
Es ist einer der größten Anlageskandale der Republik. Als die Göttinger Gruppe vor neun Jahren in die Pleite schlitterte, verloren mehr als 250.000 Anleger einen großen Teil ihrer Ersparnisse. Geschätzter Gesamtverlust mit den Firmen- und Immobilienbeteiligungen des Graumarktanbieters: rund eine Milliarde Euro.
Oder doch nicht? Im vergangenen Jahr schien es plötzlich Hoffnung für Anleger zu geben. „Konnten auch Sie bereits einen Aufhebungsvertrag schließen? Haben Sie so Ihr Geld zurückerhalten?“, hieß es im Rundschreiben einer Kanzlei. Dem Insolvenzverwalter sei es „grundsätzlich möglich, mit Ihnen einen Aufhebungsvertrag zu schließen“. Allein: Der genannte Insolvenzverwalter, Rolf Rattunde von der Kanzlei Leonhardt Rattunde, bestreitet das. Es sei „völlig abwegig“, nach Eintreten der Insolvenz Aufhebungsverträge zu schließen, mit deren Hilfe Anleger eingezahltes Geld zurückbekommen. Selbst Verträge, die kurz vor der Insolvenz geschlossen wurden, habe er erfolgreich angefochten: Rund 10.000 Anleger, die ihr Geld zunächst zurückbekommen hatten, mussten es deshalb wieder herausrücken.
Fragwürdige Rundschreiben von Anwälten
Das Schreiben ist ein neuerlicher Beleg dafür, dass einige Anwälte mit umstrittenen Methoden Mandanten akquirieren. „Geschädigte Anleger erhalten häufig fragwürdige Rundbriefe“, sagt Wolf Brandes, Finanz-Referent der Verbraucherzentrale Hessen. Solche Fälle würden derzeit im Rahmen des Projekts Marktwächter Finanzen dokumentiert. Es bestehe die Gefahr, ein zweites Mal Geld zu verlieren. Denn auch für Anträge oder Prozesse ohne Aussicht auf Erfolg kassieren Anwälte dank pauschaler Honorare unabhängig vom Ausgang ab.
Unseriöse von seriösen Anwälten zu unterscheiden ist nicht immer einfach. Doch es gibt Anhaltspunkte. Anleger ungefragt anzuschreiben ist in der Szene umstritten – aber nicht immer unseriös. Einige Briefe enthalten wichtige Hinweise auf juristische Chancen, und bisweilen brauchen Anwälte Infos anderer Anleger, etwa um Betrugsmuster nachweisen zu können. Dennoch: Wer ungebeten Post bekommt, sollte genau hinsehen; auch und vor allem, wenn Anwälte Druck aufbauen, kurze Antwortfristen ansetzen oder vor Verjährung warnen.
„Häufig sind den Rundschreiben Vollmachten beigefügt, die Anleger nicht auf den ersten Blick als solche erkennen können“, warnt Brandes. So können eilige Leser bisweilen den Eindruck gewinnen, dass es nur darum geht, vorformulierte Angaben zum Investment anzukreuzen – während aus einer kleiner gedruckten Passage hervorgeht, dass sie zugleich eine Vollmacht erteilen.
Deshalb gilt: Vor der Unterschrift genau lesen – und frohe Botschaften hinterfragen. Oft reicht eine Internetrecherche, um Versprechen als haltlos zu entlarven. Etwa wenn Anwälte suggerieren, dass Kunden von Pleitebanken wie der Dresdner BFI-Bank oder der Singener Privatbank Reithinger auch Jahre nach der Insolvenz noch Geld bekommen könnten. Bei beiden hatten Kunden Verluste erlitten, weil die Banken zum Zeitpunkt der Abwicklung, 2003 und 2006, nur der gesetzlichen und keiner zusätzlichen Einlagensicherung unterlagen. Die gesetzliche Einlagensicherung deckte bis Ende 2008 nur 90 Prozent von bis zu 20.000 Euro pro Kunde ab.
Die Entschädigungseinrichtung deutscher Banken (EdB) warnt auf ihrer Website, dass immer wieder weitgehend gleiche Klagen auf Auskunft und Akteneinsicht eingereicht werden, obwohl Entschädigungsverfahren längst abgeschlossen sind. Dies sei mit erheblichen Kosten verbunden, „aber im Ergebnis aussichtslos“. Oft sei das Anwaltshonorar um ein Vielfaches höher als der erlittene Verlust.
Das Verwaltungsgericht Frankfurt hat solche Klagen auf Akteneinsicht vor einigen Monaten als rechtsmissbräuchlich eingestuft, weil keine nachvollziehbaren Motive zugrunde lägen (7 K 1116/15). Für die Anwälte hat dies aber keine Konsequenz – formal sind ihre Mandanten verantwortlich.