Die Zahlenfrau

Verdrängt die Coronakrise das Bargeld?

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Bezahlen in der Pandemie

Durch die Krise haben viele Deutsche erstmals getestet, wie es ist, kontaktlos mit der Karte oder mit einem Mobile Wallet wie Apple Pay zu zahlen. Damit ist die größte Hürde beim Einführen neuer Zahlungsarten überwunden worden, nämlich das Ausprobieren. Viele Verbraucher haben gesehen, wie einfach und schnell elektronisches Bezahlen funktionieren kann. Und wie wir vom Nutzungsverhalten in den sozialen Medien wissen, übertrumpft der Bequemlichkeitsfaktor gerne mal die ärgsten Datenschutzbedenken.

Konkrete Daten zum Zahlungsverhalten während der Pandemie liefert Skinner für Großbritannien: Zwischen dem 14. März und dem 14. April 2020 haben rund zwölf Prozent der erwachsenen Bevölkerung – also ungefähr sechs Millionen Menschen – zum ersten Mal die App ihrer Bank heruntergeladen. Gleichzeitig ist die Anzahl der Bargeldabhebungen im April um 60 Prozent gesunken.

Für Deutschland gab die Deutsche Kreditwirtschaft (DK) bekannt, dass der Anteil der kontaktlosen Bezahlvorgänge an allen Kartenzahlungen noch im Dezember bei 36 Prozent lag und im April auf 50 Prozent gestiegen ist – trotz eingeschränkter Shoppingmöglichkeiten, denn viele Geschäfte waren oder sind noch geschlossen.

Ein Leben ohne Bargeld – geht das?

Es ist völlig klar, dass die Verbreitung von mobilen und digitalen Zahlungsarten durch Corona beschleunigt wird und die Anzahl der Bargeld-Transaktionen schneller zurückgehen wird als gedacht. Gijs Boudewijn von der European Banking Federation schätzt, dass die Bargeldnutzung in den Niederlanden um fünf Prozent schneller sinken wird als ursprünglich prognostiziert. Teilweise wird der Verzicht auf Bargeld sogar politisch gefördert, wie etwa in Italien, wo die Regierung per Gesetz Bargeld-Einkäufe erschweren und Verbraucher mit einem Bonus belohnen möchte, wenn sie mit der Karte zahlen.

Aber wie realistisch ist es, dass sich unser Zahlungsverhalten durch die Corona-Krise langfristig verändert? Und was bedeutet das dann konkret? Bezahlen wir mit der Karte – was bei hohen Beträgen durch die PIN-Eingabe auch nicht hygienischer ist als Bargeld – oder mit „echten“ kontaktlosen Zahlungsarten wie Mobile Wallets (egal, ob diese technisch auf einer Karte basieren oder nicht)?

Zahlungsexperte Chris Gledhill bemerkt: „2000 Jahre Bargeld lassen sich nicht einfach vom Tisch wischen. Es gibt in Europa noch zu viele Menschen, die digital oder finanziell abgehängt sind und auch weiterhin Bargeld benutzen werden. Bevor wir hierfür keine Lösung gefunden haben, verhält es sich mit der bargeldlosen Gesellschaft wie mit dem papierlosen Büro: Am Horizont sichtbar, aber de facto unerreichbar.“

Klar, in der Theorie klingen rein digitale Zahlungsarten erst mal gut und einfach, aber wie bringen wir Menschen ans elektronische Bezahlen, die das Internet noch nie benutzt haben, um ihre Finanzen zu regeln? Die womöglich nicht mal auf eine stabile Internetverbindung oder ein modernes Smartphone zurückgreifen können? Hier müssen Wirtschaft und Politik noch viel mehr Aufklärung betreiben und Lösungswege aufzeigen, vor allem auch für ältere Menschen. Fest steht: In absehbarer Zeit werden wir uns nicht von unserem Bargeld verabschieden müssen.

Mehr zum Thema:
Laut Umfragen zahlen die Deutschen in der Coronakrise weniger bar. Vielerorts wird es einem ja auch nahegelegt – selbst an der Bäckertheke. Für einen Abgesang auf das Bargeld ist es aber zu früh – aus mehreren Gründen. Ein Gastbeitrag von Hans-Werner Sinn.

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