Anlegerschutz Einfach Recht haben - wie Anleger Verluste eintreiben können

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Trickreiche Unternehmen

Laut Europäischem Gerichtshof hätte Daimler den Abgang des Vorstandschefs Jürgen Schrempp schon am 17. Mai 2005 veröffentlichen müssen

Unternehmen arbeiten bei Spruchverfahren mit allen Tricks. Batteriehersteller Varta, der im Sommer die Aktien von der Börse genommen hat und den Aktionären ein Abfindungsangebot gemacht hat, verlegte den Firmensitz von Hannover nach Ellwangen. Aus gutem Grund, wie Christoph Schäfers von der Beteiligungsgesellschaft Sparta befürchtet. Für Ellwangen ist das Oberlandesgericht Stuttgart zuständig. „Das aber gilt als industriefreundlich“, sagt er. Hier sei es sehr schwer, vor Gericht eine höhere Abfindung auszuhandeln.

Georg Issels, Vorstand der Beteiligungsgesellschaft Scherzer, vermutet, dass Siemens bei IBS ebenfalls in die Trickkiste gegriffen hat: „Eine überraschende Gewinnwarnung kurz vor der Hauptversammlung sollte wohl Forderungen nach höheren Abfindungen abwehren.“ Scherzer hielt zuletzt sechs Prozent an IBS.

Anleger sollten sich jedoch nicht einschüchtern lassen. Oft ist es besser, erst mal abzuwarten, anstatt gleich beim ersten Angebot seine Aktien abzuliefern (siehe Grafik Seite 96).

An der Börse bewegen schon Gerüchte, etwa über Übernahmen oder wichtige Personalien, die Kurse. Je früher Anleger Klarheit haben, desto besser können sie die Chancen eines Investments einschätzen.

In diesem Jahr hat der Europäische Gerichtshof dazu ein anlegerfreundliches Urteil gefällt. Demnach müssen die Unternehmen auch Zwischenschritte melden, die zu einer wichtigen Entscheidung führen (C-19/11). Laut Urteil hätte Daimler den Abgang des damaligen Vorstandschefs Jürgen Schrempp nicht erst bekannt geben dürfen, als der Aufsichtsrat die Personalie beschloss, sondern schon als Schrempp erstmals mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden über seinen Abschied gesprochen hatte (siehe Grafik Seite 96). Die Nachricht vom Abgang Schrempps ließ den Aktienkurs um knapp zehn Prozent steigen.

Spektakuläre Urteile gegen Anlagebetrüger

Mehr Sicherheit

Nun muss der Bundesgerichtshof entscheiden, wie die Vorgaben aus Luxemburg umzusetzen sind. Denkbar ist, dass Unternehmen tatsächlich kursrelevante Informationen früher melden. Aktionäre hätten mehr Sicherheit. Möglich ist aber auch, dass Unternehmen in Zukunft zu früh Mitteilungen herausblasen, die am Ende doch noch revidiert werden müssen. Aktionäre könnten so in die Irre geführt werden.

Wichtig für Aktionäre ist, dass ihre Aktie regelmäßig gehandelt wird und in welchem Börsensegment sie notiert wird. Pleiteunternehmen oder solchen mit einem beherrschenden Großaktionär ist die Erfüllung strenger Börsenregeln oft zu aufwendig. Der US-Maschinenbauer Terex etwa verfrachtete den Kranbauer Demag, schrittweise vom hoch regulierten Prime Standard in den unregulierten Entry Standard. Schlecht für Anleger: Dort sind Ad-hoc-Mitteilungen nicht gesetzlich vorgeschrieben und Vorstände müssen sich nicht neutral verhalten, sondern dürfen mit Großaktionären kungeln. Auch Schiffsfondsinitiator HCI Capital oder Puppenhersteller Zapf Creation haben den regulierten Markt verlassen.

Noch schlimmer für Anleger ist es jedoch, wenn die Aktie völlig vom Kurszettel verschwindet (Delisting). Anteile lassen sich dann kaum noch zu Geld machen.

Rückzüge aus einem regulierten Börsensegment (Downgrading) und Delistings könnten sich häufen, seit das Bundesverfassungsgericht in diesem Jahr entschied, dass Aktionäre dann keinen Anspruch auf eine Abfindung haben (1 BvR 1569/08). Die Börsennotierung sei nicht vom Eigentumsschutz des Grundgesetzes umfasst, so die Richter. Wesentlich für das Eigentum an einer Aktie, so die Richter, seien die Beteiligung am Unternehmen sowie die Mitwirkungsrechte in der Hauptversammlung. Beides bleibe auch nach Delisting bestehen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte bisher anders entschieden: Unternehmen, die die Börse verlassen, müssten Minderheitsaktionären ein Pflichtangebot für eine Abfindung machen.

„Die Verfassungsrichter öffnen die Tür für eine Änderung der BGH-Rechtsprechung“, sagt Kapitalmarktrechtler Dirk Lorenz von Taylor Wessing. Die Folge könnte sein, dass Aktionäre beim Delisting nicht mehr entschädigt werden müssen. Beim Downgrading ist dies heute schon klar.

Bei Hedgefonds droht Gefahr

Anleihebesitzern droht höchste Gefahr, wenn ein Investor oder Hedgefonds systematisch die Schulden ihres notleidenden Unternehmens aufkauft. So geschehen beim Holzverarbeiter Pfleiderer. Der Luxemburger Investor Atlantik hatte von anderen Gläubigern Pfleiderer-Anleihen aufgekauft, um sie später in Aktien umzuwandeln. Atlantik nutzte dann das bereits 2009 geänderte Schuldverschreibungsrecht. Danach darf ein Hauptgläubiger, der über 75 Prozent der Anleihen eines Unternehmens hält, die übrigen Gläubiger zu einem Forderungsverzicht zu zwingen. Atlantik kontrollierte vor dem Beschluss der Gläubigerversammlung mehr als 75 Prozent und setzte dort den Schuldenschnitt durch.

Anleihebesitzer aber klagten, und das Oberlandesgericht Frankfurt gab ihnen recht (5 AktG 3/11). Weil Pfleiderer die Anleihen vor der deutschen Gesetzesänderung über eine niederländische Tochter in Umlauf gebracht hatte, sei das 2009 geänderte Recht nicht nachträglich anwendbar.

Warum Kunden ihrem Banker misstrauen
Die Finanzkrise hat das Vertrauen der Finanzanleger negativ beeinflusst. Zu diesem kommt die aktuelle Studie der Nürnberger Puls Marktforschung unter 1.000 deutschen Bankkunden. Deren deutliche Mehrheit ist inzwischen der Meinung, sich eigenständig über Geldanlagen informieren zu müssen. Quelle: dpa
74 Prozent der Befragten geben an, dass man bei reinem Vertrauen in den Berater ohne eigene zusätzliche Information „selbst Schuld“ bei Verlusten sei. Dies sehen speziell Männer, Ältere und Besserverdienende so. Quelle: dpa-tmn
Beratungsgespräch in einer Bank Quelle: Fotolia
Auch bei der Frage, welchen Informationsquellen die Bankkunden vertrauen, kommt die Studie zu einem ernüchterndem Ergebnis: Eigentlich keiner so richtig. Aber: „Die persönliche Beratung bei unabhängigen Stellen, wie etwa der Verbraucherberatung, werden von heutigen Kunden noch am ehesten als vertrauenswürdig angesehen,“ fasst Dr. Konrad Weßner, Puls-Geschäftsführer, zusammen. Quelle: picture-alliance
Gerade mal 17 Prozent der Befragten vertrauen dem persönlichen Berater, 15 Prozent unabhängigen Institutionen. Quelle: dpa
Die Weiten des Internets taugen bei der Mehrheit auch nicht für Anlagetipps, sondern als reine Informationsplattform wie etwa zu Aktienkursen. Quelle: dpa
Das Beratungsprotokoll findet bei Anlegern mehr Anklang als vermutet: 95 Prozent derjenigen, die ein Protokoll erhalten haben, lesen es durch. Die Hälfte von ihnen ausführlich, die anderen überfliegen es zumindest. Quelle: dpa

Keine Enteignung

Nach dem Urteil müssen Anleihegläubiger, deren Papiere vor 2009 von deutschen Unternehmen im Ausland aufgelegt wurden, keine Enteignung durch eine 75-Prozent-Mehrheit befürchten. Ganz anders sieht es bei Anleihen nach deutschen Recht aus. Stimmen 75 Prozent der Gläubiger zu, ist ein Schuldenschnitt zulässig, auch bei Zinspapieren, die vor 2009 aufgelegt wurden. Für Besitzer der seit 2010 aufgelegten und bei Privatanleger sehr beliebten Minibonds ist das eine sehr reale Gefahr: Droht ihrem Unternehmen die Insolvenz, wäre ein von Hegdefonds durchgepeitschter Schuldenschnitt einschließlich Übernahme jederzeit möglich.

Atlantik ließ Pfleiderer daraufhin in die Insolvenz gehen. Auch das kriselnde Solarunternehmen Q-Cells gab nach dem Urteil seinen Plan auf, Anleihegläubiger zu einem Forderungsverzicht zu zwingen.

Die Unternehmen kritisierten die renitenten Anleihebesitzer öffentlich als räuberische Gläubiger – eine Steilvorlage für weitere Lobbyisten. So setzt sich der Bundestagsabgeordnete Jan-Marco Luczak dafür ein, Gerichtsverfahren, bei denen Anleihegläubiger gegen insolvente Unternehmen klagen, künftig zu beschleunigen. Sein Vorstoß hat ein Geschmäckle. Der CDU-Politiker arbeitet für die Kanzlei Hengeler Müller, die Pfleiderer bei der umstrittenen Sanierung beraten hat.

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