Anlegerskandale vor Wirecard Erstunken und erlogen

Quelle: imago images

Die deutsche Kapitalmarkthistorie durchziehen zahlreiche Skandale – schon lange vor Wirecard. Die Aufsicht spielte dabei meist die gleiche unrühmliche Rolle.

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Wenn es Amerika irgendwo noch wenigstens ein bisschen besser hat, dann in Sachen Kapitalmarktaufsicht. Zwar ist die US-Aufsicht mit 4200 Mitarbeitern gemessen an der Größe des Kapitalmarktes nicht unbedingt üppiger ausgestattet als das deutsche Pendant BaFin (2600), und auch sie hat spektakuläre Betrugsfälle wie die Pleite von Enron oder das Schneeballsystem des Bernie Madoff nicht verhindern können; doch ziehen die USA konsequenter Strafen durch.

Ein Vergleich dokumentiert die Unterschiede: In den USA etwa zahlte die Citigroup Anlegern nach der Pleite des Telekommunikationsunternehmens Worldcom 2,6 Milliarden Dollar Schadensersatz. 1,6 Milliarden Dollar hatte die Citigroup für Zahlungen nach dem Enron-Skandal zurückgestellt.
Ein Überblick über Pleiten und Skandale ­ schon lange vor Wirecard:

Comroad erfand Umsätze

In Deutschland sieht es seit eh und je anders aus, wie vielleicht am besten der Fall Comroad dokumentiert. Das Unternehmen unter Chef Bodo Schnabel war zur Jahrtausendwende angeblich erfolgreich unterwegs im Telematikmarkt und bei Navigationsgeräten. Doch 95 Prozent der Umsätze waren erfunden. Comroad gehörte zu den Kursraketen am Neuen Markt, Anleger verloren später alles.

von Georg Buschmann, Karin Finkenzeller, Lukas Zdrzalek, Melanie Bergermann, Volker ter Haseborg

Concord Effekten, die Emissionsbank des Betrugsunternehmens, zog einen Prozess durch immer neue Gutachten in die Länge. Am Ende zahlte Concord in einem Vergleich an 45 Aktionäre zusammen 41.000 Euro, nachdem weitere Ansprüche verjährt waren. Prüfer von Comroad war KPMG, die die von Anfang bis Ende erlogenen Bilanzen von Comroad-Chef Bodo Schnabel abgesegnet hatten. Nach Comroad versprach der Bund Besserung, mit verschärften Regeln und der Etablierung der Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) im Jahr 2005. Doch gebracht hat das wenig – zu lasch sind weiter die Regeln, zu dünn die Durchgriffsmöglichkeiten.

Unregelmäßige Bilanzen bei Bastei Lübbe

So war auch bei einer weiteren Anlegertäuschung KPMG im Spiel. 2016 deckte die WirtschaftsWoche bei Bastei Lübbe massive Bilanzschiebereien auf. Der Kurs des Kölner Buchverlages sackte ab und hat sich bis heute mehr als geviertelt. Die unter politischem Beschuss stehende Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) machte übrigens bei Bastei ihren Job: Gleich zwei Mal musste die Bilanz auf Druck der DPR geändert werden – was auch den neuen Wirtschaftsprüfer Ebner Stolz gleich wieder blamierte, der KPMG zwischenzeitlich abgelöst hatte. Allerdings gab es bis heute keinerlei sonstige Sanktionen gegen den Wirtschaftsprüfer oder die inzwischen komplett abgetretene Bastei-Führungsriege von Vorstand und Aufsichtsrat.

BaFin nach Containerpleite P&R verklagt

Direkt im Klagefeuer steht die BaFin im Zusammenhang mit der Containerpleite von P&R. Die Berliner Anwaltskanzlei Schirp ist der Auffassung, dass die BaFin im Zusammenhang mit der Insolvenz von P&R ihre Amtspflicht verletzt habe und Anleger entschädigen müsste. Die Schadenersatzklage läuft seit Ende vergangenen Jahres. Bei der rund 3,5 Milliarden Euro schweren Pleite von P&R dreht es sich darum, dass die BaFin über die rein formale Prüfung hinaus keine weiteren Informationen angefordert haben soll, so beispielsweise zum Alter der Container, die das Unternehmen an Anleger weiterreichte.

Untreue bei HSH Nordbank?

Mächtig in der Kritik steht die BaFin auch wegen ihrer Rolle bei der HSH Nordbank. So tobte der CDU-Politiker und Ex-Chef der heutigen Aurubis Werner Marnette, dass die mit Milliarden an Steuergeldern gestützte und dann an Finanzinvestoren verscherbelte Landesbank von Personen geführt worden sei, die sich allenfalls für die Leitung einer Sparkasse geeignet hätten. Die Eignungsprüfung für Bankvorstände liegt bei der BaFin. Nachdem es vor einem zunächst angedachten Börsengang der HSH zur Schönung von Bilanzpositionen gekommen sei, hätte dazu eigentlich der BaFin-Chef Stellung nehmen müsse. Es sei ein „Skandal“, dass dies nicht passiert ist, so Marnette, der 2018 eine Anzeige wegen des Vorwurfs des schweren Pflichtenverstoßes und der Untreue im Zusammenhang mit dem Verkauf der HSH an Finanzinvestoren eingereicht hatte.

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