
Das Bild kennt jeder aus dem Park: Herrchen geht mit Waldi an der langen Leine spazieren. Mal rennt der Vierbeiner voraus und wird von Herrchen gebremst, weil die Leine sich zuzieht. Dann wieder trottet Waldi hinterher, bleibt stehen und beschnuppert dies und das am Wegesrand. „Hopp, bei Fuß!“, ruft Herrchen dann. Will Waldi nicht hören, wird auch mal an der Leine gezogen. Letztlich gibt das Herrchen immer die Richtung vor.
Das Bild von Hund und Herrn, geprägt von André Kostolany für das Verhältnis von Börse und Wirtschaft, passt auch für den Goldmarkt, sagt der Schweizer Vermögensverwalter Felix Zulauf. Der Hund ist der schwankende Terminmarkt, die Rolle des Herrchen übernimmt der physische Markt. Während der Terminmarkt, an dem auf den künftigen Goldpreis gewettet wird, von zappligen Spekulanten getrieben wird, handeln am physischen Markt Investoren Barren und Münzen mit ruhiger Hand und bestimmen den langfristigen Trend.

Treue Goldanleger
Derzeit bleibt Waldi mal wieder hinter seinem Herrchen zurück. Gegenüber seinem Rekordhoch vom vergangenen September bei 1923 Dollar pro Unze fiel der Goldpreis zwischenzeitlich um gut 20 Prozent zurück. Denkbar, dass das Zwischentief von Ende Dezember bei 1522 Dollar in den nächsten Monaten noch unterschritten wird. Doch das wäre nicht der erste spürbare Preisrücksetzer im langjährigen Goldbullenmarkt. Zumal jeder Korrektur ein steiler Preisanstieg vorauseilte (siehe Chart).
Der aktuelle Rücksetzer ist keine Folge einer stark sinkenden physischen Goldnachfrage oder einer plötzlichen Angebotsschwemme. Vielmehr bauen kurzfristig orientierte Finanzanleger ihre spekulativen Kaufpositionen an der Terminbörse Comex in New York ab. Bei ihnen lässt das Interesse an sicheren Häfen derzeit nach. Die steigenden Aktienmärkte locken.
Die neue Liebe zur Aktie geweckt hat Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), der mit zwei Schüssen à 500 Milliarden Euro aus seiner Geldkanone, der „Dicken Bertha“, den Banken für drei Jahre Liquidität zum Minizins von einem Prozent zur Verfügung stellte – Geld für den Kauf von Staatsanleihen, zur Rückzahlung aufgenommener Schuldpapiere und für Spekulationsgeschäfte. Die Notenbanken wollen Abwärtsspiralen verhindern: „Es gibt keinen anderen Ausweg mehr als Geld drucken, um Banken und Regierungen zu finanzieren, das System am Leben zu erhalten und einen systemischen Kollaps zu verhindern“, sagt Vermögensverwalter Zulauf.
Doch weil mit dieser extrem lockeren Geldpolitik Inflationsrisiken verbunden seien, werden langfristig orientierte Goldanleger kein Gold abgeben und die derzeitige Preisschwäche eher zum Aufbau ihrer Bestände nutzen, glaubt Eugen Weinberg, Leiter der Rohstoffanalyse bei der Commerzbank. Gold ist traditionell Inflationsschutz, stabiler als alle inflationierten Papierwährungen der Geschichte.
Bisher sieht es tatsächlich so aus, als ob genau das passiert. Mitte März hatte die US-Münzanstalt bereits mehr American-Eagle-Goldmünzen verkauft als im gesamten Vormonat. Die Bestände der Goldfonds liegen mit 77,5 Millionen Unzen weiter auf Rekordniveau. Auch Edelmetallhändler spüren keine höhere Verkaufsneigung bei ihrer Kundschaft. Einem Goldverkäufer stünden acht Goldkäufer gegenüber, heißt es beim Goldhändler Westgold.
Nur die Schmucknachfrage aus Indien, mit jährlichen Goldeinfuhren von gut 30 Millionen Unzen der wichtigste Absatzmarkt für Gold, könnte vorübergehend nachlassen. Die indische Regierung hat jüngst die Steuern auf Goldimporte massiv erhöht. Allerdings formiert sich landesweit Widerstand der Schmuckhändler dagegen. Normalerweise greifen diese zu, wenn der Preis gefallen ist. Sie wollen sich eindecken, bevor er wieder steigt.
Papiergeld ohne Grenzen
Aktuell gebe es keinen Grund zur Panik vor Inflation, beruhigt Norbert Braems. Weil die Banken nicht richtig funktionierten, so der Chefvolkswirt des Kölner Bankhauses Sal. Oppenheim, bleibe die neu geschaffene Liquidität überwiegend im Bankensektor und fließe teilweise gar zur Notenbank zurück. Braems: „Die EZB musste eine Kreditklemme verhindern, wie sie in einigen südlichen Regionen der Euro-Zone zum Teil schon sichtbar war.“
Die Geldmenge in der Euro-Zone, die relevant sei für Inflation, wachse nur moderat, und das Kreditwachstum stagniere oder nehme gar ab. Bleiben die Inflationsraten in den USA und Europa auf dem moderaten Niveau, dann lasse sich der aktuelle Preis für die Inflationsversicherung Gold kaum rechtfertigen, warnt auch Markus Mezger. „Es ist schon richtig, dass eine Unze Gold immer einen guten Anzug kauft, aber auf Dauer eben nicht zwei“, so der Mitbegründer und Direktor der Schweizer Investmentgesellschaft Tiberius. Mit Blick auf die Inflationsentwicklung in Indien und China sei Gold allerdings noch nicht zu teuer, schränkt Mezger zugleich ein.