Herr Otte, 2014 war ein bewegtes Börsenjahr. Wie fällt ihre Bilanz zum Jahresende aus?
Max Otte: Insgesamt war das Börsenjahr okay, ich würde sagen, die Bilanz ist verhalten positiv. Was unsere eigenen Fonds angeht, die ja wachstumsorientiert ausgerichtet sind, ist die Bilanz verhalten negativ.
Wo lief es gut, wo eher schlecht?
Wir waren sportlich unterwegs, haben auch in Südeuropa und im Rohstoffbereich investiert - und in diesen Sektoren leider eins drauf bekommen. Aber Qualität hat sich behauptet: Nestlé, Fuchs Petrolub oder Novartis waren schon gut bewertet, haben sich im Absturz aber auch gut behauptet. Im Moment strebt alles zur Qualität. Die ist nun nicht mehr billig, aber es gibt auch noch keine Blase.
Zur Person
Max Otte, Jahrgang 1964, ist ein deutsch-amerikanischer Ökonom, der durch sein 2006 erschienenes Buch „Der Crash kommt“, in dem er die Finanzkrise vorhersagte, national wie international große Bekanntheit erlangt hat. Er ist Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule Worms und war Professor für Unternehmensanalyse und -diagnose an der Universität Graz. Der Vertrag mit der Uni Graz ist inzwischen ausgelaufen ist, die Lehrtätigkeit in Worms ruht. Otte ist Leiter des 2003 von ihm gegründeten Instituts für Vermögensentwicklung (IFVE) sowie unabhängiger Fondsmanager. Zwei Investmentfonds für Privatanleger, die nach der Strategie von Max Otte seit 2008 und 2013 anlegen, basieren auf seinen Anlageentscheidungen. Otte ist Herausgeber des Börsenbriefs "Der Privatinvestor", hat zahlreiche Bücher zu verschiedensten Wirtschafts- und Anlagethemen veröffentlicht und ist gern gesehener Gast auf Vortragsveranstaltungen, in Talkshows und in Expertengremien.
Ist der Dax nach der jüngsten Rekordjagd nicht schon zu hoch bewertet?
Im Dax haben wir neue Höchststände gesehen. Dass die 10.000 Punkte erreichbar sind, habe ich schon im Frühjahr 2013 vorhergesagt – da stand der Dax bei 7600 Punkten, inzwischen haben wir diese Hürde schon zweimal genommen. Wenn die Situation politisch stabil bleibt, kann der Dax im kommenden Jahr auch noch auf 11.000 bis 12.000 Punkte steigen. Die 30 Unternehmen im Dax haben seit dem Jahr 2000 im Durchschnitt ein Umsatz- und Gewinnwachstum von 5,5 Prozent pro Jahr erreicht. Daran gemessen ist der Dax mit 9500 Punkten fair bewertet. Insofern mache ich mir wegen der Bewertung noch keine Sorgen. Viele Aktienmärkte sind sogar geradezu billig. Der Sturm auf Aktien wird anhalten.
Auch wenn die ersten Zinserhöhungen der Notenbanken seit Ausbruch der Finanzkrise bevorstehen, bleiben Aktien alternativlos?
Wir haben nun mal die schleichende Entwertung beim Geldvermögen. Wir haben zwar einen Mischfonds, konzentrieren uns aber nach wie vor auf Aktien. Wir würden uns mit Anleihen beschäftigen, wenn es dort vernünftige Chance-Risiko-Verhältnisse gäbe. Aber davon sind wir weit entfernt. Die Verwerfungen im Markt drücken die Renditen von Anleihen derzeit auf ein grotesk niedriges Niveau. Das ist den Aufwand nicht wert. Im Moment konzentrieren wir uns auf reines Stockpicking und ein bisschen Cash.
Sie haben auch große Positionen an Energiewerten und Minenaktien in Ihrem Portfolio. Ist das nicht sehr gewagt?
Wir haben zehn Prozent Goldminen in unseren Fonds, seit eineinhalb Jahren. Bei Goldminen gibt es inzwischen null Prozent Bullen. Für einen Value-Investor ist das eine gute Sache, weil sich das irgendwann ändern muss. Aber man muss die Geduld haben, das ein bis zwei Jahre auszusitzen. Nach eineinhalb Jahren könnte jetzt langsam mal was passieren. Wir springen nicht auf Züge auf, sondern setzen auf das, was gerade schwach ist. Da muss man dann durch.
Andererseits hält der Russland-Ukraine-Konflikt die Börse weiter in Atem.
Über den Wirtschaftskrieg der USA gegen Russland, vor allem seit dem Frühsommer, bin ich sehr erschrocken und enttäuscht. Das Streben der USA nach Dominanz in der Region erzeugt eine sehr instabile Situation.
Sagen Sie das mit Blick auf den Ölpreis, der durch die OPEC und das amerikanische Fracking-Öl gerade künstlich niedrig gehalten wird, um Russland in die Knie zu zwingen?
Die ganze Welt ist doch mittlerweile kartellisiert. Goldman Sachs und Blackrock allein haben in der Finanzwelt einen Rieseneinfluss, auch bei Flugzeugbauern gibt es ein Duopol. Selbst in der Informationstechnik sind es auch nur die Giganten mit Microsoft, Google, Apple und IBM. Wir haben doch keine freien Märkte. In vielen Märkten steht letzten Endes Amerika dahinter. Beim Öl haben wird die Fracking-Förderung in den USA intensiviert, was wiederum Saudi-Arabien und die OPEC anspornt. Solche Preiskämpfe und der Wirtschaftskrieg gegen Russland sind einige der Gefahren. So etwas kann auch zum Absturz führen.
„Merkel macht das Spiel mit und agiert amerikahörig“
Nur ein Absturz oder die nächste schwere Krise?
Ich habe schon mehrfach gesagt, dass ich das nun für eine reale Gefahr halte. Das Risiko kriegerischer Auseinandersetzungen ist so hoch wie seit dem zweiten Weltkrieg nicht mehr – vielleicht abgesehen von der Kuba-Krise. Wenn jetzt Krieg ausbricht oder sich der Wirtschaftskrieg verschärft, bekommen wir eine Weltwirtschaftskrise. Die hatten wir 2008 nicht. Heute glaubt Amerika, den sogenannten unilateralen Moment mit aggressiver Politik in eigene Expansions- und Machtvorteile umwandeln zu können. Darüber wird in den Eliten der USA offen philosophiert.
Glauben Sie, Russland wird nachgeben?
Ich hatte mal die Gelegenheit, Putin kennenzulernen. Der wird nicht einknicken. Aber Amerika will diese Auseinandersetzung, um Russland in die Knie zu zwingen. Das macht die Situation so gefährlich. Die USA sehen die Chance zur Expansion und Putin wehrt sich – nicht gerade überraschend. Die Krim kann er aber nicht mehr hergeben, in den Enklaven der Ostukraine hätte er gerne Autonomie. Dann hätte man wenigstens einen kleinen freien Streifen zwischen dem Westen und Russland. Das will aber der Westen nicht. Merkel macht das Spiel mit und agiert amerikahörig. Amerika setzt darauf, dass Russland irgendwann einknickt. Die potenziellen Schäden bis hin zur kriegerischen Auseinandersetzung in Europa sind zumindest einigen Strategen in Amerika relativ egal. Kein Wunder, dass drei Altkanzler der Bundesrepublik eine andere Russlandpolitik gefordert haben.
Sie erwarten also, dass dieser Konflikt die Börse noch lange beschäftigen wird?
Es ist eine sehr dynamische und damit instabile Situation. Die Frage ist ja, wie weit kann das gehen? Russland hat eine relativ geringe Staatsverschuldung. Die können das schon noch ein oder zwei Jahre durchhalten. Aber was dann passiert – wer weiß. Ich sehe jedenfalls nicht, dass der Westen in irgendeiner Form Signale der Entspannung sendet. Die Gefahr, dass das entgleist, ist relativ hoch. Aber letzten Endes setze ich mit meinem Fonds doch auf die Vernunft, etwa weil ich die billigen Zykliker gekauft habe.
Alles andere könnte in einer neuen Krise untergehen?
Die ganze Sache hat schon einen gewissen Endspielcharakter. Neben der Russlandfrage, erweist sich ja auch die Politik der Notenbanken mehr und mehr als Sackgasse. Die zunehmenden staatssozialistischen Maßnahmen ziehen nicht mehr, der Westen ist also auch am Ende. Nach dem Finale kommt es sicher zur Neuordnung des Währungssystems, vielleicht kommt ein Schuldenschnitt oder etwas in der Art. Trotzdem halte ich weiter Aktien, weil sie Sachvermögen - "real Assets" - sind und auch Währungskrisen überstehen. Trifft der schlimmste Fall ein, müssen wir uns über ganz andere Dinge Gedanken machen. Dann müssen wir nicht mehr über die Börse nachdenken.
Wie bereiten Sie sich auf eine neue Krise vor?
Deshalb setze ich auf Sachvermögen, den Schwankungen zum Trotz vor allem auf Aktien und etwas Gold. Anlagen in Geldforderungen sind hingegen deutlich zu verringern, zumal es dort auch keinen Renditen gibt.
Selbst die gestiegenen Renditen der US-Staatsanleihen sind für Sie uninteressant?
Ich will den Teufel nicht an die Wand malen. Aber mit Geldvermögen fühle ich mich im Moment unwohl, obwohl es natürlich weniger schwankt. Wenn die Zinsen noch etwas steigen, würden wir uns US-Staatsanleihen nochmal ansehen. Aber was soll ich mit einer amerikanischen Staatsanleihe mit drei Prozent Verzinsung, wenn ich bei Aktien vier bis fünf Prozent Dividendenrendite bekomme? Wenn sie sich die Verschuldungssituation der Staaten anschauen, die ihre Rückzahlungen strecken oder auch mal ausfallen lassen, sieht man, dass der Westen mit der Politik des billigen Geldes an Grenzen stößt. Dann ist eine Dividendenausschüttung auch nicht unsicherer als der Schuldendienst der Staaten.
„Gold ist eine Versicherung“
Welche Aktien sollten eine Katastrophe überstehen?
Was kann schon passieren, wenn Sie sich an die großen Oligopole, sprich die großen Ölfirmen, die großen Nahrungsmittelkonzerne oder großen IT-Unternehmen halten? Das sind planbare Märkte, auch wenn mal der eine und dann wieder der andere die Nase vorn hat. Für Privatanleger ist es sicherlich eine Basisstrategie, sich an die großen Namen zu halten. Mit großen stabilen Ölwerten, Nahrungsmittelkonzernen und Konsumwerten wie etwa Nestlé, Procter & Gamble, Beiersdorf und Henkel, großen Pharmakonzernen oder auch Autokonzernen liegen Anleger derzeit nicht so schlecht. Damit können sie ihr Vermögen unter Schwankungen schon über die Krise bringen. Das sind alles globale Konzerne. Viele davon sitzen in den USA und profitieren von der dort sehr aktiven Industriepolitik. Dafür ist Amerika schon ein bisschen teurer als andere Regionen, gemessen daran kosten viele europäische Aktien nur ein Drittel. Deswegen steckt in unseren Fonds auch viel Europa – auch wenn das im Moment nicht hilft
Aktien in engeren Märkten eigenen sich nicht?
Für Privatanleger sind sie anspruchsvoll. Aber natürlich finden sich Spezialtitel mit guten Chancen. Ein Beispiel ist der Schweizer Luxusgüterkonzern Richemont mit Marken wie Cartier, Dunhill und vielen mehr. Das Unternehmen hat eine total saubere Bilanz und Wachstumspotenzial in Asien. Schwanken werden aber auch solche Aktien.
Wie passt denn Gold in Ihr Portfolio?
Gold ist eine Versicherung. Am Goldmarkt ist derzeit der Pessimismus sehr hoch. Wenn es rummst, ist physisches Gold sicherlich eine echte Absicherung, also ein Vermögenswert, der sich gegen den Markt entwickeln sollte. Die Goldminen in unserem Fonds sind hingegen eine aggressivere Investition. Selbst zum jetzigen Goldpreis sind die Minen profitabel. Dreht der Goldpreis nach oben, haben die Minen gleich eine Gewinnexplosion. Das ist eine gute Basis.
Wie gehen Sie jetzt ins neue Jahr?
Ich bleibe so aufgestellt. Ich habe meine Qualitätstitel, meine billigen europäische Zykliker, ich habe Gold aufgestockt – was soll man sonst tun? Als Value-Investoren sitzen wir das aus. Was uns jetzt passieren kann, ist, dass einzelne Titel absaufen. Zum Beispiel halten wir kleine Positionen der russischen Sberbank und von Gazprom. Dabei haben wir unseren Russland-Anteil auf maximal fünf Prozent begrenzt. Die beiden Aktien stehen satt im Minus – eine Gelegenheit zum Aufstocken. Wir kaufen gerne billig.
Rechnen Sie damit, dass die Kursschwankungen weiter zunehmen?
Wir hatten jetzt eine Zeit lang steigende Volatilität. Die Wahrscheinlichkeit ist daher jetzt auch sehr hoch, dass sie wieder abklingt. Darauf zu wetten, finde ich als Anlagestrategie zu spekulativ. Anleger rennen da immer hinterher. Ich plädiere für die Langfristanlage und der Anlage in Qualitätsaktien – und ich glaube, das ist für Privatanleger auch das Beste.
Ihr Rat für Privatanleger im Jahr 2015?
Anleger sollten darauf achten, dass ihr Portfolio ordentlich gestreut ist, möglichst bestückt mit den Klassikern aus den oligopolistischen Märkten. Damit können sie gut schlafen. Ein bisschen Gold, und wer es sich zutraut, noch ein paar Spezialtitel. Aufgrund einer politischen oder volkswirtschaftlichen Situation auszusteigen, ist meistens falsch. Anleger müssen daher eher auf den Einzeltitel achten und sich die Frage stellen, wie der bewertet ist.