Boom und Crash Börsenboom der 90er: "Wir waren Helden"

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Erste Warnsignale

Flaggen vor dem T-Online-Hauptquartier in Weiterstadt, AP

Ein Jahr noch. Den ersten Crash im März 2000 stecken alle noch schnell weg, man sitzt ja auf fetten Gewinnen. „Als T-Online aber im Sommer 2000 nicht mehr über den Ausgabekurs kletterte, wurden viele nachdenklich“, sagt Müller. Die Kurse fallen. Erst freuen sich viele noch, alle, die monatelang den Einstieg verpasst hatten. „Was gestern 100 gekostet hatte, kann heute zu 30 nicht teuer sein“, skizziert Müller, was die Unglücksraben dachten.

Ist es aber doch. Wer jetzt näher hinschaut, findet bei hochgelobten Unternehmen in erster Linie Bilanzen voller Optionsprogramme, mit denen sich Vorstände die Taschen füllten. Müller setzt Analysten auf ein paar Unternehmen an, geht short, wettet also auf fallende Kurse.

Trotzdem: Irgendwann ist der Markt unten, und genau dann verlieren die Oberen in der Bank die Lust am Zocken; die Dresdner fährt den Eigenhandel herunter. Müller geht zu der Frankfurter Boutique Equinet, dann als Chefhändler zu Sal. Oppenheim, „da ging es der Bank noch gut“. Vor allem Zertifikate, die massenhaft an Privatanleger verkloppt wurden, nährten die Handelsabteilung.

Tägliche Hiobsbotschaften

Als es mit der Börse weiter aufwärtsgeht, macht Müller seinen eigenen Hedge-fonds auf. 35 Prozent Gewinn in 2007, das Jahr darauf läuft so lala, und dann kommt die Finanzkrise. Nach Lehman-Pleite und dem Hedgefonds-Skandal um Bernie Madoff fliehen die Investoren. Hedgefonds sind völlig out. „Seither ist Risikokontrolle alles“, sagt Müller.

Mitte September 2008, drei Tage nach dem Lehman-Zusammenbruch, steht er an einem Mittwochabend in der King Kamehameha-Suite in Frankfurt – Treffpunkt für Investmentbanker und Frauen, die auf dicke Geldbeutel stehen. Nebenan ragen die Türme der Deutschen Bank ins Dunkel. Müller hat den Schlüssel des Cabrios zum Einparken abgegeben, trägt offenes weißes Hemd zur Jeans, doch locker ist heute nur sein Aufzug. Ständige Telefonate, flüchtende Kunden und Notverkäufe, das Becks-Bier auf dem Tresen wird schal. „Lehman war der Killer für diese Industrie – und ich war mittendrin“, sagt er heute. Er wird Berater, dann Vorstand einer kleinen Wertpapierbank, die er vor der Insolvenz zu retten versucht, am Ende geht das schief: „Einem Investor ist in letzter Minute die Finanzierung geplatzt.“ Er lernt, wie man eine Bank abwickelt. Spaß macht das nicht. „Von der Erholung profitieren vor allem die großen Banken“, sagt er, „ Kunden fühlen sich da sicherer.“ Größe zählt. Wenn Müller weg war, wurden seine Banken geschluckt: die Dresdner von der Allianz, Sal. Oppenheim von der Deutschen Bank. „An mir hat’s nicht gelegen“, sagt er.

Anleger Fichter verliert nach dem Crash 2000 die Lust am Depot, wie Millionen andere. Er hat nun ein neues Ziel: Steuern sparen. Das Depot liegt in Trümmern, der promovierte Ingenieur verdient aber weiter gut und merkt, „dass ich verdammt viel Steuern zahle“. Menschen, die versprechen, sie würden ihm helfen, finden sich.

Fichter kauft ihnen alles ab: Flugzeug-und Filmfonds, Schiffsbeteiligungen. Die versprochenen Renditen erreicht keiner, bei einigen Investments muss er später sogar nachschießen. „Ich wachte morgens auf und hatte Angst, auch nur die Post reinzuholen; ich dachte: Welche Hiobsbotschaften kriegst du heute wieder?“

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