen sein. Die Liste lässt sich nahezu beliebig fortsetzen – und sie hört nicht an den Grenzen des Silicon Valleys auf.

Landesweit, zwischen Ost- und Westküste, zwischen kanadischer und mexikanischer Grenze, soll die Tech-Branche seit Ende 2021 rund 350.000 Arbeitsplätze abgebaut haben. Das hört sich nach viel an, ist es auch – setzt man die Zahlen aber in einen etwas größeren Kontext, relativieren sie sich. Insgesamt arbeiten in den USA rund zehn Millionen Menschen im Technologiebereich. Die Entlassungen in den zurückliegenden Monaten entsprechen also einem Anteil von „nur“ rund 3,5 Prozent.

Zudem werden auch immer wieder neue Jobs geschaffen. Einer Anfang 2023 vorgestellten Umfrage zufolge haben rund 79 Prozent der Entlassenen innerhalb von drei Monaten einen neuen Arbeitsplatz gefunden. Denn der Jobmotor in den USA brummt, trotz Zinserhöhung und weltweiter Konjunkturabkühlung. So wurden allein im Januar über 500.000 neue Jobs geschaffen. Die Arbeitslosenquote fiel auf 3,4 Prozent – und liegt damit so niedrig wie seit 50 Jahren nicht mehr.

Das Umfeld hat sich verändert

Von richtiger Krisenstimmung kann im Silicon Valley also keine Rede sein. Eher scheint es sich um eine Art Konsolidierung zu handeln. Denn es fällt auf, dass insbesondere bei den Unternehmen Arbeitsplätze verloren gehen, die im Vorfeld auch extrem viele neue Mitarbeiter eingestellt hatten. Amazon ist dafür ein gutes Beispiel. In den zurückliegenden Jahren ist der Onlineversandhändler rasant gewachsen. Die Corona-Krise hat da nochmal wie ein Beschleuniger fungiert. Von 2019 bis 2021 hat sich der Mitarbeiterstab von Amazon verdoppelt, von weltweit 800.000 Angestellten ging es hoch auf 1,6 Millionen.

Ein Tempo, das so auf Dauer kaum durchzuhalten ist, erst recht dann nicht, wenn sich die Umstände ändern.

Mit dem Abflachen der Coronapandemie hat sich zumindest beim täglichen Einkauf die Situation entspannt. Auch wenn viele Menschen nach wie vor im Internet bestellen, der ein oder andere geht dann doch auch gerne mal wieder ins Shoppingcenter. Das bekommt Amazon zu spüren. Der Umsatz wächst, aber eben nicht mehr ganz so kräftig wie in den zurückliegenden Jahren. Ging es von 386 Milliarden US-Dollar im Jahr 2020 auf 470 Milliarden Dollar im Jahr 2021 um über 80 Milliarden Dollar nach oben, rechnen Analysten für den Zeitraum 2022 und 2023 nur noch mit einem Umsatzzuwachs von etwa 50 Milliarden auf rund 560 Milliarden Dollar. Die Folge: es werden Arbeitsplätze abgebaut.

Und wie reagiert man an der Börse auf die zahlreichen Entlassungen? Bislang positiv. Die simple Überlegung der Anleger ist nämlich, dass weniger Angestellte den Kostendruck mindern. Oder, um es etwas lax zu formulieren: Entlassungen sparen Kosten, das erhöht den Gewinn der Unternehmen. So schnellte der Aktienkurs von Alphabet am 20. Januar um fast fünf Prozent nach oben, nachdem das Unternehmen den eingangs erwähnten Stellenabbau bekanntgegeben hatte.

Warum in der Tech-Branche Zehntausende Jobs wegfallen

Doch ganz so einfach ist es vielleicht nicht. Natürlich stecken die Tech-Unternehmen in einem wie auch immer gearteten Dilemma. Kein Unternehmen entlässt Mitarbeiter einfach so, aus Jux und Tollerei. Insofern ist die Frage durchaus berechtigt, ob die Börse die aktuelle Entlassungswelle unterschätzt? Immerhin wies auch Amazon-Konzernchef Andy Jassy, Nachfolger von Jeff Bezos, auf den Kostendruck hin, der den Abbau von Arbeitslätzen in seinen Augen notwendig macht. Ganz von der Hand zu weisen ist die Angst vor einer größeren Krise in der Tech-Branche also nicht. Andererseits, ohne Technologie geht es aber auch nicht. Die Welt insgesamt steckt im Umbruch. Die Menschheit steht vor gewaltigen Herausforderungen, die ohne Technologie kaum zu meistern sein werden. Dass die Tech-Branche vor diesem Hintergrund in eine langjährige Wachstumsschwäche rutscht, scheint im Moment schwer vorstellbar.

Wenn das Zinshoch erreicht ist

An der Börse setzen die Anleger darauf, dass es sich bei der aktuellen Entlassungswelle mehr um eine Konsolidierung als um eine wirkliche Krise handelt. Tech-Aktien gehören deshalb seit einigen Wochen auch zu den Outperformern. Das sieht man gut am Nasdaq 100, der die Wertentwicklung der größten Tech-Unternehmen aus den USA widerspiegelt. Er konnte sich seit Jahresanfang beispielsweise besser entwickeln als der S&P 500, der neben einigen Tech-Firmen auch viele Konzerne aus den traditionellen Branchen beinhaltet.

Zu der Outperformance könnte auch die Überlegung beigetragen haben, dass das Zinshoch möglicherweise erreicht ist. Unter steigenden Zinsen leiden Technologieunternehmen insbesondere, weil sie etwa zur Finanzierung ihres Geschäfts Kredite aufnehmen müssen. Steigen die Zinsen, verteuern sich die Kredite. Nun ist die Inflation immer noch ein Problem, auch in den USA. Aber sie hat sich zumindest in den zurückliegenden Wochen etwas abgeschwächt. Sollte die Zinsen nun langsamer steigen als anfänglich befürchtet, stagnieren oder gar fallen, würde das eine gewissen Entspannung für die Tech-Branche bedeuten.

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Die Angst im Silicon Valley vor dem Jobverlust ist real, keine Frage, an der Börse ist sie bislang noch nicht angekommen. Dort setzt man auf eine Erholung der Technologiebranche. Auch für deutsche Anleger ist das eine interessante Überlegung. Mit einem ETF auf den Nasdaq 100 etwa können sie an einem Aufschwung des amerikanischen Technologiemarktes partizipieren.

Lesen Sie auch: Diese Unternehmen im Silicon Valley stellen noch ein

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