Fair Value-Bilanzierung Bilanzen und Bilanzregeln: Vertrauen verspielt

Die Finanzkrise hat auch das Vertrauen in die Bilanzregeln erschüttert, die dem Desaster Vorschub leisteten. Die Verantwortung dafür liegt jedoch bei den Managern.

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Grün, Rot oder Schwarz: Quelle: AP

Welchen Geschäftsbericht hätten Sie denn gern? Den in Grün, Rot oder in Schwarz? Kein Scherz, bei Audi haben Sie die Wahl. Die jüngste Jahresbilanz soll der geneigte Interessent „erleben“, wie der Ingolstädter Autokonzern werblich preist. Je nach Geschmack in drei verschiedenen Farben. Unverhohlen zeigt Audi, was eine Jahresbilanz ist: Marketing. So perfekt wie die Bayern hat noch kein Konzern eine Bilanz designt. Auf den ersten 125 Seiten des Geschäftsberichts feiert sich die Marke. Es wird über Farbenlehre bei Autos schwadroniert und über den „Siegeszug des TDI“. Mehrseitige Porträts – etwa über Hollywood-Legende Clint Eastwood oder Jungstar-Tenor Juan Diego Flórez – polieren den Bericht auf. Dagegen wirkt manches Hochglanz-Magazin blass. Was das Ganze soll, erschließt sich nicht. Oder doch? Die Bilder lenken schön von den harten Zahlen ab – dem zweiten Teil der 261 Seiten starken „Bilanz“.

Die Bilanz als Marketinginstrument einzusetzen, hat Methode

Noch nie zuvor ist einer breiten Öffentlichkeit die Diskussion um Sinn und Unsinn von Bilanzierungsregeln so anschaulich vor Augen geführt worden. Im Zentrum der Debatte steht die Bilanzierung nach dem Fair Value. Der Terminus steht für eine Methode, die fordert, Bilanzvermögen und -schulden zeit- und marktnah zu bewerten. Insbesondere Banken, aber auch Industrieunternehmen müssen diese seit einigen Jahren anwenden – zumindest dann, wenn sie auf den Kapitalmärkten mit Aktien oder Schuldpapieren auftreten. Das hehre Ziel: Investoren (Gläubiger, Kunden und Lieferanten interessieren hier nur noch am Rande) soll ein möglichst detail- und stichtagsgetreues Bild über die Vermögens- und Schuldensituation sowie unterm Strich den Unternehmenserfolg (den Gewinn) gegeben werden. Soweit, so alt, so diskussionswürdig:

Streitpunkt "Fair Value"

„Jeder Kaufmann ist verpflichtet, Bücher zu führen, aus welchen seine Handelsgeschäfte und die Lage seines Vermögens vollständig zu ersehen sind. Bei der Aufnahme des Inventars und der Bilanz sind sämtliche Vermögensstücke und Forderungen nach dem Werthe anzusetzen, welcher ihnen zur Zeit der Aufnahme beizulegen ist. Zweifelhafte Forderungen sind nach ihrem wahrscheinlichen Werthe anzusetzen, uneinbringliche Forderungen aber abzuschreiben.“

So stand es im Jahr 1861 im Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch (ADHGB), dem Vorläufer des heute noch gültigen HGB. Auch damals galt eine zeit- und marktnahe Bewertung, ein Fair Value also. Nach der Reichseinheit 1871 nutzten die Unternehmen der damaligen Gründerzeit den Ermessensspielraum, den ihnen das Gesetz ließ, weidlich aus; nicht tatsächlich erwirtschaftete Gewinne wurden ausgeschüttet, viele Unternehmen brachen später zusammen. Eignern von Schuldtiteln und Aktionären blieben nur wertlose Papiere.

1884 schließlich novellierte das Reich das Handelsgesetzbuch. Vermögen wurde demnach mit den Anschaffungs- und Herstellkosten (also dem Kaufpreis oder dem Preis der Produktion) bilanziert, vermindert um möglicherweise notwendige Abschreibungen – eine Regel deutscher Machart, die bis heute das Handelsgesetzbuch dominiert. In diesem April wird diese Regel im Zuge einer Novellierung des HGB für den Finanzsektor möglicherweise aufgeweicht. Ironischerweise werden gleichzeitig internationale Bilanzregeln den (bereits im vergangenen Herbst ausgedünnten) Fair Value aussetzen. Damit brauchen vor allem Banken einen weiteren Verfall ihrer Anlagen nicht zu berücksichtigen, sie müssen nicht weiter abschreiben. Vermögen und Eigenkapital erscheinen damit in einem besseren Licht.

Die meisten Bilanzpositionen basieren auf Annahmen des Managements

Die Frage, wie nachhaltig die Bilanz eines Unternehmens sein kann, ist also schon Jahrhunderte alt, wird aber immer wieder neu gestellt – vor allem dann, wenn es in den Bilanzen kollektiv mächtig rappelt. Und die Antwort – gleich vorab – ist immer dieselbe: Es kommt darauf an. Fakt ist, dass zur Beurteilung eines Zahlenwerkes mehr gebraucht wird, als Bilanzkenntnisse. Denn die heutigen Zahlenwerke – international nach dem Fair Value aufgestellt – basieren zum allergrößten Teil auf Annahmen des Managements.

Studien zufolge gibt es generell für 95 Prozent (!) aller bilanzierten Werte, für die ein Fair Value angesetzt werden soll, keinen Markt. Rund zwei Drittel aller Bilanzpositionen insgesamt werden fiktiv ermittelt – je nach Unternehmen wird mal mehr, mal weniger angesetzt. Insbesondere gilt das für Geldhäuser. Bei der Deutschen Bank mit ihren 2200 Milliarden Euro Bilanzsumme basieren demnach leicht 1000 Milliarden an bilanziertem Vermögen (und Schulden) auf Annahmen, deren Wahrhaftigkeit sich erst über die Jahre erweisen muss.

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