Finanzkrise Das Gift des Misstrauens erreicht die Banken

Die Banken stehen vor großen Problemen. Das trägt wesentlich zur Alarmstimmung an den Märkten bei. Denn besonders Bankaktien verlieren dramatisch an Wert.

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Gewitterwolken haengen am Quelle: dapd

Jürgen Stark ist Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank. Er weiß um die Macht des Wortes. Er weiß aber auch um die Macht des Unausgesprochenen und die Angst vor dem Vermuteten.Deshalb formulierte Stark im Handelsblatt-Gespräch so offen wie möglich und so undeutlich wie nötig. "Banken in bestimmten Regionen des Euro-Gebiets bevorzugen es, ihre überschüssige Liquidität bei der EZB zu deponieren, anstatt sie an andere Banken auszuleihen. Dieses Signal nehmen wir ernst", sagte er.

Diese Worte rufen Erinnerungen an den September 2008 wach, als die Investmentbank Lehman Brothers pleiteging und der sogenannte Interbankenmarkt, an dem sich die Geldhäuser untereinander Geld leihen, in Schockstarre verfiel. Nur dank staatlicher Geldinfusion wurde der Zusammenbruch des Weltfinanzsystems verhindert.

Jetzt stehen die Banken erneut vor großen Problemen: Nicht nur die peripheren Staaten der Euro-Zone leiden an Überschuldung. Mit Italien und jetzt auch Frankreich rücken Kernländer ins Visier der Märkte. Und die Schulden dieser Länder liegen in Form von Staatsanleihen zum Großteil bei Banken. Verlieren sie an Wert, belastet das deren Bilanzen.

Und im Ernstfall taucht erneut die Frage auf: Wer rettet die Banken? Der Retter von gestern jedenfalls - die Staaten - sind heute in deutlich schlechterem Zustand als damals.

Das alles versetzt die Märkte in Alarmstimmung. Bankaktien verlieren dramatisch an Wert. Innerhalb von vier Wochen verlor der europäische Aktienindex Stoxx-Europe-600- Banks fast 30 Prozent. "Zurzeit werden die Banken gemieden, die besonders viele Anleihen aus Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien halten", sagt Thomas Mayer, Chefvolkswirt der Deutschen Bank.

Viel bedrohlicher als die Kursverluste allerdings ist der drohende Liquiditätsengpass - die sensibelste Stelle im Bankensystem. Die Banken, die die Lage ihrer eigenen Branche am besten beurteilen können, misstrauen einander. Als Alarmsignal gilt der sogenannte Euribor-Overnight-Index-Swap-Spread, der den Zinsunterschied zwischen einem Übernachtkredit und dem Dreimonatskredit abbildet. Seit Anfang Juli hat sich dieser Index auf einen Wert von 0,7 verdreifacht. Er liegt jetzt auf dem Niveau vom Frühjahr 2009, als die Schockwellen nach der Lehman-Krise gerade abebbten. Auf dem Höhepunkt der Krise lag dieser Wert bei 2,0. "Refinanzierung und Liquidität sind derzeit ein Riesenthema", sagt Thomas Stögner, Bankanalyst von Macquarie Securities.

Für Kreditausfallversicherungen werden rekordverdächtige Summen fällig

Wie kritisch die Lage ist, zeigen auch die Kreditausfallversicherungen, im Branchenjargon Credit Default Swaps (CDS) genannt. Mit CDS sichern sich Investoren gegen eine Bankpleite ab. Derzeit müssen sie für eine solche Versicherung rekordverdächtige Summen zahlen. Die Absicherung eines zehn Millionen Euro großen Portfolios aus europäischen Bankanleihen über fünf Jahre kostet derzeit 237.000 Euro jährlich. Selbst drei Tage nach der Lehman-Pleite kostete die Absicherung nur 144.000 Euro.

Andrew Haldane von der britischen Notenbank spricht bereits offen vom "Angst-Faktor" an den Märkten. Sichtbares Zeichen für die Skepsis der Investoren gegenüber der Finanzbranche: Das IT-Unternehmen Apple ist jetzt mit 340 Milliarden Dollar so viel wert wie die 32 größten europäischen Banken zusammen.

Fazit: Die Zahlungsunfähigkeit einer der Problembanken ist angesichts der Wachsamkeit der Staaten und der EZB nicht wahrscheinlich. Aber sie ist auch nicht mehr auszuschließen.

In welchem Maße sich die Banken untereinander misstrauen, zeigt auch die Tatsache, dass sie über Nacht überschüssige Liquidität bei der EZB parken, anstatt sie anderen Banken gegen Zinsen zu leihen. Allein auf Montag lagerten die Banken 107,2 Milliarden Euro bei der EZB ein. Das ist ein sprunghafter Anstieg: Zwischen vergangenem Donnerstag und Freitag waren es nach Aussage von Chefvolkswirt Jürgen Stark noch 90,5 Milliarden Euro, zwischen Mittwoch und Donnerstag 82,2 Milliarden Euro. Die Lage sei noch nicht vergleichbar mit der Situation im Herbst 2008. Damals lagen zeitweise 200 Milliarden Euro im EZB-Depot. Doch für die Branche ist das ein alarmierendes Signal.

Nach Auffassung von Thomas Stögner, Bankanalyst von Macquarie Securities, achten die Investoren bei den Banken derzeit vor allem auf die "kurzfristige Finanzierung". Und das mit gutem Grund: Banken finanzieren einen Großteil ihrer Aktivitäten auf Pump. Die Analysten der Royal Bank of Scotland haben ausgerechnet, dass Banken ihr Geschäft im Durchschnitt zu 40 Prozent mit kurzfristigen Krediten vom Geldmarkt finanzieren. Nur vier Prozent des Geschäfts finanzieren sie mit Eigenkapital. Deshalb sind Engpässe am Geldmarkt, an dem sich Banken von anderen Banken oder von Geldmarktfonds Mittel leihen können, so gefährlich.

Auch am Finanzplatz London wächst die Furcht, dass die Refinanzierungsprobleme der europäischen Banken zum Auslöser der nächsten Bankenkrise werden könnten. "Die Kreditkonditionen verschlechtern sich zusehends, die Situation im Bankensystem ist auf jeden Fall angespannt, wenn nicht schlimmer", warnen die Experten des britischen Brokers Shore Capital.

Amerikanische Geldmarktfonds haben bereits angefangen, sich aus europäischen Banken zurückzuziehen. Im Juli haben sie ihre Bonds aus der Euro-Zone um rund zehn Prozent auf 340 Milliarden Dollar reduziert, wie Berechnungen von JP Morgan zeigen.

Einem Bericht des "Wall Street Journal" zufolge sorgt sich auch die regionale Notenbank aus New York um die Refinanzierungsbedingungen europäischer Banken, die Ableger in den USA haben. In den vergangenen Tagen hätten mehrere Gespräche stattgefunden, heißt es in dem Artikel. Die Amerikaner hätten sich vergewissern wollen, ob die Banken verlässliche Finanzierungsmöglichkeiten hätten. Ein Sprecher der regionalen Notenbank wollte sich nicht dazu äußern. Er verwies auf Äußerungen des New Yorker Fed-Präsidenten William Dudley. Der sagte, dass die Fed europäische und amerikanische Banken täglich und gleichermaßen beobachte.

Auch die Deutsche Bank beschwichtigt. "Die Wahrscheinlichkeit, dass es eine waschechte Liquiditätskrise wie 2008 gibt, ist relativ gering", schreibt Matt Spick, Analyst der Deutschen Bank, in einer Studie. Schließlich seien die Zentralbanken besser darauf vorbereitet, den Banken Notfallkredite zur Verfügung zu stellen. Aber auch er warnt: "Wir sehen eine sich langsamer entwickelnde, aber dennoch toxische Refinanzierungskrise."

Tatsächlich haben die Notenbanken nach der Lehman-Pleite eine ganze Reihe von Instrumenten geschaffen. Ein Teil dieser Notmaßnahmen sind bis heute in Kraft, weil viele Banken aus den Krisenstaaten anders gar nicht mehr überleben könnten. Eine der wichtigsten Maßnahmen: Die Banken können sich regelmäßig für bis zu drei Monate so viel Geld von der EZB leihen, wie sie wollen, und das zu einem festen Zinssatz. Vor der Lehman-Pleite legte die EZB einen bestimmten Betrag fest und verteilte diesen an die Banken, die am meisten boten. Eigentlich sollten die Maßnahmen im Herbst auslaufen. Doch zumindest einwöchige Kredite werden noch "so lange wie nötig" nach diesem System vergeben. Außerdem verlängerte die EZB erst im Juni ein Abkommen mit der US-Notenbank, das ihr erlaubt, einwöchige Dollar-Kredite an die Banken der Euro-Zone zu vergeben.

Das Problem: Der Gang zur Notenbank ist ein Stigma. Kein Institut gibt freiwillig zu, dass es von anderen Banken keinen Kredit erhält. Das illustriert die Aufregung, die am Freitag in der Schweiz herrschte. Zuvor war bekannt geworden, dass die Notenbank einem Schweizer Institut einen Dollar-Kredit über 200 Millionen Dollar vergeben hatte. Die beiden Schweizer Großbanken UBS und Credit Suisse dementierten postwendend. Sie hätten das nicht nötig gehabt. Welche Bank es war, ist immer noch offen.

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