Bekannt wurde er durch Schriftzüge, die er auf Papier, Leinwand oder direkt auf Wände und Fußböden aufträgt Auch mit Videos und Büchern machte er Furore. Und Ende November erhielt er den Roswitha-Haftmann-Preis, den mit 150.000 Franken höchstdotierten Kunstpreis Europas: Lawrence Weiner zählt fraglos zu den weltweit renommiertesten Konzeptkünstlern. Der heute 73-Jährige nahm zwischen 1972 und 2012 viermal an der Kasseler documenta teil, seine Werke hängen in den renommiertesten Museen und profiliertesten Sammlungen weltweit. Für ein von Weiner geschaffenes Unikat werden schnell mehrere hunderttausend Euro fällig. Selbst Editionen des Amerikaners mit dem grauen Rauschebart – also hochwertige Drucke, von denen meist 100 Abzüge produziert werden – kosten in der Regel nicht unter 1500 Euro.
Kunst für Null Euro
Weiners jüngstes Werk: eine Arbeit in Größe eines klassischen Plattencovers. „Time is temporal“, hat Weiner in hellblauer Schrift auf den Karton in Größe eines Plattencovers geschrieben, der an mehreren Stellen ausgestanzt ist. „Zeit ist zeitlich.“
Und reif – zumindest für rund 2000 Kunstsinnige, die sich die aufwendig produzierte, augenzwinkernde Arbeit jetzt exklusiv zu Hause an die Wand hängen oder verschenken können. Der Preis der Preziose: exakt 0 Euro. Ihr vermuteter Marktwert: ein vierstelliger Euro-Betrag. Einzige Bedingung für den Erwerb: eine Mitgliedschaft im Kölnischen Kunstverein, Jahresbeitrag: 50 Euro.
Eine „künstlerische Delikatesse“ nennt Moritz Wesseler Weiners Arbeit. „Zum einen wollen wir die Idee aus der Gründerzeit der Kunstvereine Anfang des 19. Jahrhunderts – nämlich den Zugang zur Kunst zu demokratisieren – aufs 21. Jahrhundert übertragen“, erklärt der Direktor des Kölnischen Kunstvereins die Motivation hinter der kostenlosen Kunstgabe an seine Mitglieder. „Andererseits wollen wir aufzeigen, dass auch ein Kunstwerk ohne Preis von großer Qualität sein kann – und das insbesondere in Zeiten, in denen Kunst als wichtiger wirtschaftlicher Faktor gilt.“
Der Grundstein der eigenen Kunstkollektion
Mit qualitativ hochwertigen Arbeiten ein jüngeres Publikum für zeitgenössische Kunst begeistern. Noch nicht etablierten, talentierten Nachwuchskünstlern die ersten Schritte in den Kunstmarkt erleichtern. Die finanzielle Basis für die eigene Pionierarbeit verbreitern – und nicht zuletzt weniger betuchten Sammlern die finanziellen Hürden für den Einstieg in die eigene Kunstkollektion so niedrig wie möglich zu legen: Wesselers Selbstverständnis teilen viele seiner Kollegen, die einem der rund 300 Kunstvereine in Deutschland vorstehen.
Hehre Ziele in Zeiten, in denen der Kunstmarkt erneut überzukochen scheint. Zeiten, in denen Auktionshäuser wie Christie’s mit der Versteigerung zeitgenössischer Kunst allein an einem Abend eine Milliarde Dollar umsetzen – so viel wie nie. Und in denen Preisrekorde für Künstler fallen wie welke Blätter von den Herbstbäumen – zuletzt etwa für ein Ölgemälde der Amerikanerin Georgia O’Keeffe: Für umgerechnet 35,5, Millionen Euro kam ihre auf Leinwand gebannte, großformatige weiße Blüte bei einer Sotheby’s-Auktion in New York Ende November unter den Hammer. Damit avancierte die Exzentrikerin zur teuersten zeitgenössischen Künstlerin weltweit. „Als traditionsreiches Ausstellungshaus wollen wir dieser Hysterie etwas entgegensetzen“, sagt Wesseler. Und deutlich machen: „Kunst kommt nicht von Kommerz.“
Potential zur Wertsteigerung
Auch deshalb präsentieren Wesseler und Kollegen einmal im Jahr, meist kurz vor Weihnachten, eine kleine, feine Auswahl an Grafiken, Fotografien oder Skulpturen in kleinen Auflagen, vereinzelt gar als Unikate, die sie ihren Mitgliedern anbieten. Entweder exklusiv oder zum Vorzugspreis.
Die kosten oft nicht mehr als ein paar Hundert Euro. Dafür haben sie mit etwas Geduld, Glück und dem entsprechenden Werdegang des Künstlers Potenzial zu beachtlicher Wertsteigerung. Das zumindest verspricht der Blick zurück: Der Kunstverein Bonn etwa konnte 1993 documenta-Teilnehmer Gotthard Graubner für eine Radierung gewinnen. Die in verwaschenen Rottönen gehaltene Arbeit nimmt optisch Bezug auf die für Graubner typischen Kissenbilder und kostete damals umgerechnet knapp 360 Euro. Für vergleichbare Arbeiten verlangen Galeristen und Händler heute ein Vielfaches.
Kunst aus den 90ern bringt Vielfaches des Kaufpreises
Kein Wunder, dass diese Edition ebenso vergriffen ist wie die Unikate der Schweizer Biennale-Künstlerin Silvia Bächli, die die Bonner 1995 für vergleichsweise bescheidene 700 D-Mark auflegten, oder das Plakat Ocean III von Starfotograf Andreas Gursky, von dem der Kunstverein 25 Stück signieren und nummerieren ließ und 2010 für 250 Euro anbot – und die heute ein Vielfaches erlösen dürften.
Das gilt auch für die zehn kleinen Keramiken, die Otto Piene 2011 dem Düsseldorfer Kunstverein überließ. Der Preis: 3000 Euro – für vergleichbare Arbeiten des weltweit geschätzten Kinetikkünstlers werden sonst fünf- oder sechsstellige Beträge fällig.
Der internationale Kunstmarkt wächst
Nach einem vorübergehenden Einbruch im Zuge der Finanzkrise wächst der internationale Kunstmarkt wieder gewaltig. Gleichzeitig hat sich der Handel globalisiert. Vermögende aus China, Russland oder den Vereinigten Arabischen Emiraten treiben die Preisspirale kräftig an - in einer Branche, deren Geschäfte jahrzehntelang auf die USA und Europa konzentriert waren.
Das Londoner Auktionshaus Christie's vermeldet seit 2010 kontinuierliche Umsatzsteigerungen. Während die Einnahmen 2009 um 35 Prozent auf 3,3 Milliarden Dollar (2,4 Mrd Euro) einbrachen, erzielte Christie's im vergangenen Jahr mit 7,1 Milliarden Dollar (plus 14 Prozent) den höchsten Erlös seiner Geschichte.
Auch beim Konkurrenten Sotheby's geht es seit 2010 mit Ausnahme eines kleinen Aussetzers 2012 wieder bergauf. 2009 hatten die Gesamteinnahmen noch bei 2,8 Milliarden Dollar gelegen, fast die Hälfte weniger als 2008. Im vergangenen Jahr setzte das Auktionshaus dann mehr um als je zuvor: Der Umsatz stieg auf 6,3 Milliarden Dollar, ein Plus von 17 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Noch zu haben ist in Goslar dagegen Bitterfeld: Die Farbserigrafie auf Karton von A.R. Penck von 1990 ist für 990 Euro ebenso im Internet-Archiv der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Kunstvereine (ADKV) gelistet wie eine Tasse mit kyrillischem Schriftzug für umgerechnet knapp 140 Euro, Auflage 75 Stück. Gefertigt hat sie 1991 Georg Herold, in den Achtzigerjahren Mitglied der gefeierten Kunstgruppe Junge Wilde, die gerade wieder angesagt ist. Oder Fotografien von Gregor Schneider, der mit seinen skulpturalen Projekten seit zwei Jahrzehnten für Furore sorgt – zuletzt mit der künstlerischen Bearbeitung des Geburtshauses von Hitlers Propagandaminister Heiner Göbbels in seiner Heimatstadt Mönchengladbach. Oder der Umgestaltung seines Elternhauses zum „totes haus u r“, mit dem er 2001 den Goldenen Löwen der Kunstbiennale Venedig gewann. Aus diesem Projekt stammen auch die Fotografien, die der Museumsverein Mönchengladbach bis heute anbietet – für vergleichsweise günstige 1300 Euro.
Werke junger Künstler als Geldanlage
Besonders glücklich schätzen dürften sich die Mitglieder der Kestner Gesellschaft Hannover, die 1981 einen Siebdruck von Andy Warhol ergatterten. Das Motiv: ein bunter Mick Jagger. Der Preis damals: 1000 D-Mark. Ein älterer Druck des gleichen Motivs mit Signatur Warhols wurde 2012 in Los Angeles für 46.875 US-Dollar versteigert. Grund zur Freude dürften auch die Mitglieder des Kunstvereins Goslar gehabt haben, die 1988 einen von 250 Abzügen des Kerzenmotivs von Gerhard Richter ergatterten – für sagenhafte 50 D-Mark. Auf einer Auktion in New York 2004 erzielte eines dieser Blätter 26.000 Dollar.
Ähnlich entwickelten sich die bunten Papierarbeiten eines gewissen Sigmar Polke, die der Kunstverein in Münster 1973 auflegte – für umgerechnet 112 Euro für eines der 48 Unikate. Schon wenige Jahre später schnellten die Preise bei einer Versteigerung in Köln auf 35.000 Euro hoch, heute werden sie auf 75.000 bis 100.000 Euro geschätzt.
Tendenz steigend
Weit unter Marktpreis dürfte auch eine Gemeinschaftsarbeit von Richter und Polke liegen, von der 1968.200 Exemplare produziert wurden und die damals wohl nur wenige Hundert Mark gekostet hat. Eine davon hat ein wohlwollender Sammler dem Kölnischen Kunstverein als Jahresgabe überlassen: „Die Umwandlung“, ein Offsetdruck auf Karton, taxiert auf 5400 Euro – Tendenz steigend. „Die Arbeit ist von großer kunsthistorischer Bedeutung“, sagt Wesseler. „ Sie wird sicherlich noch stärker in den Blickwinkel der Forschung geraten.“
Gut möglich, dass das mittelfristig auch für das Werk einiger junger Künstler gilt, die mit ihren Jahresgaben in diesem Jahr erstmals ins Rampenlicht der Kunstsammler und -jäger geraten. Etwa Pauline M’barek, deren Arbeiten gerade im Frankfurter Kunstverein ausgestellt werden. Und die ein Schwarz-Weiß-Foto ihres Auges als Jahresgabe beisteuert – Preis für Mitglieder: 300 Euro.
Wem auch das zu teuer ist, muss sich bis zum kommenden Dezember gedulden. Dann wird Moritz Wesseler den Mitgliedern des Kölnischen Kunstvereins seine nächste Gratis-Kunstdelikatesse präsentieren. Sein Versprechen: „Sie wird wieder von einem spannenden und international renommierten Künstler kommen.“