Finanzkrise Es lebe die Spekulation!

Die Finanzmärkte werden als großes Kasino denunziert, die Attraktivitätskurse der Handelsplätze purzeln. Warum Wetten auf die Zukunft dennoch kein Glücksspiel sind – und mit welchen Chancen Frankfurt, London und New York aus der Krise hervorgehen.

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Illustration: The South Sea Bubble, Angus McBride Private Collection (c) Look And Learn / The Bridgeman Art Library

Die 300 Banker im Saal „Harmonie“ des Frankfurter Kongresszentrums schauten betreten auf ihre blank polierten Schuhe. Jürgen Heraeus, Eigner des gleichnamigen Edelmetallkonzerns und als Chef von Unicef Deutschland sozusagen von Amts wegen der Moral verpflichtet, erinnerte an den Anstieg der Nahrungsmittelpreise Mitte des Jahres und bezichtigte die Spekulanten der Verbreitung von Not und Elend: „Der Anstieg des Weizenpreises hatte nichts mit wachsender Nachfrage zu tun, sondern mit Spekulation“, sagte Heraeus während der „Euro Finance Week“ und: „Wir müssen überlegen, wie wir das einschränken können.“

Schon einmal, vor fast 120 Jahren, zog in Deutschland eine Bewegung gegen die Spekulation zu Felde. Großgrundbesitzer rebellierten gegen Wetten auf fallende Weizenpreise, forderten ein Verbot von Termingeschäften. 1896 wurde aus dem Protest ein Gesetz – sehr zum Verdruss des Nationalökonomen Max Weber.

Der Sachverständige im „provisorischen Börsenausschuss“ sah „die Hebung“ Deutschlands „im Wettbewerb der Staaten“ aufs Spiel gesetzt: Als kapitalarmes Land könne das Reich nur dann eine Rolle auf den weltweiten Märkten spielen, wenn Termingeschäfte zugelassen würden. Es gehe nicht um Fragen der „Moralität“, sondern „um die technische Frage der Sicherung korrekter Preisbildung und um die politische Frage der Stärkung der deutschen Märkte auf Kosten anderer“.

Dreieinhalb Generationen später ist der nationalistische Zungenschlag aus der Diskussion verschwunden, die Frage nach der Moral der Märkte in einer internationalen Konkurrenzsituation aber offener denn je. Das plötzliche Verblühen des Investmentbanking an der Wall Street verändert New York so gut wie das Welken der Hedgefonds-Branche die britische Finanzmetropole London. Das Selbstverständnis der Bankmanager ist verkümmert; die selbst ernannten Leitwölfe der Weltwirtschaft ziehen waidwund ihre Köpfe ein.

680 Billionen Dollar an Derivaten haben Spekulanten im Juni 2008 um die Welt geschickt – elfmal so viel wie das Welt-Bruttoinlandsprodukt. „Absicherung von Risikogeschäften“ haben sie das genannt – und die Absicherung mit immer höheren Risiken erkauft. Jetzt steht die Zukunft der Spekulation auf dem Spiel – und mit ihr die Zukunft der Finanzplätze. Welche Form der Spekulation hat also noch eine Zukunft – und wo?

Frankfurt profitiert und leidet weniger als andere Börsen

Frankfurt hat weniger vom Boom der Spekulation profitiert als seine Rivalen, also leidet es auch heute nicht so stark. Ihre Investmentteams haben die Banken im Boom nach London und New York ausgelagert; dort reagieren die Institute heute mit Entlassungen. „Wir erwarten im Investmentbanking einen Stellenabbau von 5 bis 15 Prozent – in London und New York mehr, in Frankfurt weniger“, sagt Olaf Lang, Manager bei der Unternehmensberatung Towers Perrin.

New York trifft es besonders hart. Fünf Prozent der Beschäftigten waren dort 2007 im Wertpapiergeschäft tätig, verdienten im Schnitt 400.000 Dollar, bescherten der Stadt ein Viertel ihrer Einkünfte. An jeder dieser Stellen hängen statistisch 2,3 weitere Jobs. Anwälte und Immobilienmakler haben vom Boom profitiert, ebenso Beschäftigte in Restaurants. Prognosen zufolge werden bis Ende 2009 bis zu 220.000 Arbeitsplätze wegfallen.

Die USA haben sich als spekulative Nation der fortwährenden Zukunft erfunden. Schon die Entdeckungsreise von Christoph Kolumbus war eine „kolossale Spekulation“ (Historiker George Gibson); in der Figur des frontierman verbinden sich Risikofreude und Pioniergeist zum Idealtyp des US-Bürgers, der zuversichtlich aufbricht zu neuen Ufern. „Wenn die Spekulation stirbt, stirbt dieses Land auch“, so William P. Hamilton, der Gründer des „Wall Street Journals“.

Vorerst sterben Träume; wie der von Jim Arenson, 61 Jahre, ehemaliger Bauunternehmer aus Maine. Jim beobachtet Verluste in seinem Aktiendepot mit einer Mischung aus Resignation und Trotz. Die nächste Welle wollte er erwischen, investierte in Solaraktien, Umweltwerte. Einige Papiere haben im November an einem einzigen Tag 40 Prozent verloren. „Jetzt halte ich sie fest“, sagt er, „ihre Zeit wird schon noch kommen.“

Jim verhält sich lehrbuchgerecht. Nach der klassischen Definition des US-Juristen Oliver Wendell Holmes liegen Kraft und Wert der Spekulation in der „Selbstanpassung der Gesellschaft an das Wahrscheinliche“, das heißt: Die Spekulation repräsentiert das Künftige als gegenwärtige Wahrscheinlichkeit – und steigert aus sich selbst heraus die Chance, dass eintrifft, über was sie Vermutungen anstellt.

Entsprechend zeichnet hoffnungsfrohe Beobachtung an der Börse den Spekulanten aus: Wie durch ein Fernglas beobachtet er Firmen, schätzt ihre Aussichten ein, erwirbt ihre Aktien, um sie beizeiten zu verkaufen. Damit entspricht der Spekulant der klassischen Denkfigur des Homo oeconomicus: Er investiert aus Eigennutz – und entfesselt Innovation.

Mehr noch: Einmal eingeführt als rational handelndes Wirtschaftssubjekt, ist der Spekulant immun gegen den Vorwurf, ein Glücksritter zu sein. Als konservativer Bearbeiter von Risiken besetzt er ganz im Gegenteil einen wichtigen Platz im ökonomischen System: Er spekuliert nicht, er kalkuliert. Gefährlich wird es für den Anleger erst, wenn er seine Beobachtungen einstellt – und sich blind dem Menschheitstraum vom leistungslosen Einkommen hingibt.

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Larry aus New York zum Beispiel kaufte Wohnungen auf Kredit, wollte flippen, so heißt das in Amerika, schnell kaufen und verkaufen, mit Gewinn. Seine Geschäftsidee: 25.000 Dollar Anzahlung für eine Luxuswohnung, 800.000 für den Erwerb, 1,5 Millionen für den Verkauf zwei Jahre später – und das alles vor der Fertigstellung des Gebäudes.

Nun, Larry kam zu spät, spekulierte in die Finanzkrise hinein, konnte die Wohnung nicht mehr mit Gewinn abstoßen. Jetzt sitzt ihm die Bank im Nacken. Larry hat sich gerade scheiden lassen, seine Ex drängt auf den Verkauf. Also sitzt er jetzt jeden Samstag in seinem SUV vor dem Eingang des Verkaufsbüros und spricht potenzielle Käufer auf der Straße an. „Sie sparen mehr als 40.000 Dollar“, sagt er. Doch niemand beißt an. Larry läuft die Zeit davon. Die Spekulationsblase frisst ihre Kinder.

In London ist die Lage nicht besser. Nachdem die Hauspreise binnen Jahresfrist um 15 Prozent gefallen sind, wird 2009 mit einem Preissturz von bis zu 35 Prozent gerechnet. Investmentbanker, Händler und Finanzjongleure waren die Lokomotive der britischen Wirtschaft; 15 Jahre lang wuchs die Finanzbranche durchschnittlich 5,5 Prozent; jetzt erst melden sich Stimmen zu Wort, die eine Wiederbelebung der vernachlässigten Industrie fordern. Finanzkrise und Immobilienbaisse reißen die britische Wirtschaft nach unten. 70.000 von 350.000 Jobs in der City dürften wegfallen.

Ed Church hat das Feld schon geräumt. Er arbeitete zuletzt für Merrill Lynch, es war ein aufregendes Leben, „mit 24 flog ich Concorde und verdiente mehr als der Premierminister“. Heute ist er Lateinlehrer. Church ist kein Einzelfall.

Seit Beginn der Finanzkrise hat die Zahl der Anfragen bei der britischen Lehrer-Ausbildungsagentur um ein Drittel zugenommen. Als ein Karriereberater der Schulbehörde kurz nach der Lehman-Pleite seinen Stand in einem Hotel nahe der Finanzmeile Canary Wharf aufbaute, sah er sich schon um sieben Uhr früh von mehr als 100 Bankern umringt.

Die Krise könne „zu einem fundamentalen Umdenken führen“, sagt Ian Brinkley, stellvertretender Leiter des Londoner Thinktanks „The Work Foundation“. Die Aufsichtsbehörde FSA, einst eifrig bemüht, die Spekulanten bei ihren Geschäften bloß nicht zu stören, will in Zukunft gründlicher kontrollieren – und stellt mehrere Hundert neue Fachleute ein; ein neues Bankengesetz sieht einen Verhaltenskodex und die straffere Regulierung des Finanzsektors vor; von den G20-Treffen der internationalen Politik sind auch keine Erleichterungen zu erwarten. Kurzum: Die Profession der Spekulanten ist in Misskredit geraten. Zu Recht?

Schon im 17. Jahrhundert lockten Termingeschäfte mit ungefangenen Heringen

Vieles spricht dagegen. Wie der Aktienhandel hat auch der Handel mit Derivaten, zuletzt der bevorzugte Tummelplatz von Investmentbanken und Hedgefonds, in nüchterner Kalkulation seinen Ursprung: Warenterminbörsen sind aus Vereinbarungen über künftige Lieferungen von Agrarprodukten entstanden. Sie sicherten Verkäufer und Käufer gegen Preisrisiken ab, machten den Handel mit verderblicher Ware buchstäblich berechenbar.

Doch schon im 17. Jahrhundert lockten Termingeschäfte mit ungefangenen Heringen oder ungesätem Getreide Spekulanten an, die an der Realisierung dieser Future-Geschäfte nicht interessiert waren. Sie kauften, was niemals in ihren Besitz gelangen würde, sie verkauften, was ihnen nicht gehörte – und sie verdienten an den Preisdifferenzen.

Die Kritik an Agiotage (Ausnutzen von Kursschwankungen) und Termingeschäften fiel früher nicht weniger heftig aus als heute. In Amsterdam klagten sie über den „Windhandel“, in London über die „Pferderennen“ – und die Börsenhändler in den Kaffeehäusern der Exchange Alley wurden bereits 1689 bezichtigt, „die Menschen zu verschlingen wie weiland die Heuschrecken die Fluren Ägyptens“.

Entsprechend heißt es in einem Erlass aus dem Jahre 1785, der den Terminhandel in Paris verbietet, dass Differenzgeschäfte „Kapital von solideren... Anlagen“ abziehen und „die Begierde nach unmäßigen... Gewinnen“ wecken.

Die Politik hat seither immer wieder versucht, den Derivatehandel auf echte Future-Geschäfte zu beschränken, das heißt auf Kontrakte, die die „Absicht“ eines Kaufs oder Verkaufs erkennen lassen. So stellte der Supreme-Court in den USA 1889 Differenzgeschäfte unter Verbot. Das Deutsche Reich zog 1896 nach – vor allem auf Druck der ostelbischen Junker.

Der Vorsitzende des Bundes der Landwirte, Berthold von Ploetz, empörte sich über die „Geldmänner an der Börse“ und ihr „räuberisches Vorgehen“, um „die Landwirtschaft zu ruinieren und auszusaugen“ – ein frühes Beispiel erfolgreicher Lobbyarbeit: Die Saat für Garantiepreise und Zölle war gelegt – und konnte nach dem Zweiten Weltkrieg in einer hochsubventionierten europäischen Landwirtschaft aufgehen.

Frankfurter Bankenviertel: Fundamentales Umdenken als Folge der Krise Quelle: DPA

Dennoch hatten die Großbauern einen wunden Punkt der Spekulation getroffen. Das Verhältnis von effektivem Warenumsatz zu Differenzgeschäften stand an der Berliner Getreidebörse bereits in den 1860er-Jahren bei 1 zu 20. Ein zeitgenössisches Lexikon stellte fest, dass Differenzgeschäfte sich „sehr stark dem Hasardspiel und der Wette“ näherten.

Einen Weg aus der Kontaminierung der Spekulation durch das Glücksspiel wies dann 1894 Max Weber. Er wollte den Kleinspekulanten von der Börse ausschließen weil er „keinen volkswirtschaftlichen Zweck“ erfülle: „Das, was für ihn an Verdienst abfällt, zahlt die Volkswirtschaft ganz unnötigerweise an einen überflüssigen Schmarotzer.“

Weber ging es darum, die Spekulation als ökonomische Fakultät zu rehabilitieren. Seine Strategie hatte bis zuletzt Erfolg: Die Selbstbestimmung der Finanzmärkte als „Preisproduzenten“ und „kollektive Intelligenz“ von Marktteilnehmern, die als „Auge der Ökonomie“ künftige Risiken einschätzen und Knappheiten anzeigen, wurde erst erschüttert, als Anfang dieses Jahres die Rohstoff- und Nahrungsmittelpreise explodierten und Ende des Jahres die Finanzmarktkrise das Vertrauen in die „unsichtbare Hand“ des Marktes untergrub.

Das Schöne an beiden Krisen ist, dass sie ziemlich genau die Grenze zwischen nützlicher und schädlicher Spekulation beschreiben – und das heißt: zwischen einer Spekulation, die künftige Risiken beobachtet und bearbeitet – und einer Spekulation, die Risiken versteckt und verkleidet.

Auf dem Höhepunkt der „Hungerhausse“ im Juni 2008 forderte ausgerechnet Ex-Großspekulant George Soros, Geschäfte an Warenterminmärkten einzuschränken. Hintergrund waren die dramatisch angestiegenen Rohstoff- und Lebensmittelpreise: Der Ölpreis hatte sich seit 1998 versechsfacht; der Reispreis binnen Jahresfrist verdreifacht, Weizen fast verdoppelt.

Auf der Suche nach Schuldigen zeigte man auf Chinesen (gestiegene Nachfrage), Amerikaner und Europäer (Preistreiber Biosprit) – und auf die Spekulanten weltweit, die Anlegergeld preistreibend in Rohstoff- Zertifikaten handelten.

Tatsächlich sind die Rohstoffmärkte heute so eng verbunden mit den Finanzmärkten wie noch nie. Der Terminhandel mit Öl hat sich seit 1998 versiebenfacht, der Börsenumsatz mit Optionen auf Weizen verfünffacht. Hatten Non-Commercials – Spekulanten ohne Interesse an Verbrauch oder Lagerung von Rohstoffen – 2004 noch 15 Milliarden Dollar im Markt investiert, so stecken vier Jahre später rund 300 Milliarden in Indexpapieren. Hedgefonds und US-Pensionskassen suchten auf den Rohstoffmärkten hohe Renditen und nährten die Hausse.

Versteckte Risiken waren an konkrete Kreditversprechen geknüpft.

Heute sind die Preise wieder unten – und die Ansicht setzt sich durch, dass die Spekulanten allenfalls als Verstärker des Trends, nicht als dessen Auslöser wirkten: Sie trieben die Preise, sie verursachten sie nicht. Nach sechs Jahren Rekordwachstum zahlte die Weltwirtschaft den Preis für zunehmend knappe Güter – und die Spekulanten machten uns darauf schmerzlich aufmerksam.

Grundsätzlich gilt: Weil das Geschäft des Spekulanten im Ausnutzen von Preisdifferenzen besteht, er also an Kursschwankungen verdient und nicht nur an Kurssteigerungen, korrigiert er seine Übertreibungen systembedingt selber. Es gehört daher zu den Vorzügen des Derivatehandels, dass er langfristig zur Mäßigung und Stabilisierung von Märkten beiträgt, die kurzfristig zum Überschießen neigen. Kurzum: Die Spekulation als Marktbeobachtung erfährt im Derivatehandel ihre – in Einzelfällen zu regulierende – Verfeinerung.

Die Grenze zum Schwindel wird erst überschritten, wenn die Spekulation ihre Beobachterposition einbüßt, Risiken verschleiert und sehenden Auges in die Krise steuert – beispielsweise durch den Vertrieb von undurchsichtigen Kreditverbriefungen. So gesehen, unterscheidet sich die Finanzmarktkrise von den legendären Kanalbau-, Eisenbahn- und Internet-Blasen.

Im Gegensatz zu jener entfesselten die historischen Spekulationswellen Innovationszyklen, die von realwirtschaftlichen Erwartungen getrieben waren. Als die Blasen platzten, hat das vielen Anlegern wehgetan, aber ihr offensichtliches (!) Risiko war an Gewinnerwartungen geknüpft: Anlegerpech. Bei der Finanzmarktkrise war es genau umgekehrt. Hier waren versteckte (!) Risiken an konkrete Kreditversprechen geknüpft. Vor allem aber stand hier keine Innovation am Ende einer Krise. Sondern eine Krise am Ende der Innovationen.

Der britische Kaufmann und Schriftsteller Daniel Defoe hat seine Spekulationskritik („Täuschung und Lüge“) 1719 unter dem Eindruck der Südsee-Hausse verfasst, einer der ersten Spekulationsblasen der Moderne.

Die Lektüre ist bezwingend, denn Defoe ging es darum, die transparente Welt des Handels und Kreditwesens trennscharf abzugrenzen gegen „unverantwortliche Menschen“ und ein wohlgeordnetes Wirtschaftssystem zu schützen vor dem Voluntarismus einiger, die nach Lust und Laune Preise tanzen und Kurse tollen lassen.

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Nicht die Spekulation war für Defoe die Gefahr, sondern die Selbstbereicherung einer Geldelite im Namen der Spekulation. Als Bonus-Jäger, so darf man ihn modern übersetzen, verwirkt der Spekulant seine Existenzberechtigung: Er versteckt künftige Risiken, statt sie auszuspähen (lat. spekulieren) und sich so verdient zu machen.

Die Täuschung, von der Defoe spricht, entstand jedoch nicht an der Börse allein; sie geschah unter der billigenden Aufsicht des Staates: Die britische Regierung verkaufte ihre Schulden an die South Sea Company – und ermunterte das Unternehmen, immer neue Aktien unters Volk zu jubeln.

Die Regierungschefs der G20-Länder täten deshalb gut daran zu denken, dass auch die aktuelle Krise ihren Ursprung nicht etwa in „Exzessen der Märkte“ hat (Bundeskanzlerin Angela Merkel), sondern im Doppelpassspiel von libertärer Wirtschaftsideologie und ungehemmter Geldschöpfung.

In den USA wurde die Mittelschicht mit billigen Hypotheken und Kreditkarten über den Ernst ihrer realen (Lohn-)Lage hinweggetäuscht; so ließ sich elegant die nächste Wahl gewinnen – und am oberen Ende der Gesellschaft prächtig Geld verdienen.

Es hat in Washington nicht zu wenig staatliche Aufsicht gegeben, sondern zu viel staatlichen Einfluss: Die Politik hat die Finanzmärkte nicht etwa in Ruhe gelassen, sondern ostentativ weggeschaut. Und die Labour-Partei in Großbritannien setzte darauf, dass eine Nation der Hausbesitzer sich bei steigenden Immobilienpreisen den Wohlfahrtsstaat sparen könne.

Die Folge war, dass die Verbraucher sich überschuldeten – und England sich so lange aus milden Rezessionen hinaus konsumierte, bis die Finanzkrise zuschlug.

Die Finanzmärkte können stabilisiert werden

Die Konsequenz, die daraus zu ziehen ist, heißt nicht blinde staatliche Regulierung, sondern strikte Neutralität bei der Beobachtung der Märkte. Die Politik sollte sich nicht anmaßen, Richtlinien zu beschließen, ohne die richtige Richtung zu kennen.

Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann hat ein unabhängiges Gremium aus namhaften Ökonomen gefordert, das die Finanzmärkte im Auftrag aller Teilnehmer fachlich aus nächster Nähe und institutionell aus größtmöglicher Distanz begutachtet. Ein solches Gremium könnte, mit einem politischen Mandat ausgestattet, am ehesten im Sinne Defoes die Grenze markieren, die Spekulation von Geldschneiderei trennt – und all die Vorschriften zu Eigenkapitaldeckung, Zweckgesellschaften, Ratingagenturen und Managervergütung nicht nachholend oder vorauseilend, sondern laufend einfordern.

Die Finanzplätze würden dadurch nicht geschwächt, sondern stabilisiert – zumal sich der Schwerpunkt des Geschäfts derzeit ohnehin weg von der Spekulation bewegt. Künftig müssen Institute mit starkem Investmentbanking mehr Eigenkapital vorhalten; auch müssen mindestens fünf Prozent von verbrieften Kreditpaketen im Institut verbleiben.

Die Deutsche Bank wendet sich wieder verstärkt dem traditionellen Privatkundengeschäft zu. Während das Institut im „Global Markets“-Team in New York und London 900 Stellen abbaut, will es in Deutschland neue Filialen aufmachen und 2500 Kundenberater einstellen.

Die Hedgefonds-Branche ist von diesem Umbruch noch stärker betroffen: Jeder Dritte wird die Krise nicht überleben, sagt Emmanuel Roman, Co-Chef des britischen Hedgefonds GLG – und wenn das Geschäft der Gescheiterten nicht auf die Gewinner der Krise übergehe, „müssten Investmentbanken ihr Personal um bis zu 25 Prozent reduzieren“, sagt Berater Lang.

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Kein Wunder, dass Insider wie Sy Schlüter die ehemals begehrtesten Jobs in der Finanzbranche nicht mehr für attraktiv halten. „Ich rate jungen Leuten davon ab, zu Investmentbanken zu gehen“, sagt der 40-jährige Gründer der Hedgefonds-Gesellschaft CAI: „Die Hälfte der Leute dort wird in drei Jahren keinen Job bei einer Investmentbank mehr haben.“

Vor allem Prime-Broker dürfte es treffen: Bankabteilungen, die im Auftrag von Hedgefonds arbeiten und ihnen Geld leihen. Weil Hedgefonds häufiger Aktien und Derivate handeln als andere Investoren, zahlen sie hohe Gebühren; auf dem Höhepunkt ihrer Macht trugen sie mehr als ein Viertel zum Gewinn der Investmentbanken bei. Frankfurt verschlief das lukrative Geschäft – anders als London – und darf sich heute darüber freuen: Die Investmentbanken reduzieren ihr Risiko, verlangen mehr Sicherheiten – und zwingen die Fonds zur Aufgabe.

Für die Zukunft der Spekulation ist es ein Glück: Jetzt wird sich zeigen, wer nur ein guter Bonusjäger war – und wer ein guter Spekulant. Die Gewinner in der Finanzkrise sind die Contrarians, also die, die gegen die Herde wetteten, die den Wahnsinn des politisch aufgepumpten US-Immobilienmarkts früh erkannten – und rechtzeitig dagegenhielten.

So wie John Paulson, dessen Hedgefonds, in dem er selbst investiert ist, heute 36 Milliarden Dollar schwer ist. „2005 wurden wir sehr besorgt wegen der schwachen Kreditvergabestandards und der falschen Bewertung der Risiken“, sagte er jüngst bei einer Anhörung des US-Kongresses. Und was tat Paulson? Er kaufte Versicherungen gegen den Ausfall von Kreditpapieren, die er für faul hielt – und strich persönlich 3,7 Milliarden Dollar ein.

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