Börsen Die Amerikanisierung der Finanzmärkte und ihre Folgen

Marktmacht, cleveres Marketing, Rückendeckung durch Regulierer: Wie US-Finanzinstitutionen es schaffen, dass wir nach ihren Regeln spielen – und welche Folgen die Amerikanisierung der Finanzmärkte für Unternehmen und Anleger hat.

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Platzhirsche aus Amerika

Da waren’s plötzlich vier: Eigentlich sollten ja Morgan Stanley und die Deutsche Bank den für November geplanten Börsengang der Deutschen Bahn organisieren. Völlig überraschend benannte die Bahn aber von Anfang an vier Banken: UBS und Goldman Sachs rutschten als nahezu gleichberechtigte globale Koordinatoren mit ins Konsortium. „Goldman wurde auf massiven Druck aus dem Kanzleramt mitreingenommen“, sagt ein Frankfurter Investmentbanker. Angela Merkel kann gut mit Goldman-Deutschland-Chef Alex Dibelius. Für den zahlt sich das aus: Jede der vier Führungsbanken dürfte mindestens 15 Millionen Euro einnehmen.

Zwei US-Banken, ein schweizerisches und nur ein deutsches Institut dominieren den milliardenschweren Börsengang eines Staatsunternehmens – und alle tun dies im Wesentlichen von London aus. Nichts illustriert besser, welchen Einfluss angelsächsische Institute mittlerweile auf dem heimischen Finanzmarkt gewonnen haben. Warum sind Goldman Sachs & Co. derart dominant? Und welche Folgen hat die Amerikanisierung des Finanzmarktes für Unternehmen und Anleger?

Marketing. Einer der wichtigsten Gründe für die Dominanz: Amerikaner sind geniale Marketingstrategen und Strippenzieher. Gerade die führenden New Yorker Investmentbanken verstehen es meisterlich, Kunden von ihren Vorzügen zu überzeugen und an den richtigen Stellen den Hebel anzusetzen.

Das haben sie in Deutschland schon lange vor dem Bahn-Börsengang bewiesen. Der Startschuss zur Expansion der US-Finanzinstitute fiel 1985, als die Bundesbank den Anleihenmarkt liberalisierte. Plötzlich standen US-Investmentbanker bei deutschen Unternehmen auf der Matte, eine breite Palette von Angeboten im Gepäck. Vieles wirkte innovativ, überraschend und lukrativ: Swap-Geschäfte, Optionen, Kapitalerhöhungen, die man gleich wieder rückgängig machen konnte, Aktien ohne Stimmrechte. „US-Banken konnten Kunden eine Wundertüte von Finanzinstrumenten anbieten – auch wenn Wunsch und Realität oft nicht übereinstimmten“, sagt ein deutscher Banker. Denn das Problem war: Vieles, was in den USA ging, war nach deutschem Recht unmöglich.

Selbst als die forschen Investmentbanker merkten, dass etwa Kapitalerhöhungen ohne Bezugsrecht hier nicht funktionierten, warf sie das nicht aus der Bahn. Ein Banker, der lange für US-Institute gearbeitet hat, erklärt das Prinzip so: „Später erklärte man dann, dass es geringfügige Probleme gibt. Doch dann hingen die Fische längst schon an der Angel.“

Dort hängen sie bis heute, vor allem in der Königsdisziplin des Investmentbanking, dem Geschäft mit Fusionen und Übernahmen (M&A): Goldman Sachs und Morgan Stanley führen die deutsche M&A-Rangliste an. Nur die Deutsche Bank und die beiden Schweizer Institute UBS und Crédit Suisse – deren Investmentbanking-Arme aber durch Zukäufe in den USA entstanden sind – können da noch mithalten.

Im Kampf um lukrative Deals hilft eine stolze Riege bestens vernetzter Berater. Bei Lehman Brothers ist etwa Ex-Außenminister Klaus Kinkel mit im Boot, bei Goldman Sachs Ex-EZB-Chefvolkswirt Otmar Issing und bei Merrill Lynch der frühere Jenoptik-Chef Lothar Späth.

Aber aggressives Marketing und gute Berater sind nicht alles. Die Investmentbanken profitieren bei der Expansion zudem von ihrer unantastbaren Position auf dem größten Finanzmarkt der Welt, von der Rückendeckung amerikanischer Politiker und vom Flankenschutz mächtiger US-Institutionen.

Marktmacht. Finanzkrise hin, US-Leistungsbilanzdefizit her: Der Finanzplatz New York bleibt das Maß aller Dinge. Hier ist mit Abstand das meiste Geld zu holen. Allein US-Pensionsfonds managen nach Zahlen der OECD 15,9 Billionen Dollar an Ruhestandsgeldern, das entspricht 61 Prozent des Weltmarktes. Deutsche Pensionskassen kommen auf eine Quote von zwei Prozent.

Institute wie Goldman, JP Morgan oder Lehman sind seit dem 19. Jahrhundert integraler Bestandteil des Finanzplatzes – und deshalb omnipräsent und bestens verdrahtet. Das garantiert gute Geschäfte, schließlich wollen Unternehmen aus aller Welt möglichst viele und finanzkräftige Investoren erreichen, wenn sie Aktien oder Anleihen platzieren – und Kontakte zu Super-Anlegern wie dem 250 Milliarden Dollar schweren US-Pensionsfonds Calpers und etlichen Hedgefonds laufen eben nur über die US-Investmentbanken.

Was liegt näher, als sie bei Deals mit ins Boot zu holen? „Vielleicht brauchen wir sie nicht, aber wenn wir sie brauchen und sie nicht dabei haben, haben wir ein Problem“, skizziert ein Frankfurter Investmentbanker die Überlegungen, die so manchem deutschen Finanzvorstand im Kopf herumschwirren.

Hank Paulson: Früher Goldman- Quelle: REUTERS

Wie unantastbar Goldman & Co. daheim sind, zeigen ihre hohen Gewinnspannen. Für Aktienplatzierungen etwa kassieren sie in den USA einheitlich sechs bis sieben Prozent des verkauften Volumens – fast doppelt so viel wie in Europa. Das sorgt für kräftigen Rückenwind bei der Expansion, die Investmentbanker können hierzulande oft Kampfkonditionen bieten. Einige prestigeträchtige Deals sollen sie sogar nahezu gratis durchgezogen haben, um einen Fuß in die Tür zu kriegen. „Wer eine Trophäe der Deutschland AG erobert hatte, dessen Bonus war gesichert – egal, ob die Bank an dem Deal verdiente oder verlor“, berichtet ein Investmentbanker. So wird Oligopolen der Boden bereitet, die früher oder später dann auch eine Anhebung von Gebühren möglich machen.

Rückendeckung. Um die starke Heimatbasis müssen sich die Institute nicht sorgen – darüber wacht in den USA die hohe Politik. Die Verbindungen der Investmentbanker nach Washington sind hervorragend, schließlich gehören sie stets zu den größten Spendern im Wahlkampf. Inzwischen ist mit Ex-Goldman-Chef Hank Paulson ein Mann US-Finanzminister, der die Bedürfnisse der Branche bestens kennt.

Finanzmarktfreundliche Politik hat in Amerika Tradition. So sind strenge Verbraucherschutzvorschriften, die etwa Banken oder Kreditkartengesellschaften ein Korsett anlegen, weitgehend unbekannt. Die Finanzlobby schaffte es vor zwei Jahren sogar, das private Schuldrecht zu verschärfen, das überschuldeten Verbrauchern bis dahin einen einfachen Ausweg aus der Schuldenklemme ermöglicht hatte.

Auch in der US-Notenbank Fed finden Finanzmarkt-Akteure oft einen hilfsbereiten Partner. Fed-Chef Ben Bernanke und seine Mannen nehmen stärker Rücksicht auf die Interessen der Marktteilnehmer als ihre Pendants bei der EZB. So fädelten sie im März den Notverkauf der Bank Bear Stearns an JP Morgan ein – und sind auch immer schnell zur Stelle, wenn der Ruf nach Zinssenkungen laut wird.

Dank Politikern und Notenbankern brennt also daheim nichts an – doch sie sind nicht die einzigen Helfer der Investmentbanker. Mindestens genauso wertvoll ist der Flankenschutz der mächtigen US-Ratingagenturen und Bilanzlobbyisten, die dafür sorgen, dass amerikanische Regeln in die Welt exportiert werden – und dass sich New Yorker Banker in Frankfurt, Paris und Tokio gleichermaßen zu Hause fühlen.

Ratingagenturen. Angela Merkel missfällt die Dominanz. „Wir haben, was die Regulierung, die Transparenz und die Standardsetzung der Finanzmärkte anbelangt, nach wie vor ein sehr stark angelsächsisch dominiertes System“, kritisierte die Bundeskanzlerin Mitte Juni im Interview mit der „Financial Times“. Skeptisch sieht Merkel vor allem die Rolle der US-Ratingagenturen wegen ihres Versagens in der Finanzkrise. Mittelfristig brauche Europa eine eigene Ratingagentur, forderte sie.

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