Blackrock-Ökonom "Great Britain läuft Gefahr, 'Little England' zu werden"

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"Schaukelbörse" geht vermutlich weiter

Der Euro und das Pfund haben massiv verloren, die europäischen Exportunternehmen wird es freuen. Profitieren auch deren Aktien?
Das ist kein abwegiger Gedanke, aber das Brexit-Thema ist noch nicht vorbei. Wenn die EU keine gute Antwort darauf findet, dann kommen grundsätzliche Fragen zum Fortbestehen der Union auf. Investoren werden sich in diesem Fall von Europa abwenden. Ob die europäischen Unternehmen wegen der Schwäche der Währung mehr Umsatz und Gewinn machen, ist dann sekundär.

Also jetzt noch nicht nachkaufen?
Einen Einstieg müssen sich Anleger gut überlegen. Der Brexit-Schock steckt jetzt erstmal in den Kursen drin. Noch mal so drastisch dürfte es also nicht abwärts gehen. Ich habe auch von einigen Häusern gehört, die jetzt in die fallenden Kurse hinein ihre Aktienposition aufstocken. Ich erwarte aber, dass die Schaukelbörse vorerst weitergeht und wir durchaus auch noch tiefere Kurse sehen könnten. Kommt es dazu, werden sich sicher auch wieder Chancen bieten. Aber da sind wir noch nicht.

So sähen Kaufkurse für die 30 Dax-Aktien aus

Wo vermuten Sie denn gute Möglichkeiten für Anleger, wenn sich der Staub gelegt hat?
Ganz massive Abschläge gab es bei den Banken. Im Moment machen Anleger keinen Unterschied zwischen den Instituten und strafen die ganze Branche ab. Irgendwann wird der Punkt kommen, an dem wieder differenziert wird und einzelne Aktien gute Chancen für eine Aufholjagd bieten.

Befürchten Sie keine Bankenkrise? Immerhin dürfte nun auch der heiß gelaufene britische Immobilienmarkt abkühlen.
Ein Austritt aus der EU wäre für den britischen Immobilienmarkt, insbesondere den in London, natürlich schlecht. Aber ich denke nicht, dass das bei den Banken zu massiven Ausfällen führen wird. Kommerzielle Immobilien in Großbritannien werden vielfach über Private Equity finanziert, weniger über Banken. Außerdem sind die Immobilien nur verhältnismäßig moderat mit Schulden belastet. Der Bankensektor wird dieses Problem daher verkraften können.

Die Deutsche Bank und die Commerzbank waren die größten Verlierer im Dax. Warum sind gerade die Banktitel vom Brexit betroffen?
Die Finanzbranche leidet naturgemäß am stärksten. Dort hat Großbritannien einen signifikant höheren Anteil im Vergleich zum Rest Europas, als es dem Bruttoinlandsprodukt entsprechen würde. Sie erwirtschaften ungefähr 15 Prozent des europäischen BIP, generieren aber gut 25 Prozent der Umsätze an europäischen Finanzmärkten. Finanzdienstleistungen sind das zentrale Exportgut der Briten, dort haben sie einen Leistungsbilanzüberschuss. Hingegen ist der Saldo im Güterexport und -import negativ. Wenn der Zugang zum EU-Binnenmarkt nun gekappt wird, leidet die gesamte europäische Finanzbranche – sowohl in Kontinentaleuropa, als auch auf der Insel.

Was die Briten an der EU stört
Mittelstand könnte beim Brexit-Referendum am 23. Juni den Ausschlag geben Quelle: dpa, Montage
Nationale IdentitätAls ehemalige Weltmacht ist Großbritanniens Politik noch immer auf Führung ausgelegt. London ist gewohnt, die Linie vorzugeben, statt sich mühsam auf die Suche nach Kompromissen zu begeben. „London denkt viel mehr global als europäisch“, sagt Katinka Barysch, Chefökonomin beim Centre for European Reform in London. Die Angst, von EU-Partnern aus dem Süden Europas noch tiefer in die ohnehin schon tiefe Krise gezogen zu werden, schürt zusätzliche Aversionen. Quelle: dpa
Finanztransaktionssteuer und Co.Die Londoner City ist trotz massiven Schrumpfkurses noch immer die Lebensader der britischen Wirtschaft. Großbritannien fühlt sich von Regulierungen, die in Brüssel ersonnen wurden, aber die City treffen, regelrecht bedroht. „Regulierungen etwa für Hedgefonds oder die Finanztransaktionssteuer treffen London viel mehr als jeden anderen in Europa“, sagt Barysch. Allerdings hatte die Londoner City in der Finanzkrise auch mehr Schaden angerichtet als andere Finanzplätze. Quelle: dpa
Regulierungen des ArbeitsmarktsGroßbritannien ist eines der am meisten deregulierten Länder Europas. Strenge Auflagen aus Brüssel, etwa bei Arbeitszeitvorgaben, stoßen auf wenig Verständnis auf der Insel. „Lasst uns so hart arbeiten wie wir wollen“, heißt es aus konservativen Kreisen. Quelle: dapd
EU-BürokratieDie Euroskeptiker unter den Briten halten die Bürokratie in Brüssel für ein wesentliches Wachstumshemmnis. Anti-Europäer in London glauben, dass Großbritannien bilaterale Handelsabkommen mit aufstrebenden Handelspartnern in aller Welt viel schneller aushandeln könne als der Block der 27. Die Euroskeptiker fordern auch, dass der Sitz des Europaparlaments in Straßburg (hier im Bild) abgeschafft wird und die Abgeordneten nur noch in Brüssel tagen. Quelle: dpa
MedienDie britische Presse ist fast durchgehend europafeindlich und prägt das Bild der EU auf der Insel. Das hat auch politische Wirkung. „Ich muss meinen Kollegen in Brüssel dauernd sagen, sie sollen nicht den 'Daily Express' lesen“, zitiert die „Financial Times“ einen britischen Minister. Quelle: dpa

Wie hat sich BlackRock positioniert, um sich gegen diese Risiken zu rüsten?
Wir haben schon vor Monaten eine Taskforce von 50 Mitarbeitern zusammengestellt, die sich nur mit diesem Thema befasst hat. Dabei spielen die rechtlichen Risiken des EU-Austritts eine Rolle, aber auch der Schutz unserer Kunden.

Mit Erfolg?
Trotz der gravierenden Auswirkungen dieses Tages können wir business as usual machen. Wir können garantieren, dass wir unsere Kundenportfolios ohne große Störungen weiter managen können, weil wir gut vorbereitet waren.

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