Computerhandel Börsencomputer reagieren automatisch auf Nachrichten

Neue Systeme von Hedgefonds und Banken reagieren binnen Millisekunden auf kursbewegende Nachrichten. Wie die Maschinen Nachrichtentexte verstehen und auf welche Begriffe sie allergisch oder euphorisch reagieren.

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Nicht denken, kaufen! Computer Quelle: dpa

Auf den Bildschirmen der Agentur Bloomberg flackert die Nachricht am 19. Oktober 8 Minuten und 45 Sekunden nach 13 Uhr auf: Die chinesische Zentralbank erhöht die Leitzinsen! Prompt fällt der Dax um gut 20 Punkte. Seit 12.50 Uhr schon bröckelt er ab. Die Asiaten hatten die Nachricht schon etwas eher auf ihrer Internet-Seite veröffentlicht – und einige im Markt waren offenbar wieder mal schneller als andere.

Kursbewegende Nachrichten wie die aus dem fernen Peking sind ein gefundenes Fressen für eine neue Generation ausgebuffter Hochgeschwindigkeitshändler, die ihre Handelsentscheidungen an Neuigkeiten koppeln. Die Handelssysteme von Hedgefonds und Banken können relevante Informationen aus Nachrichten filtern und dann anhand zuvor programmierter Parameter in Sekundenbruchteilen reagieren.

Computer handeln, während Menschen noch die Überschrift lesen

Die Maschinen haben Lesen gelernt, nur die Interpretation von Zahlen und Schlagworten und die Handlungsanweisung werden ihnen vorgegeben: Leitzinserhöhung? Teurere Kredite bremsen das Wachstum, wette auf fallende Kurse!Weniger Arbeitslose als erwartet? Die Konjunktur zieht an, setze auf steigende Kurse! „Maschinenlesbare Nachrichten werden von Algorithmen verarbeitet, die beispielsweise auf Basis von ‚Wenn-dann‘-Programmierungen funktionieren. Die Nutzer definieren dabei im Vorfeld, was sie bei welcher Nachricht handeln“, sagt Georg Groß, Leiter der Abteilung Front Office Data and Analytics bei der Deutschen Börse.

Die internationalen Finanz-Nachrichtenagenturen Thomson Reuters und Dow Jones sowie die Deutsche Börse bieten den umworbenen Sekundenhändlern dazu Spezialdienste an, im Fachjargon News Feeds genannt. Die Deutsche Börse startete ihren Dienst AlphaFlash im April. Das Programm liefert 150 makroökonomische Daten aus den USA, Kanada und Europa: Zinsentscheidungen, Beschäftigungszahlen, Zahlen zum Bruttoinlandsprodukt oder Statistiken zum Häusermarkt. Zahlen aus den wichtigsten Volkswirtschaften Asiens sollen im ersten Quartal 2011 folgen. Mitarbeiter der Deutsche-Börse-Töchter Market News International und Need to know News liefern die Inhalte. Die Computerprogramme lesen sie und handeln – noch bevor Menschen überhaupt die Überschrift der Agenturmeldung gesehen haben.

Klassische Aktienhändler, die solche Systeme nicht nutzen, kommen erst in den Markt, wenn die heftigsten Bewegungen schon gelaufen sind. Privatanleger, selbst wenn sie in Echtzeit Zugriff auf Nachrichtendienste haben, können erst recht nicht mithalten, zumal sie ihre Aufträge ja noch über eine Bank an die Börse leiten müssen. Wenn sie handeln, haben die Hochgeschwindigkeitstrader längst ihren Schnitt gemacht – und sich wieder aus dem Markt verabschiedet.

Sekunden zählen

Für die hoch spezialisierten Hedgefonds-Manager und Eigenhändler von Banken, sind die Veröffentlichungstermine marktrelevanter volkswirtschaftlicher Daten eine wichtige Größe. Wochen im Voraus wissen sie, wann und auf welchen Kanälen Zahlen und Entscheidungen veröffentlicht werden.

Analysten geben zu diesen Daten Prognosen ab, Börsianer lassen sie in ihre Schätzungen von Unternehmensgewinnen oder Zinskurven einfließen. Trader wissen, welcher Markt sensibel auf welche Nachricht reagiert. Mit der richtigen Wenn-dann-Funktion scheffeln sie Gewinne, weil sie noch vor allen anderen auf die richtigen Papiere setzen können. Und sie vermeiden Verluste, indem sie ihre Papiere unmittelbar nach der Nachricht verkaufen, bevor andere die Neuigkeit lesen und ihre Kaufaufträge aus den elektronischen Systemen nehmen.

Neue Jobs für Linguisten

Die Börse reagiert oft schon in der Sekunde der Veröffentlichung auf neue Zahlen (siehe Grafik).

Unangenehmer Nebeneffekt der neuen Systeme: Je mehr Trader die ultraschnellen Feeds nutzen und je größer ihre Handelsvolumina werden, desto heftiger fallen die Börsenausschläge in Zukunft aus. Privatanleger, die in der Regel nicht jeden Tag traden, sondern Aktien über längere Zeit halten, können diese Schwankungen im Prinzip kalt lassen. Doch Nerven kosten sie allemal. Und Aktienbestände mittels automatischen Stop-Loss-Marken abzusichern, bei deren Durchbrechen die Bank automatisch verkauft, wird riskanter. Die Gefahr nimmt zu, dass ein Anleger bei einem kurzen, heftigen Einbruch zu billig verkauft und bei der folgenden Kurserholung nicht mehr investiert ist.

Der blitzschnelle Handel auf Basis veröffentlichter Daten und Nachrichten gewinnt an Fahrt, auch weil große Banken das Thema promoten. Die Deutsche Bank brachte erst im Juli die mehr als 30 Seiten lange Studie „Beyond the headlines“ (Jenseits der Schlagzeilen) heraus. Das Thema Handel mit Nachrichten sei „besonders interessant“ und man habe bereits „sehr viel Arbeit“ hineingesteckt, heißt es darin.

Den Bankstrategen geht es vor allem um eins: Inwieweit können Maschinen in Echtzeit die Sprache in journalistischen Artikeln analysieren und den sprachlichen Ton blitzschnell in negative und positive Aussagen zu einer Firma einteilen?

Erste neue Ansätze dazu gibt es. Reuters NewsScope Analytics etwa misst, wie einzigartig und bedeutungsvoll ein Text ist. Denn Informationen, die neu und überraschend sind, haben größeren Einfluss auf die Börse. In einem zweiten Schritt bewertet das System, ob der Text positiv, neutral oder negativ ist. Reuters teilt den Artikeln Plus- und Negativpunkte zu – je nachdem, wie positiv oder negativ über ein Unternehmen oder eine Branche berichtet wird.

Nach der Explosion der Quelle: dpa

Auch der Elementized News Feed von Dow Jones wagt sich an Texte heran. Er bewertet die in ihnen enthaltenen Begriffe in Kombination mit einem speziellen Wörterbuch. Trader können so an einem Tag mit überwiegend schlechten Nachrichten gezielt nach Unternehmen suchen, über die die Nachrichtenagenturen positiver berichten, und diese kaufen. Mehren sich besonders negative Artikel über eine Aktie, stoppt der nach den von Reuters vergebenen Punkten programmierte Algorithmus laufende Aktienkäufe. Manch ein Risikomanager setzt bei gravierenden Nachrichten eines Unternehmens gleich den Handel mit allen Aktien aus der Branche aus. Reuters arbeitet dafür mit den Linguisten von Lexalytics zusammen. Die Agentur vergibt Minus- und Pluspunkte für die von Linguisten als negativ (Beispiel „Verschmutzung“) und positiv (Beispiel „Umsatzzuwachs“) eingestuften Begriffe.

Mit Nachrichten-Filter

Auf negative Nachrichten müssen Trader besonders schnell reagieren. So fanden die Strategen der Deutschen Bank heraus, dass die Märkte „schlechte Nachrichten viel schneller einpreisen als gute“. Es gelte die Regel: „Verkaufe erst und stelle Fragen später.“ Ausnahme sei allerdings, wenn die Märkte bereits negative Nachrichten erwarten. So überraschten weitere schlechte Neuigkeiten von BP nach dem Untergang der Ölplattform Deepwater Horizon niemanden. Die Aktie fiel über Wochen.

Bei ungewöhnlich vielen negativen Artikeln über den Medien- und Börsenliebling Apple aber stehen die Chancen besser, frühzeitig einen bevorstehenden Kurseinbruch zu identifizieren und von diesem überproportional zu profitieren. Riskant ist diese Strategie kaum: Trader setzen die Algorithmen so auf, dass das System nur auf eine überraschende negative Neuigkeit reagiert. Passiert nichts, handelt der Computer nicht. Kommt der Skandal, sind findige Hochgeschwindigkeitshändler aber als Erste dabei.

Damit Trader über ihre Systeme nur relevante Nachrichten empfangen, registriert Dow Jones zum Beispiel, ob eine Nachricht zum ersten Mal veröffentlicht wird oder ob sie bloß eine neue Zusammenfassung der Lage ist. Ist Letzteres der Fall, fällt die Nachricht direkt aus der Wertung. Das Programm erkennt auch, ob ein Unternehmen in einem Artikel nur am Rand erwähnt wird, und filtert diese Artikel ebenfalls.

Kunden bekommen nicht nur Zugriff auf aktuelle Nachrichten, sondern auch auf die Archive. Auf Wunsch liefert zum Beispiel Reuters dazu auch historische Börsenkurse. Programmierer können ihre Systeme so auf alle Eventualitäten vorbereiten. Nach einer Naturkatastrophe etwa lassen sie sich anzeigen, welche Aktien und Rohstoffe beim letzten Vorfall wie reagiert haben: Welcher Versicherer zahlte beim letzten Hurrikan in Florida? Welche Ölaktien fielen nach der Erdbebenwarnung im Iran? Und wie stark stiegen die Aktien eines Konzerns nach den letzten Übernahmegerüchten? So machen Trader selbst mit völlig unerwartet eingetretenen Ereignissen Geld.

Schlechte Presse, schwache Kurse

Automatisch schnell auf bereits veröffentlichte Daten zu handeln sichert einen Sekundenvorsprung. Wer mehr will, braucht Insiderinformationen. Sich die zu verschaffen ist manchmal möglich, aber illegal. Unternehmen müssen strenge Veröffentlichungsregeln beachten, damit niemand früher informiert wird als der Markt. Aber auch volkswirtschaftliche Daten können Insiderinformationen sein. Der viel beachtete ifo-Geschäftsklimaindex etwa bewegt häufig den Dax.

Nachdem Ende der Neunzigerjahre an der Börse Gerüchte über Insiderhandel auf Basis von ifo-Daten kursierten, berechnet das ifo Institut den Index seither erst in der Nacht vor Veröffentlichung. Es reduzierte die Zahl der beteiligten Mitarbeiter und koppelte den betroffenen Server von anderen Rechnern ab.

Kommen die Zahlen zum Geschäftsklima, sitzt Pressesprecher Stefan Schott dann mit einer Funkuhr an seinem Münchner Schreibtisch. Zehn Minuten vor der Veröffentlichung baut er eine Telefonkonferenz mit Journalisten der großen Agenturen auf. „Um Punkt zehn Uhr, erst dann, wenn die Funkuhr umgesprungen ist, nenne ich die Zahlen“, sagt Schott. Ein Arbeitskollege hört mit und verschickt im nächsten Moment umgehend die Pressemitteilung an andere Medienvertreter.

Schnell, aber falsch?

Die Anbieter maschinenlesbarer Nachrichten haben die neueste Zahl dann schon längst durch ihre Systeme gejagt. Wenn die Eilmeldungen der Agenturen zum ifo-Index über die Ticker laufen, haben Hochgeschwindigkeitshändler schon längst gehandelt.

Mitarbeiter der Nachrichtenagenturen sind auch bei Ministerien, Prognosehäusern oder Zentralbanken akkreditiert. Bevor das US-Arbeitsministerium kursbewegende Daten wie die Arbeitslosenzahlen verkündet, werden die Journalisten der großen Agenturen in Räumen eingesperrt, aus denen vorab keine Information dringt. Alle bekommen die Daten gleichzeitig und bereiten ihre Meldungen vor. „Im US-Arbeitsministerium gibt ein Mitarbeiter die Datenleitung nach außen frei“, berichtet Groß von der Deutschen Börse. Erst dann wird die Information offiziell.

Für Hochgeschwindigkeitshändler ist der Zeitvorsprung dann besonders wertvoll, wenn eine Zahl von der im Markt erwarteten stark abweicht. Dann reagiert die Börse besonders heftig und bietet damit besondere Gewinnchancen. Je umfassender die Daten, desto besser: „Der Markt reagiert auf volkswirtschaftliche Daten sofort – da verdient der Trader mit der schnellsten Technik das meiste Geld“, sagt Richard Brown, der für Reuters das globale Geschäft mit NewsScope, dem Dienst für maschinenlesbare Nachrichten, verantwortet.

Zum Wettkampf um das beste System kommt noch der um die schnellste Technik. Hochgeschwindigkeitshändler kämpfen um jede Tausendstelsekunde. Weil eine Aktienorder von London bis Frankfurt 4,9 Millisekunden braucht, stellen zum Beispiel Londoner Hedgefonds ihre Computer in Frankfurt direkt neben den Börsenservern auf – und gewinnen so 3,9 Millisekunden.

Auch die Software muss quasi in Echtzeit arbeiten. So nutzt Dow Jones unter anderem die Plattform von Progress Apama. Der US-Softwareanbieter beansprucht für sich, dass er die Daten aus dem News Feed in weniger als einer Millisekunde überwacht, die programmierte Handelsstrategie mit den Daten abgleicht sowie einen entsprechenden Handelsauftrag an der Börse platziert.

Für die Hochgeschwindigkeitshändler ist damit aber auch das Risiko bei unerwarteten Marktreaktionen umso höher. Schießt der Markt im Zickzack auf und ab oder gar in die falsche Richtung, gibt es für sie keinen Stopp-Knopf. Im Zweifelsfall fahren die Trader binnen Millisekunden Verluste statt Gewinne ein. Selbst erfahrene Trader sehen in den teuren Programmen daher nicht immer ein gutes Geschäft: „Uns sind News Feeds zu riskant, denn der Markt schießt oft über sein Ziel hinaus, die Kurse steigen und fallen unberechenbar schnell“, sagt Mathematiker Christer Wennerberg, der bei der Bank SEB in Stockholm Algorithmen für Aktienhändler überwacht und programmiert. Reagiert der Markt nicht wie erwartet und programmiert, fährt der schnellste Händler eben auch die höchsten Verluste ein.

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