100-jährige Anleihen Ist der NRW-Finanzminister ein Genie?

Nordrhein-Westfalens Hauptstadt Düsseldorf: Die Skyline mit Stadttor, Rheinturm und Rheinkniebrücke im Abendrot. Quelle: imago images

Vier Bonds mit 100 Jahren Laufzeit hat NRW in den vergangenen vier Jahren emittiert. Angesichts der Zinswende erweist sich das als clever – wieso sind andere Bundesländer dem Beispiel nicht gefolgt?

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Als am Mittwoch das neue Kabinett der schwarz-grünen Landesregierung in Nordrhein-Westfalen ernannt wurde, war Lutz Lienenkämper nicht mehr dabei. Der scheidende Finanzminister wird nach fünf Jahren im Amt nicht mehr Teil der neuen Landesregierung sein.

Doch auch sein Nachfolger, Marcus Optendrenk (ebenfalls CDU), wird noch lange von einer Entscheidung seines Vorgängers profitieren. Denn unter Lienenkämpers Ägide ist das Land NRW groß ins Geschäft mit ultralanglaufenden Anleihen eingestiegen.

Vier Bonds mit sage und schreibe 100 Jahren Laufzeit hat NRW in den vergangenen vier Jahren emittiert. Trotz der Mega-Laufzeiten musste NRW dafür nur Zinssätze zwischen 0,95 und 2,15 Prozent bieten. Elf Milliarden Euro hat sich das Land so am Kapitalmarkt besorgt.

NRW hat Niedrigzinsen genutzt

Angesichts der inzwischen rasant laufenden Zinswende erweist sich das als cleverer Schachzug: Durch die Methusalem-Anleihen hat NRW die Niedrigzinsphase genutzt und sich die niedrigen Renditen für lange Zeit gesichert.

Ob es bald noch mal so günstig wird, ist fraglich. Die Renditen solcher Bonds haben sich seit Jahresanfang schon auf drei Prozent verdoppelt. Das Zeitfenster für die Haushalte der öffentlichen Hand, ihre Schulden kostengünstig und langfristig zu refinanzieren, scheint sich mit den steigenden Zinsen zu schließen.

NRW hat die Chance noch genutzt. Die ausstehende Verschuldung des Landes wird nach Angaben des Finanzministeriums aktuell nur noch mit einem Durchschnittszinssatz von 1,5 Prozent verzinst. Die Duration, also vereinfacht gesagt die durchschnittliche Laufzeit der ausstehenden Anleihen, liegt bei sehr langen knapp 19 Jahren.

Zum großen Vorbild wurde das Bundesland damit trotzdem nicht. Kein anderes deutsches Land hat ähnlich lang laufende Bonds emittiert. Im Fall von etwa Baden-Württemberg oder Bayern, deren längste handelbaren Anleihen nur 30 beziehungsweise 15 Jahre laufen, ist das auch verständlich.

Denn deren Schuldenstände sind relativ zur Wirtschaftsleistung sehr niedrig. Entsprechend gering ist das Risiko, wenn die Zinsen in Zukunft steigen und bestehende Schulden refinanziert werden müssen. Andere Bundesländer bekommen dann viel eher Probleme und sollten Vorsorge treffen.

Methusalem-Emittent NRW hat laut Statistischem Bundesamt zum Jahresultimo 211 Milliarden Euro mittels privater Kredite und Anleihen aufgenommen – das entspricht 29 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP); Platz sechs der am höchsten verschuldeten Bundesländer.

Ganz vorne landen die Stadtstaaten Berlin (38), Bremen (65) sowie das Saarland (45). Sie hätten also eigentlich allen Grund, dem Beispiel Nordrhein-Westfalen zu folgen. Oder?

Kleinere Länder tun sich schwer

Das CDU-geführte Finanzministerium des Saarlands gibt an, dass die durchschnittliche Laufzeit der Kapitalmarktverschuldung seit 2017 von 7,5 auf 9,0 Jahre gestiegen ist – weit weg also von NRW-Niveaus.

Allerdings sind die Möglichkeiten des Landes am Kapitalmarkt naturgemäß auch kleiner als die von NRW. Denn dessen Bruttoinlandsprodukt ist 20 Mal größer, die Landes-Bonds haben deutlich mehr Volumen und sind entsprechend für institutionelle Investoren attraktiver. Geringe Investorennachfrage gibt das saarländische Finanzministerium denn auch als Grund an, wieso es nicht wie NRW extrem lang laufende Anleihen emittiert hat.

Ähnlich sieht es in Bremen aus, wo Finanzsenator Dietmar Strehl von den Grünen die Finanzen verantwortet. In Sachen Wirtschaftsleistung ist Bremen das kleinste Bundesland, und auch am Kapitalmarkt trotz hoher Schuldenstände nur ein kleiner Spieler. Der Finanzsenator teil auf Anfrage mit, dass fällige Kredite in den vergangenen Jahren mit längeren Laufzeiten refinanziert wurden. Konkrete Angaben zur Duration macht er zwar nicht. Die durchschnittliche Zinsbindung (nicht zu verwechseln mit der Duration) der Bremer Verbindlichkeiten sei aber zwischen Ende 2016 und Ende 2021 von sieben auf elf Jahre gestiegen. Auch in Bremen ist die Tendenz in Richtung längere Laufzeiten also klar.

Berlin scheute das Risiko

Etwas andere Voraussetzung als das Saarland oder Bremen hat dagegen das Land Berlin. Die Wirtschaft in der Hauptstadt floriert, das BIP wuchs zwischen 2017 und 2021 um 15 Prozent oder fast doppelt so schnell wie in Nordrhein-Westfalen. Berlin zählt zudem zu den Ländern mit dem höchsten ausstehenden Kreditvolumen, verfügt also am Kapitalmarkt durchaus über Gewicht.

Zwar hat auch Berlin die Duration seiner Verbindlichkeiten zwischen 2016 und 2021 von 7,1 auf 8,5 Jahre verlängert. Die SPD-geführte Finanzverwaltung entschied sich aber dagegen, dem Beispiel NRW zu folgen und ultralanglaufende Anleihen zu emittieren.

Ein Pressesprecher des Finanzsenators nennt dafür Kostengründe. „Investoren forderten hier deutlich höhere Risikoaufschläge, sodass die Gesamtverzinsung im ultralangen Bereich höher lag als im Laufzeitbereich bis zu 30 Jahren.“ Denn wie beim Hauskredit gilt auch für öffentliche Haushalte: Je länger die Zinsbindung, desto höher der Zins.

Auch NRW hat für seine hundertjährigen deutlich mehr bieten müssen als für Anleihen kürzerer Laufzeiten; bei der letzten Emission im Januar lag der Unterschied bei etwa 80 Basispunkten, also 0,8 Prozentpunkten. Um das Risiko künftig steigender Zinsen zu verkleinern, hat NRW diesen Aufschlag aber im Gegensatz zu Berlin bezahlt.

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Das war, Stand jetzt, für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler ein weitsichtiges und gutes Geschäft. Genützt hat es dem verantwortlichen Finanzminister bei der Besetzung des neuen Kabinetts trotzdem nichts.

Hinweis: In einer früheren Version dieses Textes hieß es, Lutz Lienenkämper sei FDP-Politiker. Das ist falsch, Lienenkämper ist in der CDU. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

Lesen Sie auch das große Interview mit Bundesfinanzminister Christian Lindner: „Höhere Steuern sind ausgeschlossen“

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