Boom und Crash Börsenboom der 90er: "Wir waren Helden"

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Verona Feldbusch (heute Pooth) beim Börsengang von Telegate im April 1999 Quelle: AP

Stefan Müller spielt in der Zeit das ganz große Spiel, im 18. Stock des Dresdner-Bank-Turms, an einem der privilegierten Plätze des riesigen Handelsraums, direkt am Fenster und mit Blick auf die Schienenstränge des Hauptbahnhofs.

1994 aus der rheinischen Provinz nach Frankfurt geholt, erlebte er Börse zunächst noch als „gemütliche Veranstaltung“: Die Old Boys kannten sich, man handelte auf dem Parkett und jeder hatte sein Auskommen. Bis die Telekom an die Börse geht, geführt von Müllers Dresdner Bank, eine Art „Big Bang“ für das deutsche Aktienwesen. Nie vergisst er den ersten Börsentag. Als der damalige Telekom-Chef Ron Sommer, flankiert von den Bundesministern Theo Waigel (Finanzen) und Wolfgang Bötsch (Postminister, das Amt gab es noch bis Ende 1997), das Parkett verlassen hat, bricht dort die Hölle los. Die Börsenumsätze ziehen an in nie gekannte Höhen, die Ausländer investieren. Privatanleger werden von Schauspieler und Telekom-Werbestar Manfred Krug an die Börse gezogen.

Das ganz grosse Spiel

1998 verdient die Dresdner Bank im Eigenhandel, das sind die Deals, bei denen mit dem Geld der Bank gearbeitet wird, knapp 750 Millionen Euro. 1999 sind es schon über eine Milliarde, ein Gutteil davon aus dem Aktiengeschäft. 200 Trades am Tag, 20 Millionen Euro Aktienumsatz, für Müller ist das ganz normal. Nach Börsenschluss geht es weiter, viele deutsche Aktien werden damals, bevor die Aufsicht SEC ausländische Unternehmen nach US-Regeln zu drangsalieren begann, in New York gehandelt.

Auch dort hat Müller seine Leute. Und so blinkt, beim Bier in der Frankfurter Sandbar, immer wieder das Handy. Richtig Geld macht er am 11. März 1999, als nach Börsenschluss bekannt wird, dass Oskar Lafontaine als Finanzminister zurücktritt. Müller rafft in New York alles zusammen, was an deutschen Aktien zu bekommen ist, und verkauft am Morgen in Deutschland sieben Prozent teurer. „Im Eigenhandel gehst du jeden Abend als Held oder als Depp nach Hause“, sagt er. An diesem Abend ist er der Held.

Es gibt viele solche Abende im Frankfurt der 90er. „Frankfurt war eine ganze Stadt voller glücklicher Leute.“ Im Steakhaus Mortons, wo zwei Mann locker 400 Euro verfuttern können, liegen die Messer mit den eingravierten Namen der Banker in der Vitrine. Den Bordeaux kauft man nicht beim Händler, sondern im Restaurant. Die Kellner-Begrüßung, „eine Flasche von Ihrem Wein?“, ist Pflicht. „Bis 2001 ging es nur aufwärts“, sagt Müller, für ihn und für die Dresdner Bank, damals Nummer eins im Aktienhandel.

Und die Unternehmen? Sie liefern die von ihnen erwarteten Zahlen. So wie Internet-Werber Ingo Endemann. Er sitzt in der Frankfurter Gontardbank beim Vieraugengespräch, präsentiert Umsatzplanung und Gewinnmargen seiner Endemann!! AG. Doch die Zahlen passen nicht zusammen. Darauf aufmerksam gemacht, verlässt Endemann den Raum. Nach zwei Minuten ist er wieder da. Die falsche Zahl ist durchgestrichen, eine neue Prognose eingetragen. Da sei man „in der Zeile verrutscht“, sagt Endemann. „Jetzt passt es.“

Gewinnprognosen, die mit einem Bleistiftstrich geändert werden – wie lange geht so etwas gut?

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