




Nach Auffassung des Frankfurter Juraprofessors Tobias Tröger und seines Mitarbeiters Thomas Kelm ist die derzeitige Kündigungspraxis von Bausparkassen nicht mit der Rechtslage vereinbar. Da für Altverträge feste Zinsen vereinbart wurden, entpuppen diese sich in der aktuellen Niedrigzinsphase als äußerst attraktive Geldanlage für die Bausparer. Statt das angesparte Geld für den Kauf oder Bau eines Eigenheims abzurufen, lassen Kunden die lukrativen Verträge daher lieber weiter laufen.
Glaubt man den Argumenten der Bausparkassen, widerspricht dieses Verhalten der Kunden dem Zweck des Bausparens. Sie kündigen die Verträge daher einfach. Viele Sparer ließen sich das nicht gefallen und zogen vor Gericht. Zum Showdown wird es vor dem Bundesgerichtshof (BGH) kommen, Deutschlands oberstem Zivilgericht.
Wie der BGH urteilen wird, lässt sich noch nicht absehen, doch die beiden Frankfurter Wissenschaftler geben den Verbrauchern Recht.
Geldpolitik der EZB: Belastungen durch Niedrigzinsen
In Deutschland beliebte Sparformen wie Tages- und Festgeld werfen kaum noch etwas ab. Die niedrige Inflation gleiche die negativen Effekte der niedrigen Zinsen allerdings aus, betont EZB-Präsident Mario Draghi. Derzeit liege die Verzinsung minus Inflation höher als im Durchschnitt der 1990er Jahre. „Zu der Zeit hatten Sie höhere Zinsen auf dem Sparbuch, aber zugleich meist Inflation, die weit darüber lag und alles auffraß“, sagte Draghi jüngst in einem Interview. Im Mai lagen die Verbraucherpreise in Deutschland nach vorläufigen Berechnungen gerade einmal um 0,1 Prozent über dem Vorjahresniveau.
Stand: 07.06.2016
Finanzinstitute müssen Strafzinsen zahlen, wenn sie Geld bei der EZB parken. Für den durchschnittlichen Privatkunden sind Strafzinsen bislang kein Thema. Man werde „alles tun, um die privaten Sparer vor Negativzinsen zu schützen - in Teilen auch zu Lasten der eigenen Ertragslage“, sagte jüngst der Chef des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, Georg Fahrenschon. Wenn die aktuelle Niedrigzinsphase aber lange andauere, würden die Sparkassen die Kunden letztlich nicht davor bewahren können. Zudem könnten Geldhäuser nach Angaben des Präsidenten des Bundesverbandes der deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR), Uwe Fröhlich, gezwungen sein, an der Gebührenschraube zu drehen: „Jeder muss in seiner Bank überlegen, wie er über Konditionen-Gestaltung gegen die Ertragsverluste anarbeitet, die ohne Zweifel da sind.“
Lebensversicherern fällt es immer schwerer, die hohen Zusagen der Vergangenheit zu erwirtschaften. Die Folge: Die Verzinsung des Altersvorsorge-Klassikers sinkt seit geraumer Zeit. Auch Betriebsrenten leiden, Firmen müssen wegen der Zinsschmelze immer mehr Geld für die Pensionsverbindlichkeiten zurücklegen. Viele Unternehmen versprechen bei Neueinstellungen daher keine konkreten Leistungen mehr, sondern sagen lediglich zu, einen bestimmten Betrag pro Monat in Vorsorgekassen einzuzahlen. Das Zinsrisiko tragen die künftigen Pensionäre.
Die massenhaften Kündigungen erfolgen, weil die Kassen sich die hohen Zinszahlungen an die Sparer nicht mehr leisten können, schließlich wirft das Eigenkapital der Institute wegen der gesunkenen Kapitalmarktzinsen immer weniger Rendite ab. Doch das Niedrigzinsumfeld rechtfertigt aus Sicht der beiden Frankfurter Wissenschaftler Tröger und Kelm keine Kündigung von Bausparverträgen durch den Anbieter. Ihr Argument: Es sei eine originäre Leistung von Kreditinstituten und Bausparkassen, das Risiko von Zinsänderungen in ihrem Geschäft zu berücksichtigen. Würde man ihnen in einem ungünstigen Zinsumfeld ein Sonderkündigungsrecht zugestehen, belohnte man solche Institute, die dieser ökonomisch elementaren Aufgabe nicht gerecht geworden sind.
Zinsrisiko ist Geschäftsrisiko der Bausparkassen
Für Juristen ist es durchaus ungewöhnlich, solche ökonomischen Begründungen ins Feld zu führen. Und es geht noch weiter: Mit einem Sonderkündigungsrecht in Niedrigzinszeiten entstünde die Gefahr eines systematischen moralischen Fehlverhaltens, was Institutionenökonomen als Moral Hazard bezeichnen.
Diese Gefahr liegt laut Tröger und Kelm darin, dass Kreditinstitute, wenn sie jederzeit kündigen dürften, keinen Anreiz mehr hätten, Zinsrisiken überhaupt noch in ihre Verträge einzukalkulieren. Sie würden in guten Zeiten Gewinne mitnehmen und in schlechten Zeiten einfach die Geschäftsbeziehung mit dem Kunden beenden.
Doch was passiert, wenn Bausparkassen die Belastung nicht mehr schultern können und reihenweise Pleite gehen? Für eine solche systematische Schieflage mit Gefahr für die Finanzstabilität sehen die beiden Juristen einen anderen rechtlichen Ausweg. Dann nämlich wäre die Finanzaufsicht gefragt, sich eine Lösung des Problems zu überlegen.