Börsencrash Zweite Chance

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Zu einer nächtlichen Paniksitzung trafen sich Mitte vergangener Woche US-Regierungsvertreter und hochrangige Bankmanager mit Vertretern der angeschlagenen Versicherungen. Ihr Ziel: Pleiten in der Branche sollen um jeden Preis vermieden werden. Als das Treffen an der Börse publik wurde, drehte der Dow Jones ins Plus und gewann in wenigen Stunden fast 600 Punkte oder fünf Prozent zurück.

Aber ist die Hoffnung der Anleger auf eine schnelle Lösung des Kreditversicherungsproblems berechtigt? Bereits im Herbst kündigte die Bush-Regierung gemeinsam mit den großen Investmentbanken einen Rettungsfonds an, der abgestürzte Hypothekenpapiere aufkaufen sollte. Daraus ist bisher nichts geworden.

Die Ratingagenturen haben bereits die ersten Kreditversicherer abgestuft und damit eine weitere gefährliche Kettenreakti- » on angestoßen: Mit den Ratings der Versicherer fallen auch die Ratings der von ihnen besicherten Anleihen, was wiederum die Portfolios der Banken und Versicherungen belastet, in denen diese Anleihen liegen.

Das bliebe dann beileibe kein reines Finanzproblem; gefährdet ist die Gesamtwirtschaft. „Banken haben eine Schlüsselstellung“, sagt Tammo Greetfeld, Aktienstratege bei UniCredit in München. Die von hohen Abschreibungen betroffenen Häuser brauchen dringend frisches Eigenkapital, sonst können sie Geschäfte wie die Kreditvergabe an Unternehmen nicht wie gewohnt betreiben. Je niedriger aber die Kurse der Bankaktien sind, und viele sind seit August bereits um die Hälfte gefallen, desto schwieriger wird die Kapitalbeschaffung für die Geldhäuser.

„Das Geschäftsmodell der Banken ist völlig überholt. Die Einnahmen aus Kreditverbriefungen und dem Investmentgeschäft, die einen Großteil der Gewinne bringen, kommen nie wieder“, unkt ein Top-Investmentbanker eines angelsächsischen Geldhauses. „Den meisten Marktteilnehmern ist noch nicht klar, in welch schwieriger Situation sich die Banken und damit bald auch die Realwirtschaft befinden“, sagt Eberhardt Unger, Chefvolkswirt bei Fairesearch in Frankfurt. Selbst wenn Asiens Konjunkturlokomotiven unter Dampf bleiben und weiter bei deutschen Unternehmen ordern sollten, könnte manches Geschäft für deutsche Exporteure platzen, weil es die Banken schlicht nicht mehr finanzieren.

Schon jetzt wird den Hedgefonds der Kredithahn zugedreht. Ihnen haben die Banken für jeden Dollar Eigenkapital oft das Zehnfache, teilweise auch noch mehr, an Kreditlinien eingeräumt. Die werden nun sukzessive wieder gekürzt. Der Kurssturz an den Börsen erklärt sich auch aus dieser Kapitalnot. „Man weiß es nicht genau, aber es steht zu vermuten, dass Hedgefonds Aktienportfolios liquidieren müssen“, so Greetfeld. Abzulesen war das unter anderem am zuletzt wieder starken Yen.

Hedgefonds hatten sich über Jahre in der japanischen Währung zu Zinsen unter einem Prozent verschuldet und das geliehen Geld hochrentierlich, beispielsweise in deutschen Aktien, angelegt. Der Euro stieg deshalb gegenüber dem Yen auf historische Hochs. Dieser Trend ist gebrochen, „was eindeutig zeigt, dass Hedgefonds aus diesen sogenannten Carry Trades aussteigen“, so Unger.

Dass der Dollar trotz der massiven Zinssenkung der US-Notenbank nicht weiter abstürzt, sei „ein deutliches Signal, dass Amerikaner in Europa Kasse machen“. Laut einer Studie von Dresdner Kleinwort versiebenfachte sich der Anteil amerikanischer Investoren am deutschen Aktienkapital von 2,6 Prozent 2001 auf 18 Prozent Ende 2006. Und 2007 dürften die gute Performance und die Aussicht auf Währungsgewinne dank des starken Euro noch mehr US-Investoren in deutsche Werte gelockt haben.

Das Problem: Nun müssen sie verkaufen, weil ihre Anleger, etwa Pensionskassen, ihrerseits Gelder abziehen oder weil die Banken ihnen die Kredite kündigen. Und wer verkaufen muss, schaut nicht mehr auf eine günstige Bewertung. Die Folge: Auch preiswerte Aktien werden dann eben noch billiger – wie im Ausverkauf der Jahre 2000 bis 2003. Das erklärt, weshalb zuletzt selbst solide Aktien unter die Räder kamen, beispielsweise die Versorger E.On und RWE.

Retter in der Not war für die Börsen erneut Ben Bernanke. Der Chef der US-Notenbank Fed senkte in einem historisch einmaligen Akt am Dienstag den Leitzins um 0,75 Prozentpunkte – außerplanmäßig, es war nicht mal eine Fed-Sitzung angesetzt. „Die Fed scheint die Brisanz der Lage voll erkannt zu haben und reagiert zum Glück entschlossen“, sagt Alfred Roelli, Chef der Anlagestrategie bei der Genfer Privatbank Pictet.

Ob die Zinssenkungen aber ausreichen, um eine US-Rezession noch zu stoppen, ist zweifelhaft. Kiani von HSBC ist skeptisch: „Die Liquidität, die vor allem die Fed zurzeit in die Märkte pumpt, kommt nicht in Form von neuen Krediten in der Realwirtschaft an“, meint er, „die Banken absorbieren sie in den eigenen Bilanzen.“

„Auch die beispiellose Zinssenkung durch die Fed am Dienstag kann die Probleme nur etwas mildern oder aufschieben, die Ursachen der Kreditkrise aber nicht bekämpfen“, bestätigt Greetfeld von UniCredit. Sollten die Notenbanken jetzt die aus schwachen US-Hypotheken entstandenen Verluste finanzieren, dürfte der nächste Bereinigungsprozess nur umso härter werden. Anleger sollten jedenfalls nicht darauf hoffen, dass die Fed es wieder richten wird. Schon die enorme Zinssenkungswelle unter Bernankes Vorgänger Alan Greenspan, der die Leitzinsen bis auf einen Minizins von 1,0 Prozent herunterschleuste, konnte den Kursverfall der Börsen zwischen 2000 und 2003 nicht verhindern. Erst als der Zins-senkungszyklus der US-Notenbank Anfang des Jahres 2003 beendet war, stiegen die Aktienkurse wieder.

Hinzu kommt: Die Börsen hängen an der Fed wie ein Junkie an der Nadel. Schon hoffen Anleger auf weitere Senkungen. Am kommenden Mittwoch berät die Fed erneut. Nur: Endlos kann Bernanke nicht senken – schon jetzt zeigt sich, dass das billige Geld wie im Lehrbuch hohe Inflation mit sich bringt. Zuletzt stiegen die Preise in den USA um mehr als vier Prozent.

Inzwischen ist die Lage vieler Großanleger derart aussichtslos, dass Deus-ex-Machina-Lösungen wieder in Mode kommen. Als Retter der Börsen werden neben der Fed asiatische Staatsfonds genannt, die zusammen über mehr als 3000 Milliarden Dollar verfügen, das ist so viel wie der Marktwert aller Aktien aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammen. „Die Staatsfonds bilden zwar tatsächlich ein Kaufpotenzial, aber ob und wann das abgerufen wird, ist völlig unklar“, sagt Kiani, „fest steht jedenfalls: auch die Chinesen kann niemand zwingen, in die derzeit fallenden Messer zu greifen.“

Zurückhaltung bleibt auch für private Anleger derzeit das oberste Gebot. Wer starke Nerven hat, kann an schwachen Tagen zukaufen und bei den sicher immer wieder vorkommenden Erholungsrallys wieder aussteigen. Solche Zocks richtig zu timen ist allerdings extrem schwer. Flossbach will an schwachen Tagen wie dem vergangenen Dienstag wieder „einzelne Qualitätstitel kaufen, die zu sehr in Sippenhaft genommen wurden“. Allerdings nur in kleinen Trippelschritten, zunächst einmal mit einem Drittel des geplanten Investments. „Den Großteil seines Pulvers sollte man jetzt noch trocken halten, weil der finale Ausverkauf erst noch kommen kann.“

Nach diesem Finale, das zwischen 5400 und 5800 Punkten im Dax stattfinden könnte, stehen bei Flossbach Werte wie BASF, Daimler sowie Pharma- und Ölaktien auf der Kaufliste. UniCredit-Experte Greetfeld will erst einmal den Strom der negativen Nachrichten unterbrochen und eine „längere Bodenbildungsphase“ an den Börsen sehen, bevor er Aktien wieder verstärkt in Anleger-Depots legen würde.

Zum Kassehalten eignen sich in der Zwischenzeit neben Tagesgeldkonten auch täglich handelbare und kostengünstige Fonds, die in sichere Anleihen mit kurzer Laufzeit investieren. Eine Alternative sind börsengehandelte Geldmarktfonds, die garantiert keine verbrieften Forderungen (ABS) gekauft haben, sowie defensive Mischfonds. Nach wie vor unverzichtbar im Depot: Gold, am besten physisch. „Auch, wenn der Goldpreis jederzeit zwischenzeitliche Rückschläge erleiden kann: Der langfristige Trend nach oben ist intakt“, sagt Vermögensverwalter Ehrhardt.

Lohnt es sich, weiter auf fallende Kurse zu wetten? „Für den Privatanleger ist es wahrscheinlich schon zu spät, noch massiv short zu gehen“, meint Roelli von Pictet. Put-Optionen auf Aktien und Indizes sind bereits teuer, allein schon wegen der in den letzten Wochen deutlich gestiegenen Schwankungsbreite der Kurse (Volatilität). Anleger konnten zwar bisher daran gut verdienen; so lagen etwa die Käufer der im November von der WirtschaftsWoche empfohlenen MDax-Puts vor der letzten Erholungsrally vom vergangenen Donnerstag rund 100 Prozent im Plus.

Gewinne mit Puts und Baisse-Zertifikaten zum optimalen Zeitpunkt zu realisieren war in der Crash-Woche allerdings schwierig. Verkaufswillige Kunden hingen etwa bei der Direktanlage-Bank in Telefon-Warteschleifen, die Internet-Seiten waren blockiert. Viele Emittenten von Optionsscheinen und Zertifikaten kauften und verkauften überhaupt nicht mehr. Die meisten redeten sich mit „technischen Problemen“ heraus. Hilflos mussten Anleger zusehen, wie die Kurse ihrer theoretisch so glänzend aufgegangenen Wetten wieder nachgaben.

Aber sie werden mit hoher Wahrscheinlichkeit eine zweite Chance bekommen – sobald Dax und MDax ihre Tiefs der vergangenen Woche erneut testen.

Ob die Zinssenkungen aber ausreichen, um eine US-Rezession noch zu stoppen, ist zweifelhaft. Kiani von HSBC ist skeptisch: „Die Liquidität, die vor allem die Fed zurzeit in die Märkte pumpt, kommt nicht in Form von neuen Krediten in der Realwirtschaft an“, meint er, „die Banken absorbieren sie in den eigenen Bilanzen.“

„Auch die beispiellose Zinssenkung durch die Fed am Dienstag kann die Probleme nur etwas mildern oder aufschieben, die Ursachen der Kreditkrise aber nicht bekämpfen“, bestätigt Greetfeld von UniCredit. Sollten die Notenbanken jetzt die aus schwachen US-Hypotheken entstandenen Verluste finanzieren, dürfte der nächste Bereinigungsprozess nur umso härter werden. Anleger sollten jedenfalls nicht darauf hoffen, dass die Fed es wieder richten wird. Schon die enorme Zinssenkungswelle unter Bernankes Vorgänger Alan Greenspan, der die Leitzinsen bis auf einen Minizins von 1,0 Prozent herunterschleuste, konnte den Kursverfall der Börsen zwischen 2000 und 2003 nicht verhindern. Erst als der Zins-senkungszyklus der US-Notenbank Anfang des Jahres 2003 beendet war, stiegen die Aktienkurse wieder.

Hinzu kommt: Die Börsen hängen an der Fed wie ein Junkie an der Nadel. Schon hoffen Anleger auf weitere Senkungen. Am kommenden Mittwoch berät die Fed erneut. Nur: Endlos kann Bernanke nicht senken – schon jetzt zeigt sich, dass das billige Geld wie im Lehrbuch hohe Inflation mit sich bringt. Zuletzt stiegen die Preise in den USA um mehr als vier Prozent.

Inzwischen ist die Lage vieler Großanleger derart aussichtslos, dass Deus-ex-Machina-Lösungen wieder in Mode kommen. Als Retter der Börsen werden neben der Fed asiatische Staatsfonds genannt, die zusammen über mehr als 3000 Milliarden Dollar verfügen, das ist so viel wie der Marktwert aller Aktien aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammen. „Die Staatsfonds bilden zwar tatsächlich ein Kaufpotenzial, aber ob und wann das abgerufen wird, ist völlig unklar“, sagt Kiani, „fest steht jedenfalls: auch die Chinesen kann niemand zwingen, in die derzeit fallenden Messer zu greifen.“

Zurückhaltung bleibt auch für private Anleger derzeit das oberste Gebot. Wer starke Nerven hat, kann an schwachen Tagen zukaufen und bei den sicher immer wieder vorkommenden Erholungsrallys wieder aussteigen. Solche Zocks richtig zu timen ist allerdings extrem schwer. Flossbach will an schwachen Tagen wie dem vergangenen Dienstag wieder „einzelne Qualitätstitel kaufen, die zu sehr in Sippenhaft genommen wurden“. Allerdings nur in kleinen Trippelschritten, zunächst einmal mit einem Drittel des geplanten Investments. „Den Großteil seines Pulvers sollte man jetzt noch trocken halten, weil der finale Ausverkauf erst noch kommen kann.“

Nach diesem Finale, das zwischen 5400 und 5800 Punkten im Dax stattfinden könnte, stehen bei Flossbach Werte wie BASF, Daimler sowie Pharma- und Ölaktien auf der Kaufliste. UniCredit-Experte Greetfeld will erst einmal den Strom der negativen Nachrichten unterbrochen und eine „längere Bodenbildungsphase“ an den Börsen sehen, bevor er Aktien wieder verstärkt in Anleger-Depots legen würde.

Zum Kassehalten eignen sich in der Zwischenzeit neben Tagesgeldkonten auch täglich handelbare und kostengünstige Fonds, die in sichere Anleihen mit kurzer Laufzeit investieren. Eine Alternative sind börsengehandelte Geldmarktfonds, die garantiert keine verbrieften Forderungen (ABS) gekauft haben, sowie defensive Mischfonds. Nach wie vor unverzichtbar im Depot: Gold, am besten physisch. „Auch, wenn der Goldpreis jederzeit zwischenzeitliche Rückschläge erleiden kann: Der langfristige Trend nach oben ist intakt“, sagt Vermögensverwalter Ehrhardt.

Lohnt es sich, weiter auf fallende Kurse zu wetten? „Für den Privatanleger ist es wahrscheinlich schon zu spät, noch massiv short zu gehen“, meint Roelli von Pictet. Put-Optionen auf Aktien und Indizes sind bereits teuer, allein schon wegen der in den letzten Wochen deutlich gestiegenen Schwankungsbreite der Kurse (Volatilität). Anleger konnten zwar bisher daran gut verdienen; so lagen etwa die Käufer der im November von der WirtschaftsWoche empfohlenen MDax-Puts vor der letzten Erholungsrally vom vergangenen Donnerstag rund 100 Prozent im Plus.

Gewinne mit Puts und Baisse-Zertifikaten zum optimalen Zeitpunkt zu realisieren war in der Crash-Woche allerdings schwierig. Verkaufswillige Kunden hingen etwa bei der Direktanlage-Bank in Telefon-Warteschleifen, die Internet-Seiten waren blockiert. Viele Emittenten von Optionsscheinen und Zertifikaten kauften und verkauften überhaupt nicht mehr. Die meisten redeten sich mit „technischen Problemen“ heraus. Hilflos mussten Anleger zusehen, wie die Kurse ihrer theoretisch so glänzend aufgegangenen Wetten wieder nachgaben.

Aber sie werden mit hoher Wahrscheinlichkeit eine zweite Chance bekommen – sobald Dax und MDax ihre Tiefs der vergangenen Woche erneut testen.

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