Der Milliarden-Skandal um die rechtlich umstrittenen Dividenden-Steuertricks in- und ausländischer Investoren in Deutschland hat für etliche Banken möglicherwiese ein finanzielles Nachspiel. In einem am Donnerstag bekanntgewordenen Gutachten für den "Cum-Ex"-Untersuchungsausschuss des Bundestages werden auch Depotbanken ins Visier genommen, die nur indirekt an Karussell-Geschäften mit Aktien um den Dividendenstichtag beteiligt waren.
Aus Sicht des Mannheimer Steuerprofessors Christoph Spengel müssen sie für doppelte Steuerbescheinigungen haften, mit denen sich die "Cum-Ex-"Investoren nur einmal abgeführte Steuern mehrfach erstatten ließen. Das gelte auch, wenn sie selbst nichts davon wussten.
"Sollte der Fiskus seine Ansprüche in dieser Hinsicht kompromisslos durchsetzen, könnte dies einige Depotbanken in finanzielle Schwierigkeiten bringen", heißt in dem Gutachten, das der Nachrichtenagentur Reuters vorliegt.
Schneller schlau: Cum-ex-Geschäfte
Bei den auch „Dividendenstripping“ genannten Geschäften geht es um den raschen Kauf und Verkauf von Aktien rund um den Dividendenstichtag, um Kapitalertragssteuern mehrfach vom Fiskus erstattet zu bekommen. Am Tag vor der Dividendenzahlung ist diese im Aktienkurs mit eingepreist. An der Börse spricht man von einem Kurs „cum Dividende“.
Am Tag nach der Ausschüttung, in der Regel einen Tag nach Hauptversammlung, die die Dividendenzahlung beschließt, ziehen die Börsenbetreiber die Dividende vom Kurs ab, das heißt die Aktie wird „ex Dividende“ gehandelt. Von Banken bekamen die Aktienkäufer und -verkäufer eine Bestätigung, die Kapitalertragsteuer abgeführt zu haben, was sie beim Fiskus mehrfach steuerlich geltend machten - obwohl sie so nicht gezahlt hatten.
Ein Beispiel: Die Banken verkaufen die Aktien leer an einem „cum“-Tag, müssen sie aber wegen der Börsenregelungen erst nach zwei Tagen an den Käufer liefern. Sie beschaffen sich die Papiere also nach dem Dividendenstichtag zum „ex“-Preis – also ohne Dividende – von einem Dritten und liefern diese Aktien an den Käufer. Dabei parallel abgeschlossene Kurssicherungsgeschäfte, die Risiken ausschließen, sichern den Gewinn aus der Transaktion.
Papiere werden rund um den Dividendenstichtag – meist der Tag der Hauptversammlung – schnell hintereinander ge- und wieder verkauft. Leerverkäufer verdienen, wenn der Aktienkurs bis zum Liefertermin gefallen ist und sie so die Aktien billiger kaufen können, als sie sie verkauft haben.
Generell wird auf die gezahlte Dividende Kapitalertragssteuer fällig. Im geschilderten Konstrukt ließen sich sowohl der Käufer als auch der jeweilige Dritte, von dem sich die Banken die Aktien beschafft hatten, die Kapitalertragsteuer vom Finanzamt erstatten. Die Finanzämter zahlten so mehr Steuern zurück, als sie zuvor eingenommen hatten.
Im Wesentlichen nutzten Banken und Profianleger wie Fonds oder Börsenhändler den Steuertrick mittels Dividendenstripping.
Für Privatanleger sind Cum-ex-Geschäfte zu aufwendig, zumal es sich bei kleinen Anlagesummen kaum rechnet. Sie hätten nur geringe bis keine Chancen gehabt, an solchen Deals zu verdienen.
Banken und Investoren nutzten bestimmte Eigenheiten der Abwicklungssysteme an den Börsen, aber auch steuerrechtliche Besonderheiten – und das offensichtlich über Jahre hinweg und mit Wissen von Bund, Ländern und Finanzbehörden. So erklärte der Bundesfinanzhof das Dividendenstripping bereits in einem Urteil aus dem Jahr 1999 für grundsätzlich rechtens. Geschlossen wurde das Schlupfloch aber erst 2012 durch eine Neuregelung der Nachweispflichten.
Spengel ist Professor für Betriebswirtschaft und Steuern an der Universität Mannheim. Selbst wenn die Depotbanken, die die Aktienbestände ihrer Kunden nur verwalten, die "Cum-Ex"-Geschäfte nicht erkannt hätten, hafteten sie dem Fiskus gegenüber für den entstandenen Steuerschaden. Der wird von Experten auf bis zu zwölf Milliarden Euro geschätzt.
Die "Cum-Ex"-Deals waren erst 2012 vom Bundestag gestoppt worden. In Deutschland laufen zahlreiche Gerichtsverfahren gegen die Beteiligten, denen teils bandenmäßige Steuerhinterziehung vorgeworfen wird. Im Kern liefen "Cum-Ex"-Geschäfte so: Aktien mit (lateinisch: "Cum") Dividendenanspruch wurden einem Käufer zwar vor dem Auszahlungstag zugesagt und in sein Aktiendepot eingebucht, vom Verkäufer aber erst danach - ohne Anspruch auf die Dividende ("Ex") – an der Börse besorgt und an den Käufer geliefert. Durch solche Leerverkäufe entstand auf dem Papier der Eindruck, die Aktie habe zum Zeitpunkt der Ausschüttung zwei Besitzer gehabt. Beide ließen sich dann die – nur einmal – von der Aktiengesellschaft selbst vorab einbehaltene Kapitalertragsteuer erstatten.
Spengel zufolge waren solche "Cum-Ex"-Deals zum Schaden der Steuerzahler zu jedem Zeitpunkt illegal. Diese Auffassung wird auch vom Bundesfinanzministerium geteilt. Dagegen argumentieren die "Cum-Ex"-Akteure, es habe sich um ein legales Geschäft gehandelt. Eine höchstrichterliche Entscheidung steht noch aus. Dem Gutachten zufolge müssten konsequenterweise auch die Depotbanken der Käufer in Regress genommen worden: Denn diese stellten bis 2012 die zweite – falsche – Steuerbescheinigung aus. "Der Fiskus ist gehalten, die Banken auch in Anspruch zu nehmen", so Spengel: "Das könnte angesichts der finanziellen Größenordnungen für die Banken gravierende Auswirkungen haben."