Finanzkrise Es lebe die Spekulation!

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Nicht die Spekulation war für Defoe die Gefahr, sondern die Selbstbereicherung einer Geldelite im Namen der Spekulation. Als Bonus-Jäger, so darf man ihn modern übersetzen, verwirkt der Spekulant seine Existenzberechtigung: Er versteckt künftige Risiken, statt sie auszuspähen (lat. spekulieren) und sich so verdient zu machen.

Die Täuschung, von der Defoe spricht, entstand jedoch nicht an der Börse allein; sie geschah unter der billigenden Aufsicht des Staates: Die britische Regierung verkaufte ihre Schulden an die South Sea Company – und ermunterte das Unternehmen, immer neue Aktien unters Volk zu jubeln.

Die Regierungschefs der G20-Länder täten deshalb gut daran zu denken, dass auch die aktuelle Krise ihren Ursprung nicht etwa in „Exzessen der Märkte“ hat (Bundeskanzlerin Angela Merkel), sondern im Doppelpassspiel von libertärer Wirtschaftsideologie und ungehemmter Geldschöpfung.

In den USA wurde die Mittelschicht mit billigen Hypotheken und Kreditkarten über den Ernst ihrer realen (Lohn-)Lage hinweggetäuscht; so ließ sich elegant die nächste Wahl gewinnen – und am oberen Ende der Gesellschaft prächtig Geld verdienen.

Es hat in Washington nicht zu wenig staatliche Aufsicht gegeben, sondern zu viel staatlichen Einfluss: Die Politik hat die Finanzmärkte nicht etwa in Ruhe gelassen, sondern ostentativ weggeschaut. Und die Labour-Partei in Großbritannien setzte darauf, dass eine Nation der Hausbesitzer sich bei steigenden Immobilienpreisen den Wohlfahrtsstaat sparen könne.

Die Folge war, dass die Verbraucher sich überschuldeten – und England sich so lange aus milden Rezessionen hinaus konsumierte, bis die Finanzkrise zuschlug.

Die Finanzmärkte können stabilisiert werden

Die Konsequenz, die daraus zu ziehen ist, heißt nicht blinde staatliche Regulierung, sondern strikte Neutralität bei der Beobachtung der Märkte. Die Politik sollte sich nicht anmaßen, Richtlinien zu beschließen, ohne die richtige Richtung zu kennen.

Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann hat ein unabhängiges Gremium aus namhaften Ökonomen gefordert, das die Finanzmärkte im Auftrag aller Teilnehmer fachlich aus nächster Nähe und institutionell aus größtmöglicher Distanz begutachtet. Ein solches Gremium könnte, mit einem politischen Mandat ausgestattet, am ehesten im Sinne Defoes die Grenze markieren, die Spekulation von Geldschneiderei trennt – und all die Vorschriften zu Eigenkapitaldeckung, Zweckgesellschaften, Ratingagenturen und Managervergütung nicht nachholend oder vorauseilend, sondern laufend einfordern.

Die Finanzplätze würden dadurch nicht geschwächt, sondern stabilisiert – zumal sich der Schwerpunkt des Geschäfts derzeit ohnehin weg von der Spekulation bewegt. Künftig müssen Institute mit starkem Investmentbanking mehr Eigenkapital vorhalten; auch müssen mindestens fünf Prozent von verbrieften Kreditpaketen im Institut verbleiben.

Die Deutsche Bank wendet sich wieder verstärkt dem traditionellen Privatkundengeschäft zu. Während das Institut im „Global Markets“-Team in New York und London 900 Stellen abbaut, will es in Deutschland neue Filialen aufmachen und 2500 Kundenberater einstellen.

Die Hedgefonds-Branche ist von diesem Umbruch noch stärker betroffen: Jeder Dritte wird die Krise nicht überleben, sagt Emmanuel Roman, Co-Chef des britischen Hedgefonds GLG – und wenn das Geschäft der Gescheiterten nicht auf die Gewinner der Krise übergehe, „müssten Investmentbanken ihr Personal um bis zu 25 Prozent reduzieren“, sagt Berater Lang.

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Kein Wunder, dass Insider wie Sy Schlüter die ehemals begehrtesten Jobs in der Finanzbranche nicht mehr für attraktiv halten. „Ich rate jungen Leuten davon ab, zu Investmentbanken zu gehen“, sagt der 40-jährige Gründer der Hedgefonds-Gesellschaft CAI: „Die Hälfte der Leute dort wird in drei Jahren keinen Job bei einer Investmentbank mehr haben.“

Vor allem Prime-Broker dürfte es treffen: Bankabteilungen, die im Auftrag von Hedgefonds arbeiten und ihnen Geld leihen. Weil Hedgefonds häufiger Aktien und Derivate handeln als andere Investoren, zahlen sie hohe Gebühren; auf dem Höhepunkt ihrer Macht trugen sie mehr als ein Viertel zum Gewinn der Investmentbanken bei. Frankfurt verschlief das lukrative Geschäft – anders als London – und darf sich heute darüber freuen: Die Investmentbanken reduzieren ihr Risiko, verlangen mehr Sicherheiten – und zwingen die Fonds zur Aufgabe.

Für die Zukunft der Spekulation ist es ein Glück: Jetzt wird sich zeigen, wer nur ein guter Bonusjäger war – und wer ein guter Spekulant. Die Gewinner in der Finanzkrise sind die Contrarians, also die, die gegen die Herde wetteten, die den Wahnsinn des politisch aufgepumpten US-Immobilienmarkts früh erkannten – und rechtzeitig dagegenhielten.

So wie John Paulson, dessen Hedgefonds, in dem er selbst investiert ist, heute 36 Milliarden Dollar schwer ist. „2005 wurden wir sehr besorgt wegen der schwachen Kreditvergabestandards und der falschen Bewertung der Risiken“, sagte er jüngst bei einer Anhörung des US-Kongresses. Und was tat Paulson? Er kaufte Versicherungen gegen den Ausfall von Kreditpapieren, die er für faul hielt – und strich persönlich 3,7 Milliarden Dollar ein.

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