Die Verfechter von prognosefreien Anlagestrategien sind sich einig, wie erfolgreiche Geldanlage funktioniert: Langfristig anlegen, regelmäßiges Anpassen der Depotanteile (Rebalancing), Orientierung an Risikokennzahlen wie dem Value at Risk. So einfach soll Geldanlage sein – außerdem noch sicher und effizient. Zu schön, um wahr zu sein?
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Unzufrieden mit vagen Handlungsanweisungen aus Lehrbüchern begann Hartmut Jaensch schon im BWL-Studium in München Algorithmen zu testen, um Börsenzyklen zu entschlüsseln. Auch während seiner Tätigkeit als Manager und Berater für US-Konzerne wie Google, Xerox, Avaya und Dresser forschte er weiter. Unter anderem verantwortete er die Entwicklung und Einführung von Prognose-, Finanz- und Risk-Management-Systemen. Heute leitet er als geschäftsführender Gesellschafter Prediqma, ein Unternehmen, das Anlegern mit einer selbst entwickelten Software Informationen für ihre Börsenstrategie zur Verfügung stellt.
Ja, so sieht es aus. Tatsächlich können Anleger an der Börse kaum erfolgreich sein, wenn sie nicht wissen, wann sich der Markt dreht und somit ein Ein- oder Ausstieg oder eine Umschichtung sinnvoll sind. Genau dafür aber braucht es Prognosen.
Der Blick auf ein langfristiges Engagement im Dow Jones belegt das. Zwar konnten Anleger mit dem prognosefreien Investieren in den vergangenen fünfzig Jahren durchschnittlich eine solide und in Spitzenzeiten auch mal eine sehr attraktive Rendite erzielen. Ihr Vermögen war allerdings stets starken Schwankungen unterworfen und hat nur in knapp sechs Prozent des Anlagezeitraums den bereits erreichten Höchststand weiter gesteigert. In der übrigen Zeit wurden die zuvor in der Spitze erzielten Gewinne zum großen Teil wieder abgegeben.
In der Finanzkrise von 2007 bis 2009 verloren Anleger zeitweise über fünfzig Prozent ihres vorher so mühsam erwirtschafteten Gewinns vom Hoch. Das ist an der Börse genauso wie bei Günther Jauchs „Wer wird Millionär“: Nur wer rechtzeitig aussteigt, kann den Gewinn mit nach Hause nehmen. Natürlich stellt auch jeder kleine Gewinn ein Plus dar, hohe Gewinnrenditen werden jedoch nur durch rechtzeitiges Verkaufen gesichert.
Schützt Rebalancing wirklich vor Verlusten?
Mit speziellen Strategien wollen Anleger solche Verluste beim prognosefreien Investieren minimieren, vor allem mit der Mischung verschiedener Anlageklassen. Rebalancing heißt dann das Zauberwort. Dahinter verbirgt sich, dass in bestimmten Intervallen die Anteile verschiedener Anlageklassen im Depot wieder auf das Ausgangsniveau gebracht werden. So soll vermieden werden, dass gut laufende Anlageklassen zunehmend zum Klumpenrisiko im Depot werden. Durch die Verteilung des Vermögens auf verschiedene Assetklassen, die sich bei Marktveränderungen gegenläufig entwickeln, liegt das Gesamtinvestment meist in der Gewinnzone. Diese Strategie besticht durch ihre Sicherheit.
Doch inwieweit schützt Rebalancing tatsächlich vor hohen Verlusten? In der Ölkrise 1973/1974 ist ein amerikanischer Anleger, der zu je einem Viertel in Aktien, zehnjährige US-Staatsanleihen, Gold und Festgeld investiert hat, mit Bravour und einer Rendite von 14 Prozent 1973 und zehn Prozent 1974 durch die Krise gekommen – während ein Aktionär fast Haus und Hof verlor. Der erstmalig freigegebene Goldkurs explodierte und wog die Verluste der anderen Assetklassen auf.
Auch während der ersten Golfkrise 1979/1980 rettete der überproportional gestiegene Goldpreis das Gesamtengagement. Im Krisenjahr 2008 bewährte sich Rebalancing ebenfalls: Während Aktienbesitzer von Januar bis Dezember 2008 rund 34 Prozent ihres Vermögens verloren, büßte ein US-Anleger, der konsequent auf das Rebalancing vertraute, durch die immens positive Entwicklung der Staatsanleihen infolge des Zinsrückgang lediglich etwa zwei Prozent seines Geldes ein.
Der Vorteil im Vergleich zu anderen Anlagestrategien: Rebalancing bewahrt Anleger vor uferlosen Verlusten – allerdings auch vor reizvollen Renditen. Mit dem oben genannten Rebalancing-Szenario rentierte eine Anlage von 1967 bis Anfang 2017 mit lediglich 5,8 Prozent. Ja, Sie haben richtig gelesen: lediglich. Denn ein reines Aktienengagement im Dow Jones (6,7 Prozent), eine Anlage in Gold (7,2 Prozent) und zehnjährige US-Staatsanleihen (6,5 Prozent) erzielten im Vergleichszeitraum eine deutlich höhere Rendite. Nur dreimonatige Termingelder warfen mit 4,9 Prozent einen noch geringeren Ertrag ab.
Eine Frage des Zeitpunkts
Mehr Sicherheit geht an den Finanzmärkten grundsätzlich mit einer geringeren Rendite einher – so weit, so gut. Tatsächlich passiert jedoch oft Folgendes: Wenn Aktien über mehrere Jahre einem Aufwärtstrend folgen, können Anleger mit dem Rebalancing diese gut laufende Assetklasse nicht genügend ausreizen. Schließlich wird das Geld mit Blick auf die Zielallokation regelmäßig wieder in die anderen Kapitalanlagen umgeschichtet. Anleger verkaufen ihre Aktien zu früh und investieren das Geld in weniger rentierliche Anlagen. Gewinne laufen lassen – Fehlanzeige.
Dieselbe Problematik entsteht auch, wenn Anleger den Value at Risk als Entscheidungsgrundlage für ihre Investition wählen. Bei diesem Konzept zur Bestimmung und Reduzierung des Risikos wird ermittelt, mit welchem Verlust Anleger auf Basis der bisherigen Schwankungen mit hoher Wahrscheinlichkeit maximal rechnen müssen. Höhere Verluste sind also quasi ausgeschlossen, verspricht das Modell. Es wird insofern zur Steuerung des Risikos genutzt.
Doch weil das Modell auf der Schwankungsbreite (Volatilität) basiert, führt es dazu, dass Anleger bei einer steigenden Volatilität regelmäßig in fallende Kurse hinein verkaufen – völlig unabhängig davon, ob eine Trendwende am Markt dies tatsächlich gebietet und ob weitere Gewinnchancen winken könnten. Umgekehrt suggeriert eine niedrige Volatilität auf einem bereits hohen Kursniveau ein geringeres Risiko und verleitet zu Aktienkäufen zu einem Zeitpunkt, zu dem der größte Teil des profitablen Kursanstieges schon Geschichte ist.
Egal bei welcher Form der Anlage gilt daher: Entscheidend für den Erfolg einer Investition ist die richtige Zeit für den Ein- und Ausstieg beziehungsweise für die Umschichtung. Prognosefreie Anlagestrategien stoßen genau an diesem Punkt an ihre Grenzen.
Den Markt schlagen
Doch selbst mit dem Erfolgsgeheimnis Timing gelingt es nur wenigen Fondsmanagern und Privatanlegern mit den herkömmlichen Anlagestrategien, den Markt zu schlagen, wie zahlreiche Studien belegen. Die Frage ist: Was machen die, denen dies gelingt, anders?
Eine Möglichkeit ist, die Veränderungen der Gesamtumstände an den Finanzmärkten zu beobachten und darauf basierend Investitionsentscheidungen zu treffen. Denn es ist hinlänglich bewiesen, welch enorme Auswirkungen diese haben können: Der ehemalige Chef der US-Notenbank Ben Bernanke hat beispielsweise mit seinen Forschungsergebnissen belegt, dass die Zinsstrukturen (also das Verhältnis langfristiger zu kurzfristigen Zinsen) sehr zuverlässige Hinweise auf eine bevorstehende Rezession beziehungsweise einen Wirtschaftsaufschwung geben – mit entsprechenden Auswirkungen auf die Unternehmen und ihre Aktien.
Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman hat nachgewiesen, dass die Entwicklung des US-Dollars großen Einfluss auf die Entwicklung von Unternehmen und Volkswirtschaften weltweit hat. Und auch meine Börsenforschung in den vergangenen 30 Jahren hat bestätigt, wie wichtig die Berücksichtigung der Gesamtumstände für einen Investitionserfolg ist.
Aktuelle Marktlage berücksichtigen, Irrtümer vermeiden
Aktive Maßnahmen des Managements können die Entwicklung der Aktie manchmal nur bedingt beeinflussen, wie ein Aktionärsvertreter auf der Jahreshauptversammlung der Lufthansa im vergangenen Jahr sehr eindrücklich klarmachte. Er konstatierte in seiner Wortmeldung, dass der Gewinn des Unternehmens und der Anstieg des Aktienkurses um 37 Prozent auf drei wesentliche Faktoren zurückzuführen ist: Der damals gesunkene Ölpreis senkte die Betriebskosten, die niedrigen Zinsen verminderten die Kapitalkosten und der gestiegene US-Dollar sorgte für höhere Einnahmen.
Die Marktlage zeichnet derzeit ein anderes Bild und gebietet den Anleger das Aktienengagement zunächst einmal deutlich zurückzufahren und die Gewinne aus den vergangenen Jahren einzustreichen, um der Gefahr eines stärkeren Einbruch zuvorzukommen.
Es droht eine Zwischenbaisse
Denn: Die seit einem Jahr wachsenden Rohstoffpreise, erkennbar an gängigen Rohstoffindizes wie dem Reuters/Jefferies CRB-Index oder dem S&P GSCI - Goldman Sachs Commodity Index -, stehen für höhere Industriekosten und lassen eine stärkere Zunahme der Inflation erahnen. Die steigenden Zinsen an den Anleihe- und Geldmärkten treten in Konkurrenz zu Dividenden, führen zu höheren Kapitalkosten und erschweren künftige Investitionen der Unternehmen. Und ein schwächerer Dollar, der international die Exporterlöse schmälert, komplettiert den Eindruck, dass eine mehrmonatige Zwischenbaisse bevorstehen könnte. Und genau aus solchen Erkenntnissen heraus gilt es nun vorzubeugen und das Depot abzusichern.
Natürlich bringen auch diese Indikatoren niemals absolute Sicherheit, wie die Finanzmärkte sich in der Zukunft entwickeln werden, denn die Wirkung dieser Veränderungen auf die Aktien entfaltet sich verzögert. Aber sie helfen Irrtümer bei der Entscheidung am Aktienmarkt ein- oder auszusteigen, deutlich zu reduzieren sowie das Timing zu optimieren.
Solche Entwicklungen der Gesamtumstände können private Anleger in regelmäßigen und zeitlichen Abständen, wie die Profis, mit gängigen IT-Lösungen verfolgen. Aber mit dem unschätzbaren Vorteil, dass sie eigenverantwortlich entscheiden und damit deutlich flexibler handeln können als etwa die Fondsmanager.