Aktienindex zur Nachhaltigkeit „Von 71 Unternehmen bleiben 27 unter der Temperatur-Obergrenze“

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Niedrige Klimaauswirkungen sollen vor Konkurrenz aus Asien schützen

Die Datenlage zu Klimathemen ist trotz dicker Nachhaltigkeitsberichte nicht optimal, höre ich das bei Ihnen richtig heraus?
Nachhaltigkeitsberichte der Unternehmen sind teils sehr opulent und komplex, aber die entscheidenden Daten oder Fragen bleiben häufig unadressiert. Vieles, was da berichtet wird, bräuchte man nicht. Bestimmte Daten, zum Beispiel die angestrebte jährliche Emissions-Reduktionsrate, sind in der Klimadebatte wichtig. Die haben wir häufig nicht gefunden und nachgefordert von den Unternehmen. Allerdings sollten Unternehmen sich bereits darauf einstellen, dass sie in Zukunft berichten müssen, wie sehr sie zum Klimawandel beitragen. Unser XDC Modell ist das einzige, das zur Berechnung dieses Beitrags, den wir direkt in einer Grad Celsius Zahl ausdrücken, ein anerkanntes Klimamodell einsetzt. Dadurch bieten wir robuste Ergebnisse für die regulatorische Compliance.

Wer nutzt das?
Strategische Partner und Kunden sind die Bochumer GLS Bank und der Vermögensverwalter Salm-Salm & Partner. Die Bank etwa beurteilt, wie sich ihr Kreditportfolio oder das Anlageportfolio mit Staatsanleihen auf ihren Klimabeitrag auswirkt. Dabei werden auch Temperaturanalysen für Immobilien und einzelne Mitarbeiter relevant. Etwa wenn es viele Pendler gibt, kann das Auswirkungen haben und man kann ihnen Angebote für den öffentlichen Nahverkehr machen oder andere Dienstwagen anschaffen, um den Klimabeitrag zu verringern. Die Wirkung lässt sich sogar bis runter zum Kantinenessen transparent machen.

Würden alle Unternehmen so wirtschaften wie Lufthansa, würde sich die Welt um 3,6 Grad erwärmen. Halten Sie die Lufthansa für verzichtbar?
Die Frage, ob die Lufthansa als Unternehmen verzichtbar wäre, kann ich nicht beurteilen. Man sollte aber überlegen, wie man ein solches Unternehmen aktiv in einen nachweisbar klimafreundlichen Umbauprozess lenkt. Da reicht es nicht zu sagen, dass die heutigen Triebwerke besser sind als ältere. Firmen, die Gestaltungskraft beweisen, sind sicherlich nicht verzichtbar. Aber Flüge zwischen Frankfurt und Stuttgart sind es.

Wie verdienen Sie mit Ihren Analysen Geld?
Einer unserer großen Kunden und strategischer Partner ist Continental, mit denen wir das XDC Modell weiterentwickeln. Sie nutzen das als Möglichkeit, um ihre Klimastrategie voranzutreiben und glaubwürdig nach außen zu kommunizieren. Auch andere Dax-Konzerne sind Kunden. Es gibt viel Neugier, weil die strategische Relevanz des ‚Climate Impact‘, also der Klimaauswirkungen, erkannt wurde. Die Unternehmen tasten sich vor. Sie haben den Anreiz, dass ein niedrigerer Climate Impact sie gegen die Hauptkonkurrenz aus Asien schützt, die noch nicht so weit ist. So haben sie eine Chance gegen deren aggressive Kostenstrategie.

Wie viele Unternehmen erreichen das zwei Grad Ziel in Deutschland und wer hat keine Chance, in den Index aufgenommen zu werden?
Von den 71 deutschen Unternehmen, die wir in diesem Fall analysiert haben, bleiben 27 unter der Temperatur-Obergrenze, die nach einem Szenario der Internationalen Energieagentur nicht überschritten werden darf, wenn wir die Erderwärmung auf unter zwei Grad begrenzen wollen. Dabei ist wichtig: diese Zieltemperatur liegt nicht für alle Sektoren bei 2 Grad. Stattdessen müssen besonders emissionsarme Sektoren die emissionsintensiveren ausgleichen. Telekommunikation hat in diesem Szenario zum Beispiel eine Zieltemperatur von 1,4 Grad. Für die Stromerzeugung sind es aber 6,5 Grad.

Amerikaner haben sich um Nachhaltigkeitsanalysen lange nicht gekümmert, kaufen jetzt aber alle europäischen Unternehmen in dem Bereich auf, in Europa ist nur noch Imug selbstständig. Haben Amerikaner auch schon bei Ihnen angeklopft?
Wir sind das letzte Unternehmen für Temperaturanalysen, das noch unabhängig am Markt ist. Die Konzentration in der Branche ist ein Problem. MSCI ist unser Hauptkonkurrent, da kann man schon mal den Kopf einziehen. Ich war 2019 drei Wochen von der US Regierung eingeladen, um mit einer internationalen Gruppe die verschiedenen Start-up-Hubs in den USA zu besuchen. Das war schon sehr beeindruckend und etwas ernüchternd, wieder nach Frankfurt zurückzukommen. Aber ich habe dort auch viel gelernt über Open Source-Ansätze, dass sich Mut zur Offenheit lohnt, wenn man das gut macht. Ab 2021 wollen wir unseren Quellcode als Open Source-Projekt anbieten. So gehört die grundlegende Methodik allen, was die Verbreitung als Standard für die Messung von Klimaauswirkungen erleichtert. Das ist unsere Philosophie, damit mehr Gelder in die richtige Richtung fließen.

Aber wenn Bill Gates das mit Microsoft gemacht hätte, dann wäre er jetzt nicht so reich?
Viele seiner Erfindungen auch die von Google, Amazon basieren auf Open Source Technologien, die sie verbessern. Das ist ein bewährtes Konzept. Schwierig ist es, genug Leute zu begeistern, um das weiterzuentwickeln. Wir würden uns sehr freuen, wenn sich viele andocken. Wir haben einen Entwicklungsvorsprung von fünf Jahren, was die Software und die Integration anerkannter klimawissenschaftlicher Erkenntnisse angeht. Da das nicht trivial ist, gehen wir davon aus, dass wir noch einen Vorsprung behalten können. Es gibt die Open Source Climate Foundation, ein Projekt der Linux Foundation, die auch die Allianz und Standard &Poor‘s als Unterstützer gewonnen hat. Denn ein globales, komplexes Problem wie der Klimawandel ist zu schwierig für einen Anbieter allein. Nur gemeinsam bekommt man die Wucht, um die Klimaziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen. Hier braucht man keinen Wettbewerb der Black-Boxes, man braucht den Wettbewerb dazu, wie man das beste Resultat erreicht. Das Marktpotenzial sollte sich deutlich zeigen.

Geht die EU-Regulierung in die Richtung, dass auch kleinere Anbieter eine Chance haben?
Ja, man hat beispielsweise in Bezug auf die Rating-Agenturen erkannt, dass man Diversität unterstützen muss. Es wäre gut, wenn sich dies auch beim Aufbau von klimabezogenen Regularien fortsetzt.

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Europäische Union und nationale Aufseher setzen auf Nachhaltigkeit, Investoren wollen ihre Portfolios vor Klimarisiken schützen. Davon profitieren Agenturen, die die Nachhaltigkeit von Unternehmen bewerten – mitunter ziemlich willkürlich und irreführend.

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