Anleihegläubiger ausgebootet Wie Anleger in die Insolvenzfalle tappen

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"Enteignung" der Aktionäre "denkbar"

Diese Unternehmen machten nach der IPO dicht
HessKaum vier Monate nach dem Börsengang ist der Leuchtenhersteller Hess pleite. "Die Hess AG ist zahlungsunfähig", stellte der neue Alleinvorstand Till Becker fest und kündigte den Gang zum Insolvenzgericht an. Verhandlungen mit dem Großaktionär, der Familie Hess, über eine Kapitalspritze waren ebenso gescheitert wie Gespräche mit neuen Investoren. Diese fürchten die Risiken von Klagen verärgerter Aktionäre, die seit Oktober fast ihren ganzen Einsatz verloren haben. Vorstandschef Christoph Hess und Finanzvorstand Peter Ziegler waren vor drei Wochen unter dem Verdacht der Bilanzfälschung geschasst worden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt bei dem Unternehmen aus Villingen-Schwenningen im Schwarzwald wegen des Verdachts des Kapitalanlagebetrugs durch falsche Angaben im Börsenprospekt. "Aufgrund der Unsicherheiten im Hinblick auf mögliche Anlegerklagen bestehen auch keine hinreichenden Aussichten auf eine kurzfristige Eigen- beziehungsweise Fremdkapitalzufuhr durch Investoren", teilte der Hersteller von Straßenlaternen mit. Mit dem Insolvenzantrag rund vier Monate nach der IPO stellt Hess einen traurigen Rekord auf. So schnell gingen nicht einmal die Unternehmen vom Neuen Markt pleite. Quelle: dpa
GigabellAm 11. August 1999 ging der Internet- und Telefonanbieter Gigabell mit Sitz in Frankfurt an die Börse. Der Emissionspreis der Aktie lag bei 38 Euro, nur wenig später war das Papier - der Dotcom-Euphorie sei Dank - mehr als 130 Euro wert. Dann geriet das Unternehmen ins Trudeln. Am 15. September 2000 meldete Gigabell Insolvenz an. Damit begann das Ende des Nemax und der deutschen Dotcom-Blase. Quelle: dpa
Biodata Information TechnologyAuch das in der IT-Sicherheit tätige Unternehmen Biodata hielt nicht viel länger durch. Der Anbieter von Verschlüsselungssoftware und Netzwerkkomponenten ging im Jahr 2000 an die Börse. Die Aktie, ausgegeben zu 45 Euro, erreichte schon am ersten Tag astronomische Höhen von 300 Euro und mehr. Der Höchstkurs lag bei 439 Euro. Nur hatten diese Summe nichts mit dem tatsächlichen Wert des Unternehmens zu tun, Biodata schrieb laufend Verluste. Im November 2001 meldete das Unternehmen dann Insolvenz an. Quelle: dpa
Kabel New Media1993 gründete Peter Kabel das Unternehmen Kabel New Media, mit dem er 1999 auch an die Börse ging. Das Beratungsunternehmen erlitt ein ganz ähnliches Schicksal wie andere im Nemax gelisteten Firmen und hinkte mit den tatsächlichen Umsätzen den Entwicklungen an der Börse hinterher. Die Folge: Im Juli 2001 stellte das Unternehmen den Insolvenzantrag, am ersten September 2001 wurde das Verfahren eröffnet. Gegen Geschäftsführer Kabel ermittelten Polizei und Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts des Insiderhandels, der Kursmanipulation und Insolvenzverschleppung. Im Juni 2007 stellt das Amtsgericht Hamburg das Verfahren gegen Peter Kabel wegen gegen eine Geldauflage von rund 14.000 Euro ein. Quelle: dpa
Brain InternationalDas Softwareunternehmen Brain International ging im Jahr 2000 im Segment "Neuer Markt" an die Börse. Nur zwei Jahre später, am 30.8.2002 eröffnete das Amtsgericht Freiburg das Insolvenzverfahren für die drei Gesellschaften Brain International AG, Breisach, Brain Automotive Solutions GmbH und Brain Industries Solutions GmbH.
Ceyoniq Die Bielefelder Softwarefirma Ceyoniq hielt nach dem Börsengang noch gut vier Jahre durch: 1998 wagte das Unternehmen den Schritt aufs Parkett, 2001 rutschte es in die Verlustzone. Rund 90 Millionen Euro Miese machten die Bielefelder, wiesen aber sämtliche Pleitegerüchte von sich. Auch die Aktie ging auf Talfahrt - bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Jahr 2002 hatte das Papier bereits 98 Prozent seines Wertes eingebüßt. Die Vorstände der Ceyoniq AG kamen wegen Betrugsverdachts vorübergehend in Untersuchungshaft.
ComroadAuch Bodo Schnabel, Gründer der Comroad AG, beendete seine Karriere am neuen Markt in einer Zelle. Das Unternehmen, das Navigationsgeräte herstellte, startete am 26. November 1999 erfolgreich am Neuen Markt in Frankfurt und gehörte bald zu den Topwerten im Nemax. Anfang 2002 wurde dann bekannt, dass Comroad im großen Stil Scheingeschäfte getätigt hatte - und das bereits seit 1998. Rund 95 Prozent der Umsätze waren erfunden. Im April 2002 wurde Comroad wegen Bankrotts geschlossen, Vorstandsvorsitzender Schnabel landete in Untersuchungshaft. Quelle: dpa

Vorteil der Restrukturierung in der Insolvenz sei, dass eine „Entschuldung der Gesellschaft auch gegen den Willen von Gläubigern und Aktionären möglich“ sei. Eine „Enteignung“ der Altaktionäre, beispielsweise durch die Umwandlung von Schulden in Aktien (Debt to Equity-Swap), sei „denkbar“. Weiterer Vorteil: „In der Regel“ sei ein „höherer Haircut“ möglich. Dürfte heißen: Anleiheanleger müssen auf mehr Geld verzichten als außerhalb der Insolvenz. Gelobt wurde die Schnelligkeit des Verfahrens. Das Risiko, dass Gläubiger sich gerichtlich gegen den Insolvenzplan wehrten, sei „seit ESUG erheblich reduziert“.

Die Idee hinter der Gesetzesreform ist durchaus honorig: Die Bundesregierung wollte es Unternehmern ermöglichen, ihren Betrieb selbst zu sanieren – schon bevor das Unternehmen endgültig zahlungsunfähig ist. Nach altem Recht hielt die Angst, die Kontrolle über die Firma völlig zu verlieren, viele Chefs davon ab, zum Insolvenzgericht zu gehen. Erst wenn die Pleite unabwendbar war, beantragten sie Konkurs – zu spät: Betriebe kollabierten, Jobs gingen verloren. „Wenn wir als Insolvenzverwalter in die Unternehmen kamen, war für die Gläubiger oft nicht mehr viel zu holen“, sagt der erfahrene Berliner Verwalter Rüdiger Wienberg.

Die Reform sollte das ändern: Der Chef kann selbst einen Insolvenzplan zu Papier bringen, in dem steht, wie saniert werden soll. Sein Sachwalter wird zwar vom Gericht benannt, aber er darf ihn vorschlagen. Der Sachwalter hat eine schwächere Position als ein vorläufiger Insolvenzverwalter in herkömmlichen Verfahren: Der Insolvenzverwalter muss Geschäftsentscheidungen zustimmen, der Sachwalter überwacht die Geschäftsführung nur.

Kritik von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger

Dass er denen gegenüber, die ihm diesen Job verschafft haben, nicht allzu streng auftritt, liegt nahe. Wenn in einem Unternehmen die kreditgebenden Banken oder Großaktionäre Schlüsselstellungen besetzt haben, besteht die Gefahr, dass Sachwalter und Management vor allem in deren Sinne handeln.

Banken, Hedgefonds und andere Finanzunternehmen hätten „Insolvenzverfahren als unregulierten Nebenmarkt entdeckt“, warnt der Verband der Insolvenzverwalter VID. „Damit sind neue Player ins Spiel gekommen, die nicht primär an Sanierung interessiert sind, sondern ausschließlich an kurzfristigem Gewinn – zum Schaden der Gläubiger.“ Und Daniel Bauer, Vorstand der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK), kritisiert: „Das neue Insolvenzrecht ist nichts anderes als ein gesetzlicher Anreiz, eine Rückzahlung nicht vorzunehmen. Es ist für Unternehmen nun höchst attraktiv, aktiv ein Insolvenzverfahren einzuleiten.“

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