Derivate Heiße Wetten mit Faktorzertifikaten

Die neuen Papiere versprechen hohe Gewinnchancen bei weniger Risiken - und sollen sich daher besonders für die derzeit schwankungsanfälligen Märkte eignen. Ein Test zeigt ihre Stärken und Schwächen.

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Faktorzertifikate haben das gleiche Grundprinzip wie Optionsscheine und Hebelzertifikate, bieten aber eine unbegrenzte Laufzeit - Doch auch sie haben Nachteile Quelle: Illustration: Martin Haake

Privatanlegern, die sich gegen Kursrückschläge absichern oder in der Hausse überproportional hohe Gewinne machen wollen, boten die Banken bisher vor allem zwei Arten von schnellen Wertpapieren: Optionsscheine und Hebelzertifikate. Anleger müssen hier nur einen Teil der Anlagesumme aufbringen, den Rest streckt die Bank vor. Wenn Spekulanten mit wenig Geld eine deutlich höhere Summe bewegen, sprechen Börsianer von „hebeln“. Hat ein Dax-Kaufoptionsschein zum Beispiel einen Hebel von zwei, steigt dessen Wert etwa doppelt so stark wie der Dax. Das Verlustrisiko ist aber ebenfalls doppelt so hoch.

Optionsscheine und Hebelzertifikate haben allerdings gravierende Nachteile: Erstere sind Termingeschäfte. Schon beim Kauf tickt die Uhr, die Papiere verlieren deshalb schon automatisch an (Zeit-)Wert. Bei Hebelzertifikaten kann schon eine einzige unerwartet heftige Gegenbewegung zum Totalausfall führen.

Faktorzertifikate für die schnelle Wette

Faktorzertifikate, versprechen die Banken, kennen diese Probleme nicht. „Unbegrenzte Laufzeit und keine Gefahr, bei einer Gegenbewegungen Totalverlust zu erleiden, sind die entscheidenden Vorteile der Faktorzertifikate“, sagt Nicolai Tietze von der Deutschen Bank. Die neuen Papiere bieten einen konstanten Hebel und Notierungen, die nicht von komplizierten Rechengrößen wie etwa der erwarteten Schwankungsbreite der Kurse (Volatilität) abhängen. Sie verlieren auch nicht über die Zeit wie Optionen automatisch an Wert. Damit bieten sie sich an für schnelle Wetten, zunächst auf sinkende Kurse und in einigen Wochen auf eine Zwischenerholung.

Das Grundprinzip der neuen Papiere ist das gleiche wie bei Optionsscheinen oder Hebelzertifikaten: Je nachdem welche Richtung für den Basiswert (zum Beispiel den Dax) erwartet wird, kann man mit Faktorzertifikaten auf steigende (long) oder fallende Kurse (short) setzen. Da sich die Papiere stärker bewegen als der Dax, lässt sich schon mit kleinem Einsatz ein spürbarer Effekt erzielen. Die derzeit am meisten gehandelten Papiere mit Faktor vier bewegen sich viermal so stark wie der Dax. Steigt der Dax zum Beispiel um 1,5 Prozent, legt das Faktorzertifikat genau um sechs Prozent zu; sinkt der Dax um zwei Prozent, gibt das Zertifikat um acht Prozent nach.

Rechnung mit Haken

Die Prozentrechnung startet, anders als bei klassischen Papieren, jeden Tag neu. Hält man die Papiere länger, führt das im Vergleich zu Optionsscheinen und Zertifikaten zu einer abweichenden Kursentwicklung, auch wenn alle Papiere zunächst mit gleichem Hebel gestartet sind. Welche Gewinne und Verluste Faktorzertifikate im Vergleich zu Optionen und herkömmlichen Hebelzertifikaten in einzelnen Börsenphasen einfahren, zeigt die Grafik auf der rechten Seite.

Läuft der Trend (wie von Januar bis März dieses Jahres) stabil nach oben, schneiden Faktorzertifikate besser ab. Der Grund liegt in der täglichen Neuberechnung: Wenn die Kurse nachhaltig steigen, bleibt der Hebel zwar jeden Tag gleich, auf einen längeren Zeitraum betrachtet, wird er aber größer. Ein Beispiel: Steigt der Dax fünf Tage hintereinander jeweils um ein Prozent, verbucht er 5,1 Prozent Gesamtgewinn. Das Faktorzertifikat legt jeden Tag im Vergleich zum Vortag um vier Prozent zu. Das ergibt unterm Strich 21,7 Prozent plus. Über den gesamten Zeitraum von fünf Tagen beträgt der Hebel also nicht 4,0, sondern 4,25 (21,7: 5,1).

Nachteile der Faktorzertifikate

Die liebsten Zockerpapiere der Deutschen
Platz 20Die Aktionäre von Deutschlands zweitgrößter Bank haben es nicht leicht. Der Frustfaktor der Aktie ist hoch, von Erholung kaum eine Spur - nur wer nahe des Tiefs bei knapp über einem Euro eingestiegen ist, hat wirklich Spaß an der Aktie. Zertifikate-Anleger suchten scheinbar den Extra-Kick und setzten auf ein gehebeltes Papier. Der Commerzbank Faktor 4x Long DAXF Index war in der Gunst der Anleger recht hoch. Papiere für 9,5 Millionen Euro wurden im April an der Stuttgarter Börse gehandelt. Übrigens nicht die einzige Platzierung der Commerzbank....Quelle: Börse Stuttgart Quelle: dpa
19. PlatzBei Thyssen-Krupp hat sich die Lage zuletzt zwar spürbar gebessert. Der Umsatz stieg deutlich – alle Bereiche liegen operativ im Plus. Allerdings belasten die neuen Werke in den USA und Brasilien sowie der steigende Schuldenstand. Zertifikate-Anleger störte das nicht, sie handelten Papiere mit Basiswert Thyssen-Krupp im Wert von 10,4 Millionen Euro. Vor allem Discount-Zertifikate waren beliebt. Quelle: dpa
Platz 18Ob die Commerzbank-Aktie sich jemals erholt oder weiter abschmiert, beschäftigt nicht nur die Anteilseigner der Bank. Auch die Zertifikate-Anleger spekulieren fröhlich auf steigende und fallende Kurse bei der gelben Bank. Mit einem Volumen von 10,5 Millionen Euro schafft es der Commerzbank Faktor 4x Short DAXF Index auf Platz 18 der beliebtesten Basiswerte. Quelle: dpa
Platz 17Der milde Winter hat deutliche Spuren in der Bilanz des Kasseler Düngemittelspezialisten K+S hinterlassen. Wegen des schwachen Auftausalzgeschäfts ging der Umsatz von Januar bis Ende März deutlich zurück. Kein Wunder, dass der Aktienkurs zuletzt unter Druck geriet. Zertifikate-Anleger griffen trotzdem zu. Sie zockten mit Papieren auf K+S im Wert von 11,1 Millionen Euro - immerhin 6,4 Millionen Euro entfielen auf Discount-Zertifikate. Quelle: dpa
Platz 16Der Gewinn sinkt, aber immerhin bestätigt RWE die Prognose. Im ersten Quartal lähmte den Energieriesen weiter das schwache Gasgeschäft und die Kosten des Atomausstiegs. Bei Zertifikate-Anlegern ist die Aktie als Basiswert trotzdem beliebt, sie kauften und verkauften RWE-Zertifikate im Wert von 12,5 Millionen Euro. Wenig überraschend: Mit 8,5 Millionen Euro entfällt ein Großteil auf die beliebten Discounter. Quelle: dpa
Platz 15Auch bei Eon ist das Thema Nummer eins der Atomausstieg. Für fast 13,5 Millionen Euro handelten Zertifkate-Anleger Eon-Papiere. Neben den Discountern (6,5 Millionen Euro) waren vor allem Aktienanleihen beliebt, die für gut vier Millionen Euro gehandelt wurden. Quelle: dpa
Handelssaal der Börse Stuttgart Quelle: dpa

Der Haken daran: Liegt kein stabiler Trend vor, kommt es zu schleichenden Kursverlusten. „In Seitwärtsbewegungen haben Faktorzertifikate einen Nachteil gegenüber anderen Hebelprodukten; je volatiler der Markt ist, desto größer wird der Performance-Unterschied“, warnt Dirk Heß von der US-Großbank Citi. „Das sind keine Papiere zum Kaufen und Liegenlassen.“ Sinkt der Dax an einem Tag zum Beispiel um zwei Prozent (also etwa von 6000 Punkten auf 5880) und holt dann am nächsten Tag diese 120 Punkte gleich 2,04 Prozent wieder auf, erreicht er sein Ausgangsniveau. Beim Faktorzertifikat jedoch entstehen Verluste: Am ersten Tag gibt das Papier um acht Prozent nach und sinkt von 100 auf 92 Euro. Am nächsten Tag gewinnt es genau vier mal 2,04 Prozent, also 8,16 Prozent. Damit steht es nur noch bei 99,51 Euro – also etwa ein halbes Prozent im Verlust, obwohl ein reines Dax-Investment plus/minus null ausgegangen wäre.

Gebühren für die Bank

Dax-Faktorzertifikate basieren in der Regel auf dem LevDax, der von der Deutschen Börse offiziell berechnet wird. In den Index werden auch die Zinsen eingerechnet, die Anleger für einen Wertpapierkredit bezahlen müssten. Begründung: Anleger zahlen für ihre Dax-Investition nur ein Viertel des Werts ein, den sie bewegen, der Rest muss finanziert werden. Zinssatz ist der Eonia, zu dem sich Banken in Europa untereinander über Nacht Geld leihen. Wer über Faktorzertifikate den LevDax mit vierfachem Hebel kauft, muss zu seinem Einsatz noch dreimal den Eonia-Zins drauflegen – aktuell 0,32 Prozent pro Jahr.

Wer auf sinkende Kurse setzt, bekommt dagegen etwas drauf – beim vierfach gehebelten Faktorzertifikat insgesamt fünfmal den Eonia-Zins. Hier gilt: Der Anleger gibt der Bank durch den Kaufpreis des Zertifikats schon einmal Geld und verkauft dazu virtuell viermal die im Dax enthaltenen Aktien. In jedem Fall zieht die Bank zusätzlich und automatisch Gebühren ab, bei Dax-Papieren rund ein Prozent pro Jahr.

Auf null fallen können die täglich neu berechneten Zertifikate kaum. Bei einem vierfachen Hebel müsste der Dax dazu an einem Tag um 25 Prozent abstürzen. Einen solchen Verlust hat es in Deutschland noch nie gegeben. Und selbst wenn: Ab 12,5 Prozent Indexverlust wird die Tagesrechnung vorzeitig beendet und auf der dann erreichten niedrigen Basis neu gestartet. Unter dem Strich würde so an einem Katastrophentag die Hebelwirkung verringert.

Trotzdem können Anleger auch hier ihr Geld komplett verlieren: Rechtlich sind Faktorpapiere Inhaberschuldverschreibungen der ausgebenden Bank. Geht die pleite, verfallen sie wertlos – genauso wie Optionsscheine und Zertifikate.

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