Die Geschichte der Inflation Sie ist wieder da!

Die Große Inflation in den Jahren 1922/23 wurde zu dem wirtschaftlichen Urerlebnis der Deutschen, das bis heute unseren Umgang mit Geld prägt. Quelle: imago images

Um nichts machen sich die Deutschen so viele finanzielle Sorgen wie um die Geldentwertung. Warum? Und: Zu Recht? Ein Gastbeitrag.

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Georg von Wallwitz, 54, ist Mathematiker und Buchautor (zuletzt erschienen: „Die große Inflation. Als Deutschland wirklich pleite war.“) Zudem ist er Gründer der Eyb & Wallwitz Vermögensmanagement, einem der größten unabhängigen Assetmanager in Deutschland.

Um nichts machen sich die Deutschen so viele finanzielle Sorgen wie um die Geldentwertung. Das war nicht immer so, denn bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs führte die Brockhaus Enzyklopädie den Begriff Inflation nicht einmal als eigenes Stichwort.

Das änderte sich in den Jahren 1922/23 radikal, als Wirtschaft und Gesellschaft der Weimarer Republik in einer Weise abstürzten, von der sie sich nicht wieder vollständig erholten. Die Große Inflation wurde zu dem wirtschaftlichen Urerlebnis der Deutschen, das bis heute unseren Umgang mit Geld prägt.

Versailler Vertrag führt zur Zwickmühle

Den Grundstein für die Große Inflation legte die deutsche Regierung mit der Entscheidung, den Krieg lieber über Schulden als über Steuererhöhungen zu finanzieren – in der Hoffnung, nach einem Sieg den Franzosen und Russen die Rechnung präsentieren zu können. Es kam bekanntlich ganz anders und die Alliierten legten im Versailler Vertrag vielmehr fest, dass die Deutschen erhebliche Summen an das Ausland zu leisten hatten. Damit war die junge Republik im In- und Ausland gleichermaßen verschuldet. Woher sollte es das Geld nehmen?

Georg von Wallwitz, Fondsmanager, Mathematiker und Buchautor Quelle: PR

An den Sozialausgaben ließ sich nicht sparen, denn die Arbeiterschaft hatte im Krieg das größte Opfer gebracht und verlangte nun auskömmliche Renten für die nach Millionen zählenden Invaliden, Witwen und Waisen. Eine große Vermögensabgabe („Notopfer“) erwies sich als schwer umsetzbar, da die Finanzämter sich in einer Phase der Umstrukturierung befanden und viele Wohlhabende das allgemeine Chaos nutzen, um ihr Vermögen ins Ausland zu schaffen oder, wenn es nicht anders ging, kleinzurechnen. Die Regierung erwies sich als zu schwach, um die Ausgaben zurückzuschneiden oder die Einnahmen entscheidend zu steigern.

Hohe Schulden und unabwendbare Ausgaben standen einem unzureichenden Steueraufkommen gegenüber. Die Regierung sah keine andere Möglichkeit, als sich das nötige Geld zu drucken.

Gewinner und Verlierer der Hyperinflation

Damit waren einflussreiche Kreise zufrieden. Viele Sozialdemokraten in der Regierung sahen ungerührt zu, wie das Bürgertum seine Ersparnisse mit der Entwertung der Kriegsanleihen verlor, wenn sie nur genügend Geld zur Verfügung hatten, um Arbeitsplätze zu schaffen und Renten zu zahlen. 

Die meisten Großindustriellen konnten durch den inflationsbedingten Verfall des Wechselkurses der Mark konkurrenzlos günstig exportieren und auf diese Weise verlorengegangene Märkte im handstreichartig wieder zurückerobern. Deutschlands Außenpolitiker sahen in der Inflation ein probates Mittel, die wahre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Deutschlands zu verschleiern und auf diese Weise den Reparationszahlungen zu entrinnen. Inflation mochte ein Übel sein, aber nicht schlimmer als die Alternativen.

Die Reichsbank unter ihrem Präsidenten Rudolf Havenstein finanzierte die Ausgaben des Staates. Dieses Geld floss zum größten Teil in die Taschen der Konsumenten, die es immer schneller ausgaben. Es zu horten lohnte nicht: Während die Inflationsrate in schwindelerregende Höhen stieg, erhöhte die Reichsbank erst im Sommer 1922 den Diskontsatz auf jämmerliche sechs Prozent und zum Jahresende auf zehn Prozent. Havenstein, der bis 1918 für seine guten Ideen bei der Finanzierung des Krieges gefeiert worden war, zeigte sich offensichtlich unfähig, mit der Situation umzugehen, hielt aber starrsinnig an seinem Amt fest.

Das Vertrauen in den Staat und seine Institutionen ging endgültig verloren, als der Außenminister (und Erbe des Industriekonglomerats AEG) Walther Rathenau am 24. Juni 1922 von rechtsnationalen Studenten ermordet wurde. Niemand traute mehr einem Staat, der nicht einmal seine Minister schützen konnte. Aus der galoppierenden Inflation wurde eine Hyperinflation: Zwischen dem Tag des Attentats und dem Jahresende verlor die Mark gegenüber dem Dollar 93 Prozent.

Unterschiede und Parallelen zu früher

Unsere Verhältnisse heute sind ganz anders – Deutschland führt keine Kriege mehr und seiner Steuerbasis geht es gut – und dennoch geht das Gespenst der Inflation, des Kaufkraftverlusts durch steigende Preise, wieder um. Karl Marx, ein Experte für solche Gespenster, hat darauf hingewiesen, dass Geschichte sich wiederholt, zuerst als Tragödie, dann als Farce.

So dürfen wir mit Blick auf die gegenwärtige Situation durchaus besorgt sein, wenn viele Zentralbanken Geld ohne nennenswerte Umwege in die Staatskassen leiten, von wo aus es kaum in Investitionen, sondern in den Konsum fließt. Wenn der Konsens in der Gesellschaft so brüchig ist, dass es weder möglich ist, Ausgaben zu kürzen noch Steuern zu erhöhen und der Staat nur noch Gestaltungsspielraum hat, wenn er neue Schulden macht.

Wenn die Assetpreise derart ansteigen, dass ein Normalverdiener sich von seinem Gehalt keinen Wohnraum kaufen kann und nicht damit rechnen darf, jemals von den Zinsen seiner Ersparnisse leben zu können. Wenn angesichts des prekären Zustandes der Staatsfinanzen der Spielraum der Zentralbanken für Zinserhöhungen äußerst gering geworden ist.

Es gibt aber auch eine gute Nachricht: Anders als vor 100 Jahren wissen heute die Menschen, welche Konsequenzen eine Inflation hat. Nicht nur in Deutschland. Das 20. Jahrhundert war derart von Inflationen verseucht, dass es heute kaum mehr möglich ist, das Phänomen schönzureden.

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Inflation gilt heute nicht mehr als ein unabwendbares Schicksal, sondern als ein Politikversagen. Die ganze Welt starrt heute auf die Entwicklung der Kaufkraft und sie wird schnell Schuldige finden unter den Zentralbankern und Politikern. Das ist ein guter Grund für rechtzeitiges Gegensteuern, damit diesmal die Geschichte nicht als Farce endet.

Mehr zum Thema: Die Inflation einfach laufen lassen? Wohin das führen kann, zeigt der sogenannte Volcker-Schock von 1979/80, als die amerikanische Notenbank die Zinsen auf schließlich mehr als 20 Prozent drastisch anhob. WiWo History: Die EZB darf den Volcker-Schock nicht vergessen

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