Ein platter Autoreifen. Für Lawrence Ackman eine gute Gelegenheit, seinen 14-jährigen Sohn Bill an die Dinge heranzuführen, die ein Mann können muss. „Du wechselst den Reifen“, sagt er zu Bill. Der jedoch ist skeptisch, denn das Auto steht an einer abschüssigen Straße. Ist es nicht zu riskant, hier den Wagen aufzubocken? Der Vater duldet keinen Widerspruch. Bill schnappt sich den Wagenheber, stemmt das Auto in die Höhe, schraubt das Rad ab – und wird dann um ein Haar unter dem herabstürzenden Wagen begraben. Wegen des Gefälles ist das Auto vom Heber gerutscht.
Bill Ackman hat an diesem Tag vor 35 Jahren nicht nur etwas über Reifenwechsel gelernt. „Es war einer der bedeutendsten Momente in meinem Leben“, sagt er. „Ich habe verstanden: Ich muss meine eigenen Entscheidungen treffen. Sogar wenn ich dabei meinem Vater widerspreche.“ Und das ist eine Lehre, die Ackman in den folgenden Jahrzehnten eindrucksvoll in Erfolg ummünzte: Ackman wurde einer der konfliktfreudigsten Investoren, die Amerika je gesehen hat; und einer der erfolgreichsten. Ackmans Hedgefonds Pershing Square Capital steigt bei angeschlagenen Unternehmen als Großaktionär ein, ändert den Kurs der Firmen und verkauft nach geglückter Sanierung die Anteile mit Gewinn.
Der riskanteste Deal seiner Karriere
Bei der Gründung im Jahr 2004 verwaltete Ackmans Hedgefonds 54 Millionen Dollar, heute sind es 18 Milliarden. Im zurückliegenden Jahr vermehrten Hedgefonds das Vermögen ihrer Kunden um durchschnittlich drei Prozent. Ackman schaffte 40 Prozent. Schöner Nebeneffekt: Sein Privatvermögen wuchs auf rund 2,5 Milliarden Dollar. Stellt ihn das zufrieden? Mitnichten. Denn ausgerechnet nun, auf dem vorläufigen Höhepunkt seiner Investorenkarriere, setzt Ackman zu seinem vielleicht riskantesten Deal an: Macht ihn der noch reicher – oder kostet ihn der am Ende womöglich die Freiheit?
Ackman ist so oder so eine Ausnahmeerscheinung. Nicht nur weil er einen von etwa 100 Hedgefonds weltweit führt, die anders als die meisten der weltweit 11.000 Hedgefonds, die Anlagen von insgesamt drei Billionen Dollar aktiv verwaltet. Sondern auch, weil Ackman anders als erfolgreiche Kollegen seine Reichtümer nicht unter karibischen Palmen verprasst. Stattdessen steuert der Vater von drei Töchtern, der seit 20 Jahren mit einer Landschaftsarchitektin verheiratet ist, nun auf die aufreibendsten Monate seines Lebens zu. Denn Ackman hat rund eine Milliarde Dollar aus dem eigenen Vermögen und dem seiner Hedgefondskunden auf den Absturz des Unternehmens Herbalife verwettet.
Mit FBI, Staatsanwalt und Gesundheitsbehörden gegen Herbalife
Die Firma aus Los Angeles, die Diätprodukte im Direktvertrieb verkauft, betreibe ein kriminelles Schneeballsystem, argumentiert Ackman seit nunmehr zweieinhalb Jahren und spornt FBI, Staatsanwaltschaften und Gesundheitsbehörden an, gegen Herbalife vorzugehen – damit die Aktie abstützt und er Kasse macht. Zwar gibt es inzwischen Ermittlungen, doch sie sind zäh. Und sie könnten auch ergeben, dass bei Herbalife rechtlich alles im Lot ist. Diese Hoffnung hat Hedgefondsgrößen wie Carl Icahn, George Soros und Dan Loeb auf den Plan gerufen. Sie haben einen nie da gewesenen Titanenkampf unter New Yorker Investoren angezettelt: Sie stellten sich gegen Ackman und investierten in Herbalife, was der Aktie mächtigen Auftrieb verlieh.
Aus Ackmans Sicht muss die Aktie unter 35 Dollar notieren, sonst verliert er wegen seiner Milliardenwette Tag für Tag Unsummen; sein persönliches Risiko beträgt mehrere 100 Millionen Dollar.
Am liebsten wäre ihm ein Absturz der Aktie auf null Dollar. Stattdessen steht das Papier – nicht zuletzt wegen der Einmischung seiner Konkurrenten – nun bei 51 Dollar. Außerdem haben die Strafverfolger, die Ackman mit Informationen über Herbalife gefüttert hat, womöglich nun auch ihn ins Visier genommen. Sollten sie ihm vorwerfen, dass er mit seiner Negativkampagne gegen Herbalife den Kurs der Aktie rechtswidrig manipuliert hat, drohen ihm hohe Geldbußen, womöglich sogar eine Haftstrafe.
Ohne Furcht vor dem Absturz
„Mein Leben verlief erst so“, sagt Ackman, und seine rechte Hand zeichnet eine steile Kurve nach oben. „Nach dem Studium war alles super, dann aber“ – die Hand schnellt nach unten –„musste ich meinen ersten Hedgefonds nach zehn Jahren abwickeln. Jetzt bin ich wieder oben. Stellt sich die Frage, ob es gut weiterläuft oder ob es erneut in den Keller geht?“ Sonderlich groß scheint seine Furcht vor dem Absturz nicht zu sein. Ackman ist notorischer Optimist („Ich wüsste nicht, dass Pessimisten in der Geschichte der Menschheit bislang sonderlich viel zustande gebracht hätten“) und risikoaffin. Hedgefondsmanager Robert Chapman, einer von vielen Feinden Ackmans in der Investorenszene, drückt sich weniger höflich aus: „Ackman hat einen Superman-Komplex. Er würde von einem Haus springen und danach die unvorhersehbare und unfaire Schwerkraft anprangern.“
Bei Ackman vermengt sich die Risikobereitschaft mit einem schon von den Eltern vermittelten unerschütterlichen Selbstbewusstsein und unbedingtem Siegeswillen. Sein verbissener Kampf um Platz eins macht vor nichts halt. Nicht vor den sonntäglichen Tennispartien mit Tochter Eloise und nicht vor einer Radtour mit Kollegen, die in Hedgefondszirkeln zu den beliebtesten Ackman-Anekdoten gehört: Im Sommer 2012 traf sich der Investor mit Freunden zu einem Ausflug auf Long Island. Aus der lockeren Fahrradtour wurde ein Radrennen gegen Dan Loeb, in das sich Ackman derart hineinsteigerte, dass er erst allen davonfuhr, dann jedoch noch vor dem Ziel kollabierte und vor Schmerzen schreiend nach Hause gerollt werden musste.
Zerrüttete Verhältnisse zu den Kollegen
Loeb und Ackman, früher einmal Freunde, sind einander heute als Menschen und als Herbalife-Antipoden in herzlicher Abneigung verbunden. Und das ist nicht das einzige zerrüttete Verhältnis zu Kollegen. Die Ablehnung in New Yorker Investorenkreisen sei so groß, dass viele nur deshalb zu Herbalife-Unterstützern wurden, um Ackman zu schaden – so eine weitverbreitete Sicht an der Wall Street. Es ist wohl auch Ackmans kühle Souveränität, die sein Umfeld nervt. „Er ist verdammt intelligent, und das lässt er alle spüren“, sagt ein Fondsmanager. In einer Live-Sendung im US-Fernsehen arbeitete sich Carl Icahn, der als aggressiver Hedgefondsmanager ein ganz ähnliches Geschäftsmodell wie Ackman verfolgt, erfolglos an Ackman ab und geriet darüber so in Rage, dass er sich zu primitivsten Hasstiraden hinreißen ließ. Ackman wurde nicht ein einziges Mal ausfällig.
Es ist aber auch Ackmans Erfolg, der an der Wall Street Neid provoziert. Denn der Wettbewerb unter den „Heuschrecken“ ist in den vergangenen Jahren härter geworden. Die Fonds werden von Anlegern mit so viel Geld geflutet, dass es ihnen zunehmend schwerfällt, renditestarke Anlagemöglichkeiten zu finden. Wenn die Mehrzahl der Fonds nur noch Renditen erwirtschaftet, die unterhalb der Entwicklung des Aktienindex S&P 500 liegen, wird Ackman mit seinen zweistelligen Renditen zum Ärgernis.
Ackman erzwingt Veränderungen
Dass Ackman in der amerikanischen Unternehmenslandschaft wenige Fans hat, liegt in der Natur der Sache: Er sagt dem Top-Management von Firmen, was seiner Ansicht nach falsch läuft, erzwingt Änderungen. Das Management der Fast-Food-Kette Wendy’s musste seine Besserwisserei ertragen, ebenso die Chefs der Handelsketten Target und J.C. Penney oder der kanadischen Eisenbahngesellschaft Canadian Pacific Railway. Meist ging es den Firmen nach seinen Interventionen besser als vorher, doch willkommen waren seine Störmanöver trotzdem nicht.
Im Dienste der Gesellschaft
Schlecht gemanagte Unternehmen leistungsfähiger machen, kriminelle Unternehmen ausschalten – Ackman versteht das nicht nur als gewinnbringende Tätigkeit für seine Kunden, sondern auch als Dienst an der Gesellschaft. Sein Hedgefonds ersetze, so Ackmans Lesart, den früher üblichen Firmenpatriarchen, der in seiner Machtfülle Fehlentwicklungen schnell korrigieren konnte.
In öffentlich gehandelten Aktienunternehmen dagegen gebe es eine „Demokratisierung“, die nötige Entscheidungen verlangsame oder verhindere. Pershing Square Capital erwerbe immer nur Minderheitsanteile von 10 oder 15 Prozent an den Firmen: „Wir sind immer darauf angewiesen, dass wir andere von unseren Vorstellungen überzeugen.“ Aber was passiert, wenn mehrere Hedgefonds bei einem Unternehmen einsteigen und sich heimlich absprechen? Die amerikanische Börsenaufsicht SEC hat den Verdacht, dass genau das bei aktivistischen Hedgefonds passiert. Seit die SEC aufgrund verschärfter Regulierung mehr Daten der Hedgefonds über ihre Investitionen bekommt, ist sie solchen Verbindungen auf der Spur und hat angeblich mehrere Untersuchungen gestartet. Ob Pershing Square Capital unter den Verdächtigen ist, ist nicht bekannt.
Einziges Vorbild Buffett
Die Liste der Hedgefondskollegen, die Ackman nicht mag, ist lang. In der Kategorie Vorbilder dagegen findet sich nur einer: Warren Buffett. Der Chef der Investmentfirma Berkshire Hathaway, der mit größtenteils langfristig angelegten Investitionen in Unternehmen der drittreichste Mensch der Erde wurde – sein Vermögen beläuft sich auf geschätzte 72 Milliarden Dollar –, sei „unvergleichlich“ in der Investorenszene, sagt Ackman, auch weil er für die Unternehmen, an denen er beteiligt ist oder war so viel Gutes bewirkt habe. Auf Buffett geht auch die Initiative Giving Pledge zurück, deren 137 Mitglieder das Versprechen abgelegt haben, mindestens die Hälfte ihres Milliardenvermögens zu spenden. Ackman ist einer dieser Spender.
Mit Buffett hat Ackman die Investorenikone schlechthin zu seinem Maßstab erklärt. Um dem „Orakel von Omaha“ das Wasser reichen zu können, fehlt ihm allerdings noch eine Gesellschaft wie Buffetts Berkshire Hathaway, mit der er nicht nur vorübergehend investiert, sondern unter deren Dach er ein ganzes Konsortium von Firmen versammeln kann. Doch Ackman, den sie an der Wall Street schon Baby-Buffett nennen, arbeitet daran. „Pershing Square 2.0“ hat er die Neuausrichtung seiner Firma genannt: Noch langfristigere Investments, noch konstruktivere Mitarbeit bei den Firmen mit Beteiligungen, eher ein Image als Unternehmer denn als Investor. Dafür braucht er deutlich mehr Mitarbeiter als bisher. Den nötigen Platz hat er gerade mit dem Kauf des neuen Firmensitzes 787 11th Avenue in New York für angebliche 250 Millionen Dollar von Ford geschaffen.
Wenn Ackman eine Erfolgsbilanz wie Buffett haben will, muss er bis zum 87. Lebensjahr als Investor arbeiten. Das scheint sein Plan zu sein. Doch der Mann, der nicht müde wird, den Beitrag seiner Arbeit für die Gesellschaft zu betonen, und der seine wohltätige Stiftung schon mit über 350 Millionen Dollar versorgt hat, wäre auch einem Politiker-Dasein nicht völlig abgeneigt. Aber auch da denkt er in Superlativen: „Ich will nicht für jemand arbeiten, ich will der Vorstandschef sein, etwas bewegen können.“ Also Präsident? „Nein, nicht Präsident. Vorstandschef von Amerika. Der Präsident kann dann Hände schütteln und auf Beerdigungen gehen.“