
Um ein Haar wäre ich kürzlich mit Schwung die Treppe eines Altbaus im Frankfurter Norden herunter gesegelt - nur ein beherzter Griff zum Geländer rettete mich davor, mir, wenn nicht das Genick, so doch zumindest einige Knochen zu brechen. Die Stufen im Treppenhaus jenes durch den Verkäufer als im Original erhaltene Pretiose der Architektur des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts angepriesenen Immobilie waren dermaßen abgewetzt, dass Eiskunstläufer auf ihnen problemlos ihre Pirouetten hätten drehen können. Auch die Wohnung selbst, die zu besichtigen ich an jenem Tag aufgebrochen war, erwies sich als Paradebeispiel für die zumeist diametral entgegen gesetzte Wahrnehmung der Realität durch Verkäufer auf der einen und potentielle Käufer auf der anderen Seite.
So entpuppte sich die "Lage im malerischen Holzhausenviertel" als eine solche mit Blick auf die Eschersheimer Landstrasse, eine der meist befahrenen Ein- und Ausfallstrassen der Stadt. Das an sich wäre noch nicht so schlimm gewesen, hätten nicht alle Räume jener Wohnung mit Ausnahme der Küche zu eben jener lautstark auf sich aufmerksam machenden Strasse gelegen. Dass die Wohnung zudem noch merkwürdig verwinkelt geschnitten war und man für den geforderten Kaufpreis in der lieblichen Idylle Mecklenburg-Vorpommerns ganze Landstriche hätte kaufen können, ließ mich endgültig die allem Anschein nach zu überstürzte Flucht antreten, an deren Ende ich mir fast die Ohren gebrochen hätte.
Immer wieder werden dieser Tage Immobilien als Schutz vor der Inflation angepriesen - kein Wunder in Zeiten weltweit explodierender Lebensmittel- und Energiepreise und einer gefährlichen Staatsschuldenkrise in Europa. Doch eine Immobilie zu kaufen, ist leichter gesagt als getan. Hier haben die Götter wahrlich vor den Erfolg den Schweiß gesetzt. Das für den eigenen Geschmack und die persönliche Lebenslage richtige Objekt zu finden, gleicht mehr und mehr dem berühmten " Sechser" im Lotto. Und das trifft nicht nur auf Altbauten zu.
Einraum-Wohnungen...
"Prachtvoller Wohnraum", "fantastischer Skylineblick", "raffiniert komponierte Ausstattung", "luxuriöses Wohnambiente" und nicht zu vergessen "großzügige, offene Architektur": Mit solchen oder ähnlichen Superlativen warten Projektentwickler regelmäßig auf, wenn es darum geht, Eigentumswohnungen in besten Innenstadtlagen an den Mann zu bringen. Wer auf den einschlägigen Seiten im Internet durch die Angebote in Deutschlands Großstädten scrollt, der findet zahllose solcher Neubauprojekte. Computeranimationen, auf denen der zukünftige Wohnraum stets merkwürdig spartanisch, geradezu postmodern kühl wirkt, sollen potentiellen Interessenten dabei den Kauf schmackhaft machen. Ein Blick auf den Grundriss zeigt dabei oft, was mit "großzügiger, offener Architektur" gemeint ist: Nichts weiter, als dass die Maurer unmittelbar nach Errichten der Grundmauern in einen Streik getreten sein müssen und man deshalb Küche, Ess- und Wohnzimmer in nur einem einzigen Raum vorfindet. Schrecklich. Aber so wahnsinnig "modern" und "chic", wenn einem beim Lesen von Schopenhauers Aphorismen noch diverse Küchendüfte um die Nase wehen.
...für eine Million und mehr
Nicht selten durchbrechen solche Angebote in punkto Kaufpreis dabei die "Eine Million Euro Schallmauer" nach oben. Nichtsdestotrotz können die Verkäufer solcher Luxusimmobilien allem Anschein nach nicht über mangelnden Zuspruch klagen. Ganz im Gegenteil. Aber auch weniger attraktive und kleinere Objekte sind begeht. So berichtete das ARD Wirtschaftsmagazin "Plusminus" in seiner letzten Sendung über einen neuen Trend. Mittlerweile müssen sich in Deutschlands Großstädten nicht nur potentielle Mieter um die wenigen verfüg- und vor allem bezahlbaren Wohnungen prügeln. Auch bei Zwangsversteigerungen von Objekten herrscht zurzeit ein Andrang, wie man ihn sonst nur in Buchläden beim Verkaufsstart eines neuen "Harry Potter" Romans kennt. So soll kürzlich in München eine 48 Quadratmeter große Eigentumswohnung, deren Verkehrswert auf circa 150.000 Euro geschätzt wurde, für über 300.000 Euro den Besitzer gewechselt haben.