Geldanlage Anleger schütten Carmignac mit Milliarden zu

Deutsche Anleger schütten Edouard Carmignac mit Milliarden zu. Der muss zeigen, dass ihn das nicht überfordert. Konkurrenten sticheln schon.

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Edouard Carmignac Quelle: Laif

Spannungen in den deutsch-französischen Beziehungen können ganz unvermutet zutage kommen. Im Frankfurter Bankenviertel etwa, bei einer prunkvollen Gala im gläsernen Wintergarten der DZ-Bank. Der Gründer der französischen Fondsboutique Carmignac Gestion wird dort zur „Fondspersönlichkeit des Jahres“ gekürt. Gegen Ende der Veranstaltung darf auch Edouard Carmignac reden. Doch statt sich mit diplomatischem Geplauder Freunde zu machen, knallt der seinen Zuhörern Unerhörtes vor den Kopf: „Unser Ziel ist es, Fidelity Europas zu werden.“ Durch den Saal geht ein Raunen. US-Marktriese Fidelity verwaltet in seiner Heimat 1008 Milliarden Euro, Carmignac gerade mal 30 Milliarden. „Größenwahn“, zischelte ein deutscher Nadelstreifen-Träger, „der glaubt wohl, er sei Napoleon.“

Napoleon Bonaparte zieht 1803 mit seinen Truppen in Berlin ein. Preußen ist geschlagen und verliert die Hälfte seines Territoriums, König Friedrich Wilhelm III. ist verjagt. Die Berliner machen gute Miene zum bösen Spiel und feiern mit dem Sieger.

Fonds-Bonaparte

Klein wird groß

Bislang war es den heimischen Fondsriesen nahezu egal, wer sich auf ihrem Markt abmühte. Ausländer nahmen DWS, Union Investment oder Deka nicht die Butter vom Brot. Selbst die US-Giganten Fidelity und Templeton kommen kaum über neun Milliarden Euro in Fonds hinaus – allein die DWS hat 134 Milliarden. In der Finanzkrise litten alle unter Mittelabflüssen – das schweißt zusammen. Nur Carmignac vertrauten die Anleger immer mehr Geld an. Seine Aushängeschilder sind der internationale Aktienfonds Investissement und der Mischfonds Patrimoine. Der Patrimoine ist auf 12,5 Milliarden Euro angeschwollen, der Investissement auf sechs Milliarden.

Lange Zeit galt Carmignac nur in seiner Heimat als Störenfried der Großbanken. Heute stammen nur noch rund 20 Prozent seiner Gelder aus Frankreich. In den vergangenen sechs Monaten rangierten Investissement und Patrimoine unter den zehn bestverkauften Fonds in Europa. Deutsche, Spanier oder Italiener haben ihre liebe Mühe, den Konkurrenten zu bezwingen. Aus vielen Ecken werden die Franzosen angeschossen.

1813 kämpfen die Verbündeten Preußen, Österreich, Schweden und Russland in der Völkerschlacht bei Leipzig Napoleons Truppen nieder. Der Wiener Kongress soll die alte Ordnung in Europa wieder herstellen.

In Frankfurt unken Experten, Carmignac werde sein enormes Wachstum nicht stemmen können, er nutze obskure Derivate-Strategien, sei eher Hedgefonds als klassischer Investmentfonds. Die „FAZ“ schreibt: „Konkurrenten vermuten, dass Carmignac auf dem Derivatemarkt mitmischt“, was schrecklich klingt, aber bei fast allen Fonds – legale – Praxis ist. Besonders heftig sticheln die Verkaufsmannschaften der Kontrahenten. Carmignac mit seinen 62 Jahren werde sich bald schwerreich in den Ruhestand verabschieden, heißt es etwa. „Woher soll denn dann die Expertise noch kommen?“, fragt ein Vertriebsmitarbeiter einer großen deutschen Fondsgesellschaft – und ignoriert, dass in Paris zwölf Fondsmanager arbeiten. Ein Frankfurter Fondsmanager warnt, dass „mit dem hohen Volumen manche Prozesse in einem solchen Unternehmen schwerfälliger würden“.

Als die spanische Großbank BBVA kürzlich Carmignac-Fonds von ihrer Empfehlungsliste strich – unter anderem, weil Carmignac sich nur von einem unbekannten Wirtschaftsprüfer kontrollieren lässt – scheint das Maß voll. Carmignac wehrt sich gegen „Diffamierungskampagnen“ und die „Verbreitung frei erfundener und böswilliger Gerüchte“.

Wahr ist: Seitdem der US-Hedgefonds-Manager Bernard Madoff als Gründer eines Schneeballsystems enttarnt wurde, ist zu viel Erfolg in der Geldverwaltung verdächtig. Auch Madoff hatte nur Testate eines kleinen Wirtschaftsprüfers. Kann es mit rechten Dingen zugehen, wenn ein kleines Fondshaus über Jahre viel besser ist als alle anderen? 

1815, nach seiner finalen Niederlage bei der Schlacht bei Waterloo, wird Napoleon von den alliierten europäischen Mächten verbannt – auf die Insel St. Helena im Südatlantik.

Der Überflieger

Auch Carmignac gelingt nicht alles – von einem Waterloo ist er aber weiter entfernt denn je zuvor. Der Investissement etwa verlor 2008 rund 29 Prozent. Aber schon in diesem Jahr fliegt er mit einem Plus von 31 Prozent an den Konkurrenten vorbei und nähert sich dem Höchstkurs von 2008 (siehe Grafik). Carmignac hat zu Beginn der Hausse Sicherungsstrategien rechtzeitig aufgelöst. Im Sommer 2008 verkaufte Bankaktien kaufte er in diesem Frühjahr billig zurück und machte deren Rally mit. Und im Mischfonds Patrimoine hielt er Ende 2008 klugerweise keine Aktien mehr, fuhr dafür 2009 hohe Gewinne mit Unternehmensanleihen ein.

Carmignac versucht jetzt, Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Als Co-Prüfer neben dem für ihn seit 20 Jahren tätigen Wirtschaftsprüfer Patrice Vizzavona engagiert er jetzt KPMG. Die haben zwar bei diversen Börsenskandalen keine gute Figur gemacht, sind aber groß und bekannt, was viele Anleger offenbar beruhigt.

Die Anlagephilosophie des Investissement unterscheidet sich kaum von der anderer Fonds, wie etwa der des DWS Vermögensbildungsfonds I. Wie dessen Fondsmanager Klaus Kaldemorgen betrachtet Edouard Carmignac zunächst die wirtschaftliche Lage in den großen Volkswirtschaften der Erde und sucht dann nach Unternehmen, die in dem erwarteten Umfeld gut abschneiden könnten. Den Erfolg verdankt Carmignac den Themen Schwellenländer und Rohstoffe, die er frühzeitig erkannte. „Was die Fonds von der Konkurrenz unterscheidet, ist der stärkere Einsatz von Absicherungstechniken und das flexible Liquiditätsmanagement, mit dem Marktkorrekturen abgefedert werden“, sagt Thomas Lancereau, Analyst bei Morningstar. Im besten Fall liegt, wenn die Kurse fallen, viel Geld in Tagesgeldern.

Kein Geheimniskrämer

Ein Geheimniskrämer ist Carmignac nicht. Vertriebspartner versorgt er wöchentlich mit Marktberichten und Daten zur Aufstellung der Fonds – auch zu Währungs- und Derivategeschäften. Im Unterschied zur deutschen Konkurrenz weist Carmignac im Jahresbericht sogar die Kosten für den Wertpapierhandel aus – im Patrimoine 2008 insgesamt 24,4 Millionen Euro. In den Gesamtkosten deutscher Fonds ist diese Gebührenposition gar nicht enthalten. „Die Kommunikation von Carmignac mit den Kunden ist beispielhaft“, urteilt Analyst Lancereau.

Problematischer ist die Frage, ob Carmignac, der ein paar Hundert Millionen exzellent anlegen konnte, dies auch mit zweistelligen Milliardensummen schafft. „Ich empfehle den Fonds nicht mehr, weil die ein Volumenproblem bekommen“, sagt ein Anlageberater aus der Pfalz.

Dass dies passieren könnte, lässt sich nicht wegdiskutieren: Der bekannteste Fonds von Carmignac-Vorbild Fidelity sank als Megafonds ins Mittelmaß ab. Der Fondsmanager konnte keine mittelgroßen Aktien mehr kaufen, ohne selbst deren Kurse zu beeinflussen, blieb deshalb auf schwachen Aktien zu lange sitzen.

Allerdings: So groß wie der Fidelity European Growth, der zeitweise 23 Milliarden Euro schwer war, sind die Carmignac-Fonds noch lange nicht. „Bei der Aktienauswahl achten die Manager zudem auf eine genügend hohe Liquidität der Papiere“, sagt Lancereau von Morningstar.

Ein Schwellenländer-Aktienfonds und ein Aktienfonds für kleine europäische Werte sollen für neue Anleger geschlossen werden, sobald das Volumen von einer Milliarde Euro erreicht würde. Aber bis es so weit ist, müsste sich deren Volumen noch vervierfachen. Dass der Fonds-Napoleon das schaffen kann, halten auch in Frankfurt viele für möglich – wenn auch zähneknirschend.

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