Blockchain „Das ist eine Chance für Deutschland“

Quelle: imago images

Fabian Reetz von der Stiftung Neue Verantwortung über gute und böse Blockchain, Bitcoinschürfer, die sich auf Kosten anderer bereichern, und darüber, warum die Bundesregierung eine Strategie für die Technologie braucht.

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WirtschaftsWoche: Herr Reetz, wofür benötigt Deutschland eine Blockchain-Strategie?
Fabian Reetz: In Deutschland ist in den vergangenen Jahren ein weltweiter Hub für Blockchaintechnologie entstanden. Insbesondere in Berlin sitzen einige wichtige Spieler der Szene, und das zieht weitere Entwickler an. Das ist mal eine Chance für Deutschland, bei einer neuen Technologie vorne mit dabei zu sein. Und deshalb ist es wichtig, dass die Bundesregierung vernünftige Rahmenbedingungen schafft.

Bei Blockchain fällt den meisten Bitcoin ein, die Kryptowährung, die von Verfechtern als von Banken unabhängiges Geldsystem gepriesen wird, im Grunde aber ein großes Spekulationsobjekt ist. Warum brauchen wir die Technologie überhaupt?
Blockchain wird nicht alle Probleme der Welt lösen, klar. Aber sie kann an vielen Stellen helfen, wo wir derzeit nicht weiterkommen. Eigentlich überall dort, wo viele Akteure gemeinsam an einem Prozess arbeiten, und es zu Reibungen an den Schnittstellen kommt. Diese Schnittstellen werden durch Blockchaintechnologie automatisiert, an die Stelle von festgelegten Strukturen treten die Mathematik und eine kryptographische Infrastruktur.

Und das heißt genau?
In Lieferketten zwischen Unternehmen. Bei der Verwaltung von Flüchtlingsdaten. Oder zum Beispiel in der Energiewirtschaft bei den Prozessen zwischen Stromhändlern, Netzbetreibern und Versorgern. Da sieht der Alltag heute oft noch so aus, dass ein Netzbetreiber zum Telefonhörer greift und im Kraftwerk bittet, die Leistung hoch oder runter zu regeln. Oder es werden Excel-Tabellen herumgeschickt.

Zur Person

Nicht gerade modern, aber ist das problematisch?
Das ist ein Problem, wenn die Prozesse untereinander durch die Energiewende immer schneller werden müssen – weil plötzlich sehr starker Wind bläst oder eben nicht genug Wind. Da kann Blockchain eine gemeinsam genutzte Struktur darstellen, die kryptographisch sicher abbildet, wer wann worauf zugreifen darf.

Dass Blockchain gerade der Energiewirtschaft helfen soll, wirkt insofern paradox, dass die Herstellung von Bitcoins im Jahr allein 30 Terawattstunden Strom verbraucht, wie Sie in Ihrer Studie schreiben, so viel wie ganz Dänemark. Je nach Schätzung sind es sogar bis zu 75 Terawattstunden jährlich. Ist das nicht Ironie?
Blockchain ist eben nicht gleich Blockchain. Es gibt solche mit viel und solche mit wenig Energieverbrauch. Bitcoin verschwendet so viel Energie, weil die Technologie einen Wettbewerb erzeugt. Das funktioniert, vereinfacht ausgedrückt, so: Um den nächsten Block zu finden, der die Kette, also die Blockchain verlängert, und mir Bitcoins einbringt, muss ich durch Raten den richtigen Schlüssel finden. Wer mehr Versuche schafft und viele Milliarden Schlüssel durchprobiert, erhöht seine Chancen.

Weil nur ein Schlüssel passt.
Genau, wie bei einer Lostrommel auf dem Rummel, in der nur ein Gewinn steckt. Wenn ich schneller mehr Lose ziehe als andere, habe ich höhere Chancen, den zu finden. Der Blockchaincode ist aber so geschrieben, dass nur alle zehn Minuten ein neuer Block entsteht. Je mehr Versuche das Netzwerk registriert, desto schwerer macht es das Raten sogar. Weltweit laufen also gleichzeitig Millionen energieintensive Rechenoperationen, von denen immer nur eine einzige den richtigen Schlüssel findet. Alle anderen verschwenden einfach nur Strom. Und produzieren mit der Zeit außerdem eine Menge Elektroschrott.

Wieso das?
Findige chinesische Hersteller haben sich darauf spezialisiert, Chips zu bauen, die nur diese einzige Aufgabe erfüllen: die in dem Prozess benötigten Zeichenfolgen zu berechnen. Deren Lebensdauer liegt aber nur bei etwa zwölf Monaten, dann kommt die nächste, leistungsstärkere Generation auf den Markt. Während man Computer und Smartphones immer noch für andere Zwecke nutzen kann, sind diese Geräte dann einfach Schrott.

Es gibt keine Bitcoin GmbH, die die Politik regulieren oder mit Strafen belegen könnte. Wie viel kann eine Blockchain-Strategie der Bundesregierung da überhaupt bewirken?
Die Politik könnte zum Beispiel festlegen, dass bei Ausschreibungen für Verwaltungssoftware mit Blockchain diese Art der Blockchainberechnung kein Teil der Technologie sein darf. Sie sollte sie sogar von allen Forschungs- und Fördermaßnahmen ausnehmen – oder ganz verbieten. Damit würde schon ein Signal durch die Community gehen.

Bedeutete das im Umkehrschluss nicht, dass die Entwickler einfach weiterziehen – dahin, wo sie ausprobieren können, was sie wollen?
Nein. Ein Verbot dieses einen Puzzleteils würde ja nicht der Technologie als Ganzes das Wasser abgraben. Die modernsten Entwicklungen verwenden diese Technik gar nicht mehr und kommen ohne die energieverbrauchende Parallelarbeit aus. Wer die heute noch benutzt, sind Leute, die ältere Methoden anwenden, weil sie sich gern auf Kosten anderer bereichern.

In Deutschland werden ohnehin kaum Bitcoins berechnet, es lohnt sich nicht, der Strom ist zu teuer. Was würde ein Verbot da überhaupt bringen?
Natürlich könnte Deutschland sagen, bei uns findet so gut wie kein Bitcoinmining statt, das Problem trifft uns nicht. Aber in Zeiten, in denen Klimaschutz mit Fridays for future wieder ein Wahlkampfthema wird, stellt sich schon die Frage, ob man sagen will, bei uns entsteht der CO2-Ausstoß ja nicht, nach mir die Sintflut. Wenn der Großteil der Kerntechnologie-Entwicklung in Deutschland stattfindet, sollte die Bundesregierung auch über die Grenzen hinaus Einfluss nehmen.

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