Dax-Absturz Ausverkauf auf Raten

Der Dax gibt Anlegern Rätsel auf. Fast täglich bricht der Index nachmittags ein – und zwar deutlich stärker als fast alle anderen Weltbörsen. Warum wenden sich die Investoren von Deutschland ab?

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Börse Frankfurt: Der Absturz kommt am Nachmittag. Quelle: handelsblatt.com

Den Anlegern ist ordentlich der Schreck in die Glieder gefahren. Innerhalb von einer wenigen Minuten rutschte der Dax am Donnerstagnachmittag um vier Prozent ab, nachdem er zuvor noch im Plus notiert hatte. Das Ganze passierte kurz vor Handelschluss. „So etwas habe ich noch nicht oft erlebt“, sagt Markus Wallner, Aktienstratege der Commerzbank.

Sofort spekulierten Börsianer über die Gründe für den plötzlichen Schwächeanfall. Erst sollte es daran gelegen haben, dass das begrenzte Verbot von Leerverkäufen auch auf Deutschland ausgedehnt werden könnte. Dann kamen Gerüchte über eine angeblich drohende Herunterstufung Deutschlands auf Schließlich, als den selbsternannten Experten nichts mehr einfiel, hieß es, technische Probleme seien der Grund. Alle drei Begründungen erscheinen abwegig.

Deutschland hat ungedeckte Leerverkäufe bereits verboten. Darüber hinaus gibt es keine weiteren Pläne, wie Finanzaufsicht und Bafin gestern mitteilten. Auch eine Herunterstufung der Kreditwürdigkeit Deutschlands steht nicht unmittelbar bevor. Die führenden Ratingagenturen dementierten die Gerüchte umgehend. Die Deutsche Börse wiederum erklärte, es habe keine Probleme mit der Technik gegeben. Was bleibt also?

„Es muss eine große Verkaufsorder gewesen sein“, sagt Carsten Klude, Chefstratege von M.M. Warburg. Ähnlich argumentiert Lex van Dam, Fondsmanager bei Hampstead Capital, im Gespräch mit Bloomberg News: „Jeder versucht, den Ausverkauf mit Gerüchten um eine Abstufung der deutschen Bonitätsnote, ein deutsches Verbot von Leerverkäufen oder gar einer Verschiebung der EFSF wegen des Papstbesuches in Deutschland zu erklären. Ich glaube, der wahre Grund steht in Verbindung mit einer riesigen Verkaufsorder für Dax-Futures.“

Auch das klingt zunächst wenig befriedigend, es entspricht aber dem Muster der vergangenen Wochen. Dass der Dax im späten Handel absackt, ist inzwischen die Regel.

US-Investoren verkaufen den Dax

Oftmals sieht es am Morgen gar nicht schlecht aus. Doch am Nachmittag dreht sich das Bild ein ums andere Mal. Damit einher gehen deutlich steigende Umsätze an der Börse in Frankfurt. Der Grund liegt auf der Hand: Die großen Investoren aus Übersee steigen erst am Nachmittag in den Handel bei uns ein. Und das zurzeit selten als Käufer: „Die US-Investoren wollen raus aus Europa. Sie verkaufen den Dax, weil dieser besonders liquide ist, und weil die Investoren hier noch Gewinne mitnehmen können“, sagt Wallner von der Commerzbank.

„Das lässt sich auch empirisch nachweisen“, meint Folker Hellmeyer, Devisenexperte der Bremer Landesbank. Er hat beobachtet, dass der Dax dann schwach ist, wenn auch der Euro gegen den Dollar schwächelt; ein Hinweis darauf, dass mehr Geld in den Dollar-Raum schwappt. „Am frühen Nachmittag kommt es zu Schwäche in der Parität Euro-Dollar. Diese Tendenz, die beispielsweise vom 19. August bis 25. August in der Zeit zwischen 14 Uhr bis 16 Uhr augenfällig ist, unterstützt die These. Dabei spielen fundamentale Aspekt der Unternehmensbewertung derzeit keine Rolle“, sagt Hellmeyer. 

Eindeutige Belege zu finden, ob und wie viele US-Investoren hinter den Verkäufen stecken, ist dennoch schwierig. Klar ist aber: US-Investoren haben in den vergangenen Jahren viel und gerne in den Dax investiert. Damit haben sie dessen rasante Rally erst möglich gemacht, die deutschen Aktienmuffel allein hätten das nicht geschafft. „Ich bin seit 1984 am Markt tätig und in volatilen Zeiten haben die einheimischen Investoren immer auf die Entwicklung in USA gewartet und was die US Investoren mit dem Dax machen würden. Erst dann hat man sich positioniert. Wie das Kaninchen vor der Schlange. Heute ist das vielleicht nicht mehr ganz so schlimm, aber der Respekt vor ausländischem Geld ist groß“, sagt Uwe Zimmer, Chef der Vermögensverwaltung Meridio aus Köln.

Anfang dieses Jahres hielten ausländische Investoren rund 56 Prozent der Anteile der 30 Dax-Konzernen, die meisten davon dürften in den USA beheimatet sein. Der mit Abstand größte Aktionär in Deutschland ist der US-Vermögensverwalter Blackrock. Über passiv und aktiv gemanagte Fonds ist der Investor inzwischen an allen Dax-Unternehmen beteiligt – allein Blackrock hält vier Prozent aller Dax-Aktien.

Dax schlechter als der Rest der Welt

Aus Angst vor einer Rezession ziehen die Investoren nun Geld ab, das sie rund um Globus verteilt haben. Sie parken es in der Heimat, zum Beispiel in Staatsanleihen, oder stecken es in andere „sichere Häfen“ wie Gold oder Geldmarktfonds. Das ist der übliche Mechanismus in Krisenzeiten. „Ausländische Investoren sind am deutschen Markt bestimmend. Bei zunehmender Riskoaversion auf globaler Ebene ergibt sich eine Tendenz, Kapital zu repatriieren. Darunter leidet der Dax überproportional, da es in Deutschland eine unausgeprägte Aktienkultur gibt“, meint Hellmeyer.

Der Dax hat während des Aufschwungs mehr gewonnen als die meisten anderen Börsen der Welt. Jetzt geht es in die andere Richtung. In den letzten vier Wochen hat der deutsche Aktienmarkt fast 25 Prozent verloren – deutlich mehr als der Rest der Welt. Unter 93 beim Datenanbieter Bloomberg gelisteten Aktienmärkten sind im selben Zeitraum nur Griechenland, Zypern und Ukraine schlechter. Zum Vergleich: Der Dow Jones hat in der Zeit „nur“ elf Prozent verloren, der Nikkei in Tokio zwölf Prozent.

„Die überdurchschnittlich starken Kursverluste deutscher Aktien dürften darauf zurückzuführen sein, dass sich der Dax in den vergangenen zwei Jahren besser entwickelt hat als andere Indizes und Anleger noch bestehende Gewinne realisieren wollen“, sagt Klude. Zum anderen seien im Dax besonders viele zyklische und damit konjunkturabhängige Unternehmen enthalten, die unter einer Wachstumsverlangsamung leiden dürften.

Besonders ermutigend klingt das nicht. Zumal ein plötzlicher Einbruch, wie er in den vergangenen Tagen immer wieder vorgekommen ist, noch mehr deutsche Privatanleger verschrecken wird. „ Das Vertrauen wird durch so etwas nicht gerade zunehmen. Es entsteht der Eindruck, die Börse sei nur noch ein Spielcasino“, sagt Klude.

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