Agrar-Spekulation Das Geschäft mit dem Hunger

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Agrarhändler leben nicht von Spitzenpreisen

Für alle diese Termingeschäfte gilt: Wenn ein Bauer seine Ernte vorab zu einem festen Preis verkauft (weil er sich vor fallenden Preisen schützen will) muss auf der anderen Seite jemand mit steigenden Preisen rechnen und diese Menge übernehmen. Zwar hat die Zahl der Termingeschäfte an den Börsen stark zugenommen (siehe Chart Seite 139), aber diese Zunahme war nicht zwingend mit steigenden Preisen verbunden.

Wie sich die Getreidepreise entwickeln, ist selbst für Profis kaum durchschaubar. „Wie viel weltweit in den Getreidesilos gebunkert wird, lässt sich nur abschätzen“, sagt Fondsmanager Oberbannscheidt. Es sei nicht ungewöhnlich, dass Behörden ihre Schätzungen für Getreidevorräte oder Ernten innerhalb weniger Wochen um mehrere Millionen Tonnen korrigieren. Anleger, die vom Agrarmarkt langfristig profitieren wollen, sollten besser Aktien kaufen.

Oberbannscheidt favorisiert Agrarlogistiker, wie Archer Daniels Midland (ADM) oder Bunge (siehe Tabelle Seite 144). Agrarlogistiker notieren deutlich unter dem Buchwert ihrer Lagerhäuser, Hafenanlagen und Fahrzeuge. Weil Wetterextreme wie La Niña in Zukunft stärker auftreten würden, seien Staaten gezwungen, höhere Lagerbestände zu halten, um die Volatilität der Preise zu begrenzen. ADM verarbeitet weltweit in 265 Produktionsstätten Sojabohnen, Mais, Weizen und Kakao, produziert Pflanzenöle, Ethanol, Süßstoffe und Mehl und ist führender Anbieter von Tierfutter. Das Logistiknetz erstreckt sich auf 75 Länder auf sechs Kontinenten. Aufgrund der unsicheren globalen Konjunkturperspektiven lassen sich für die meisten Branchen derzeit kaum verlässliche Gewinnprognosen abgeben.

Sinkende Vorräte treiben die Preise

Eine Ausnahme sind Branchen, deren Nachfrage weniger von konjunkturellen Schwankungen betroffen ist. Agrarhändler leben vor allem von der Spanne zwischen Einkauf und Verkauf, weniger von der absoluten Höhe der Agrarpreise. Steigende Einkaufspreise für Agrargüter können sie an die Kunden weiterreichen. Fallen die Agrarpreise, verringern sich entsprechend die Einkaufspreise. So gesehen ist die Aktie von ADM auch mit Blick auf die Gewinnbewertung eher preiswert. Gleiches gilt für Bunge, dem hinter ADM und Cargill drittgrößten Agrarkonzern der Welt. Bunge hält Vermögen in mehr als 30 Ländern, deckt ebenfalls die komplette Wertschöpfungskette im Agrargeschäft ab und profitiert von wachsenden Exporten nach Asien.

Für die Hälfte der globalen Nahrungsmittelproduktion wird Mineraldünger eingesetzt, der die Produktivität eines Feldes im Schnitt um das Vierfache steigert. Wenn Agrarpreise fallen oder sie kaum noch Kredite bekommen, setzen Bauern weniger Dünger ein. Geringere Ernten aber sorgen für sinkende Vorräte, und das treibt die Preise, was die Einkommen der Landwirte und deren Düngerverbrauch steigert. Auf lange Sicht sollten Düngemittelaktien wie Potash, Mosaic und K+S sowie Agrarmaschinenhersteller wie AGCO Deere und CNH Global höher notieren als heute.

Das Gleiche gilt für Pflanzenschutz- und Saatguthersteller. Es gibt nur noch vier bedeutende Anbieter auf der Welt: Syngenta und Monsanto teilen sich den Markt mit den Agrochemiesparten von Bayer und DuPont. Das gibt ihnen Preismacht. Deutlich kleiner ist die deutsche KWS Saat, in Europa Marktführer bei Zuckerrüben und Futtermais. Das Unternehmen hat auch in der Finanzkrise 2008 seine Gewinne gehalten, ist aber nicht gerade günstig bewertet.

Angesichts des kriselnden Weltfinanzsystems und extrem nervöser Börsen ist es deshalb wahrscheinlich, dass KWS und andere Agraraktien noch einmal billiger zu haben sein werden. Was Bauern seit Jahrtausenden wissen, gilt in diesem Fall auch für Anleger: Geduld zahlt sich aus.

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