Die Zahlenfrau
Aus den Buchstaben der Anzeigetafeln auf dem Börsen-Parkett geformt ist der Schriftzug

„Auf das Schlimmste gefasst sein, auf das Beste hoffen“

Start-up-Krise, vorsichtige Investoren, Stagnation: Ein Teufelskreis. Welche Risiken bestehen und womit Unternehmer es schaffen können, fit für die Zukunft zu sein. Eine Kolumne.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

News, die keine News sind: Die deutsche Start-up-Szene hat aktuell große Schwierigkeiten. Kryptocrash, steigende Inflation, Massenentlassungen bei (Fin-)Tech Start-ups, abgeschwächte Kaufkraft im E-Commerce und ein unbeständiger Aktienmarkt sind Faktoren für die aktuelle Start-up-Krise. Das Thema ist ein Dauerbrenner. Auch ich habe es mir nicht nehmen lassen, auf verschiedenen Kanälen meine Bedenken und Forderungen zu äußern. Als Gründerin eines schnell wachsenden Start-ups und nicht zuletzt als Betroffene der Flaute beschäftigt mich das Thema fast täglich aus den verschiedensten Perspektiven. Ich bin in ständigem Austausch mit anderen kleinen Start-ups, Venture Capitals (Risikokapitalgebern, kurz VCs), Private Equity (privates Beteiligungskapital) und Family Offices (Verwaltung von privaten Vermögen einer Eigentümerfamilie).

Während die Start-up-Szene laut ist, förmlich nach Hilfe schreit, verhält sich die Geldgeberseite eher verhalten. Ich möchte genau diesem Counterpart hier eine Bühne geben. Ich konnte Timo Fleig, Geschäftsführer und Mitglied im Investitionskomitee bei VR Ventures, für ein Interview gewinnen. VR Ventures ist einer der führenden deutschen Fonds im Fintech-Bereich, auch investiert in mein Unternehmen namens Banxware. Neben VR Ventures stand auch Krzysztof Bialkowski, Managing Partner bei TX Ventures, Rede und Antwort – TX Ventures ist der Investment-Arm der Schweizer Mediengruppe TX Group, der kürzlich seinen ersten Fonds in Höhe von 100 Millionen Franken aufgelegt hat. Ich bin dort im Investment Committee tätig und helfe, die Fintechs von morgen zu finden und zu unterstützen.

Was sagen also Venture Capitals zur ökomischen Lage? In welche Modelle wird in Zukunft investiert? Was sollten Start-ups beachten? Kommt es zu einer Korrektur? Ich habe meine Fragen geradeheraus gestellt und hoffe, dass nicht nur ich, sondern alle diejenigen, die Funding (Risikokapital) suchen oder in der Krise gründen wollen, hier etwas mitnehmen können.

Was wird 2023 anders als in den Vorjahren?

Timo Fleig, VR Ventures: Die Hoffnung ist natürlich, dass sich die makroökonomische Lage stabilisiert und nach der Corona-Pandemie und dem anhaltenden Ukraine-Krieg keine neuen Ereignisse eintreten, die zu einer weiteren Verschlechterung der gesamtwirtschaftlichen Situation führen. Da die Krisenherde – Ukraine-Krieg, Energiekrise, Lieferkettenprobleme, Inflation und gestiegene Zinsen – alle noch nicht beendet sind, wird 2023 weiterhin ein herausforderndes Jahr. Investoren werden das viele eingesammelte Kapital vorsichtiger als in den Vorjahren allokieren. Dies wird sich unter anderem in längeren Beteiligungsprozessen, weiter sinkenden Bewertungsniveaus und in einer größeren Anzahl an Insolvenzen widerspiegeln.

Lesen Sie auch: „Die Menschen verharren im permanenten Wartezustand, der das Land lähmt“

Situationen wie in 2021, dass innerhalb weniger Tage ein Term Sheet (Dokument zur Finanzierung) gelegt wurde, wird es in 2023 nicht mehr geben. VCs werden sich wieder mehr Zeit für eine angemessene Due Diligence (sorgfältige Prüfung eines Unternehmens) nehmen. Beide Seiten, Investor:innen und Gründer:innen werden sich wieder mehr Zeit nehmen, sich gegenseitig kennenzulernen – und das ist gut so! Die dramatisch gesunkenen Bewertungsniveaus bei börsennotierten Tech-Unternehmen werden auch bei Finanzierungsrunden im Jahr 2023 zu niedrigeren Bewertungen führen. Es wird somit auch häufiger zu Downrounds (Negativbewertung im Vergleich zur Vorbewertung) kommen, als dies in den Vorjahren der Fall war. Dies wird insbesondere bei reiferen Unternehmen der Fall sein.

Viele Start-ups haben im Jahr 2022 die Burn-Rate (Geschwindigkeit, mit der die finanziellen Mittel aufgebraucht werden) reduziert, um mit der bestehenden Finanzierung möglichst weit zu kommen oder haben mit den Bestandsgesellschaftern Brückenfinanzierungen durchgeführt. Viele dieser Start-ups müssen in 2023 weiteres Kapital aufnehmen. Investoren werden im Vergleich zu 2021 zurückhaltender investieren und nach strengeren Kriterien ihre Beteiligungsmöglichkeiten auswählen. Im Ergebnis werden weniger Unternehmen finanziert werden, was wiederum zu einer größeren Anzahl an Insolvenzen als in den Vorjahren führen wird.

Krzysztof Bialkowski, TX Ventures: Analog zu Warren Buffets Aussage „Erst wenn die Ebbe kommt, zeigt sich, wer nackt geschwommen ist“ glauben wir, dass 2023 zeigen wird, welche Fintechs tatsächlich einen Mehrwert für ihre Kunden schaffen und damit eine langfristige Daseinsberechtigung haben. Diejenigen Fintechs, die überleben, werden stärker aus der Krise hervorgehen und den Fintech-Sektor insgesamt krisenfester machen. Gleichzeitig gehe ich davon aus, dass Start-ups mit mehreren Einnahmequellen besser in der Lage sein werden, externe Schocks zu absorbieren als solche, die nur von einer Einnahmequelle abhängig sind.

Warum in der Tech-Branche Zehntausende Jobs wegfallen

Ist diese bevorstehende, herausfordernde Phase für Start-ups überstanden (einige mögen von einer Bereinigung sprechen), werden die daraus gestärkten Fintechs weiter die Branche revolutionieren. Daher vertreten wir bei TX Ventures die Meinung, dass 2023 ein idealer Zeitpunkt ist, um in potenzielle zukünftige Gewinner zu investieren.

Regulierung (insbesondere im Kryptobereich) und Konsolidierung werden 2023 im Mittelpunkt stehen. Die Regulierung wird strenger werden und eine solidere Grundlage für Krypto- und Tokenisierungsinitiativen schaffen. Die Bereinigung des Krypto-Raums wird von Vorteil sein und Chancen zwischen der alten und der neuen Welt eröffnen. Die Tokenisierung wird sich beschleunigen und zeigen, dass neue Anlageklassen einem breiteren Publikum angeboten werden können.

Start-ups, die im Jahr 2023 Schwierigkeiten bei der Kapitalbeschaffung haben, werden zu potenziellen M&A-Zielen, um die Position größerer Unternehmen zu stärken. Das wird zu einer Marktkonsolidierung führen.

Lesen Sie auch: Kein Bitcoin-Verbot: So reguliert die EU künftig Kryptowährungen

Daneben wird es interessant sein zu beobachten, wie sich CBDCs (Central Bank Digital Currency, Digitales Zentralbankgeld) entwickeln, wenn Länder ihre eigenen digitalen Währungen einführen, um mit den sich ändernden finanziellen Bedürfnissen der Verbraucher Schritt zu halten. Unternehmen werden nach Möglichkeiten suchen, Finanzdienstleistungen direkt in ihre eigenen Lösungen einzubinden und so ihre Einnahmen über Finanzdienstleistungen zu diversifizieren. Die Sorgen um den Klimawandel werden nicht verschwinden und ich bin überzeugt, dass Klima-Fintechs eine immer größere Rolle spielen werden.

Worauf legt ihr als Investoren besonders Wert?

Timo Fleig, VR Ventures: Unternehmen mit nachgewiesenem Product-Market-Fit, starken Unit Economics (Unit Economics beschreiben Einnahmen und Ausgaben eines Unternehmens in Bezug auf individuelle Einheiten. Diese Methode hilft, die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens zu prognostizieren) und erstklassigen Teams wird es nach wie vor gelingen, frisches Kapital aufzunehmen. Besonders überzeugen uns sparsame Gründer:innen, denen es in schwierigen Zeiten gelingt, durch kreative Ideen effizient Unternehmen aufzubauen und an Lösungen zu arbeiten, für die Kunden eine große Zahlungsbereitschaft haben.

Krzysztof Bialkowski, TX Ventures: Wir investieren primär in Menschen und nicht in Unternehmen. Ein erfahrenes und komplementäres Gründerteam ist ein – wenn nicht der wichtigste – entscheidender Faktor für den Erfolg eines Start-ups. Ein Start-up muss ein echtes Kundenproblem lösen, ein Produkt anbieten, das nachweislich auf eine Nachfrage trifft, einen großen Markt mit einer skalierbaren Lösung adressieren, ein funktionierendes Geschäftsmodell und eine intelligente und gut geölte Strategie zur Kundengewinnung haben.

Wir werden uns wie erwähnt mehr auf den B2B- als auf den B2C-Bereich konzentrieren und in Fintechs investieren, die auf eine enge Kundenbindung und Kundenzufriedenheit achten, die erste Umsätze vorweisen können, die eine hohe Kapitaleffizienz mitbringen und insgesamt überzeugende Unit Economics aufweisen. Im Jahr 2023 werden sich sogenannte Category Leaders herauskristallisieren, da Investitionen hauptsächlich an die Unternehmen gehen werden, die die oben genannten Eigenschaften aufweisen.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%