Die Zahlenfrau
Ein Schüler tippt in einer Schule auf einem iPad. Wie digital sind unsere Klassenzimmer? Quelle: dpa

Welche Note hat Deutschlands Schulsystem bei der Digitalisierung verdient, Frau Bär?

Das vergangene Schuljahr hat die Schwächen des Systems schonungslos offenbart – besonders bei der Digitalisierung. Kritik, Ideen und Versprechen gab es danach viele. Bloß: Wie sieht es jetzt aus?

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Das neue Schuljahr ist nun schon ein paar Wochen alt und in einigen Bundesländern sind nun auch schon die Herbstferien vorbei. Was haben wir uns nach dem vergangenen schwierigen und nervenzehrenden Schuljahr auf genau dieses neue Schuljahr gefreut, in dem alles anders werden würde, es neue Konzepte gäbe, in dem die Digitalisierung an den Schulen vorangeschritten wäre, so dass Schule nicht ausfallen, sondern – je nach Lage – digital oder hybrid stattfinden könne.

Die große Frage ist: Was ist im neuen Schuljahr anders? Was hat sich getan? Genau darüber konnte ich mit unserer Digitalministerin Dorothee Bär sprechen.

Im Dezember vergangenen Jahres hatte ich folgende Frage gestellt: Geld für digitale Bildung ist da, woran scheitert es? Aus verschiedenen Quellen hatte ich nämlich herausgefunden, dass Geld nicht das Problem unserer mangelnden Digitalisierung an deutschen Schulen ist, denn es gibt ja den „DigitalPakt Schule“. Mit diesem hatte der Bund den Ländern fünf Milliarden Euro Fördergelder zur Verfügung gestellt, um Digitalisierung an unseren Schulen voranzutreiben. Die Länder haben sogar nochmal 500 Millionen Euro dazugelegt. Und mit Corona gibt es nochmal 1,5 Milliarden dazu.

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von Tina Zeinlinger

Bis zur Jahresmitte dieses Jahres sind 852 Millionen Euro aus dem „Digitalpakt Schule“ abgeflossen. Die Mittelbindung – also bereits beantragte, aber noch nicht abgerufene Summen – liegt mit rund 1,4 Milliarden Euro bereits bei über einer Milliarde Euro. Für mich ein Zeichen: Es passiert etwas. Aber es gibt noch Luft nach oben, rund sechs Milliarden Euro Luft.

Status Quo an Deutschlands Schulen

Gerade heute las ich einen Gastbeitrag von Kenza Ait Si Abbou zum Thema. Sie beschreibt darin die Einschulung ihres sechsjährigen Sohnes: „…der Start in den „Ernst des Lebens“, er beginnt in Deutschland auch im Jahr 2021 noch immer analog. Auf einem […] vieler Zettel ging es um die Schulregeln, die ich unterschreiben musste: Handys und andere mobile Geräte sind auf dem Schulgelände nicht erlaubt.“

Achim Berg, Präsident des Verbands Bitkom, sagte Ende Juli dem ARD, dass er im konkreten Fall einer Schule miterlebt habe, wie kompliziert das Antragsverfahren sei. Mehr als 70 Seiten habe man ausfüllen müssen, denn um an die staatlichen Gelder zu kommen, mussten Schulen zumindest in der Anfangsphase erst einmal ein ausführliches „Pädagogisch-Technisches Einsatzkonzept“ formulieren.“

Natürlich gibt es Ausnahmen. So las ich etwa vor einer Woche in einem LinkedIn Post von Unternehmerin und Startup-Teens Mitgründerin Marie-Christine Ostermann von der „Freie Schule Anne-Sophie“, einer privaten Schule, deren Gebühren nach Einkommen gestaffelt werden, sodass mehr Schüler Zugang haben. Es werden außerdem Stipendien an einkommensschwache Familien vergeben. Das Besondere an dieser Schule, so schreibt sie: „Bereits seit 2017 sind alle Kinder mit Tablet oder Laptops ausgestattet. Mitschüler heißen Lernpartner, Lehrer sind Lernbegleiter. Die Räumlichkeiten erinnern an ein Start-up-Büro mit Rückzugsorten und Großraumbüros. Aber alles hat Struktur: jüngere lernen von älteren, Unterricht findet an „Inputtheken“ statt, vertieft wird alles alleine oder in Gruppen. Inhalte werden projektbezogen vermittelt, sodass vor allem auch Teamfähigkeit und Selbstorganisation gelehrt werden.“ Die Schule hat ein digitales Konzept. Und da könnte sich sicher das ein oder andere Bildungsinstitut eine Scheibe abschneiden.

Stimmen, Anregungen, Ideen gibt es viele. Gelder offenbar auch. Aber wie steht es denn nun tatsächlich mit der Digitalisierung an unseren Schulen? Dazu habe ich mit Dorothee Bär, MdB und Staatsministerin für Digitalisierung der Bundeskanzlerin, sprechen können und ihr ein paar Fragen, die mich brennend interessieren, stellen können.

Liebe Dorothee Bär, wenn Sie dem gesamtdeutschen Bildungssystem in puncto Digitalisierung eine Note geben müssten, welche wäre das, Stand heute?
Es gibt natürlich die ein oder andere Schule, die sich sehr bemüht und den Kindern ein vernünftiges Programm bietet. Aber teilweise sind die Qualitätsunterschiede innerhalb einer Schule ja schon enorm, es hängt auch sehr stark von den Lehrkräften ab. Klar ist – unser Bildungssystem braucht ein grundlegendes Update. Wir müssen die Ausbildung unserer Kinder und Jugendlichen völlig neu ausrichten – ihr „Werkzeugkasten“ muss Grundlagen der Programmierung genauso wie die Bedeutung und Funktion von Algorithmen sowie Datenkompetenz beinhalten. Unsere Jugend muss sich kritisch auseinandersetzen mit Themen wie Cybermobbing, aber eben auch Fake News, zudem müssen sie in der Schule Chancen und Risiken der Digitalisierung reflektieren, um diese in humanistischer und ethischer Dimension einordnen zu können.

Was sind die größten Herausforderungen?
Die größte Herausforderung ist, die Lebensrealität des 21. Jahrhunderts an unsere Schulen zu bringen. Wir müssen unseren Kindern und Jugendlichen das richtige Werkzeug der Zukunft an die Hand geben - dabei müssen wir uns bewusst machen, dass wir ihnen mit der Ausbildung Zugänge zu den Berufen eröffnen müssen, die es erst geben wird, wenn ihre Schulzeit schon beendet ist. Unseren Kindern und Jugendlichen müssen wir die Fähigkeit an die Hand geben, sich in dieser Welt zu orientieren – Grundzüge des Programmierens sind da nur ein Baustein. Wir müssen ihnen eine Wissensbasis vermitteln, mithilfe derer sie sich unbekannte Fachgebiete erschließen und erarbeiten können.

Wie viel Geld ist da, wie viel wurde schon genutzt?
Wir haben die Mittel des Bundes im „Digitalpakt Schule“ von 5 auf 6,5 Milliarden Euro erhöht. Der jüngste Bericht der Länder über den Mittelabfluss bis 30. Juni 2021 zeigt, dass das Geld aus dem „Digitalpakt Schule“ jetzt immer stärker in den Schulen ankommt und zum Aufbau einer digitalen Infrastruktur verwandt wird. Knapp 852 Millionen Euro sind bis zur Jahresmitte 2021 aus dem „Digitalpakt Schule“ abgeflossen. Die Mittelbindung – also bereits beantragte, aber noch nicht abgerufene Summen – liegt mit rund 1,4 Milliarden Euro bereits bei über einer Milliarde Euro. Zum Vergleich: Bei der Erhebung im Vorjahr, also zum Stichtag 30. Juni 2020 waren erst rund sechzehn Millionen Euro abgeflossen und 242 Millionen Euro gebunden. Und beispielsweise sind bereits 94 Prozent der Mittel für die Schüler-Endgeräte abgeflossen.

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Wo sehen Sie das schnellste Umsetzungspotenzial?
Wir brauchen im Bereich digitale Bildung jetzt sofort pragmatische Lösungen. Eltern und Schülerinnen und Schülern ist es egal, warum die Situation so ist, wie sie ist. Wir haben keine Zeit für Befindlichkeiten. Das betrifft den Bereich der Lernplattformen: Bis es funktioniert, muss es für den Übergang auch möglich sein, dass Schulen private Anbieter nutzen können. Beim Datenschutz benötigen Schulen rasch mehr Rechtssicherheit. Wir brauchen eine einheitliche Vorgehensweise der Datenschutzbeauftragten – sei es, dass die Datenschutzbeauftragten sich einigen oder man die Zuständigkeit für Schulen bei einem von ihnen konzentriert.

Wie können wir das Mindset der Eltern auf digital ummünzen?
Eltern müssen informiert und mit guten Konzepten überzeugt werden. Es gibt ja viele einleuchtende Argumente für eine stärkere Digitalisierung, zum Beispiel umfassendere und zeitgemäße Kommunikation mit der Kita; Lernplattformen, die es ermöglichen, Bildungsinhalte und -tempo an die individuellen Bedürfnisse anzupassen; die Möglichkeit, Unterrichts- und Lernzeit effektiver zu nutzen. Eltern kann man auch oft dadurch gewinnen, dass man sie einen Tag teilhaben lässt, sie in der Gruppe des Kindes hospitieren und sich das Arbeiten mit Computer oder Tablet einmal anschauen. Es gibt heutzutage schon tolle Mini-Roboter, die den Kindern spielerisch die Welt des Programmierens veranschaulichen. So kann man zusammen die Begeisterung für die digitalen Geräte zum Erlernen nutzen, begeistert manch Lernunwilligen vielleicht doch und vermittelt gleichzeitig, dass die digitalen Geräte nicht in erster Linie dem Anschauen von Serien, sondern der Wissensvermittlung, dem interaktiven Lernen und der Recherche dienen. Das Fazit für mich: Es passiert viel. Und mit etwas über einer Milliarde Euro an beantragten Mitteln ist in jedem Fall ein erster Ruck durch die deutschen Bildungsstätten gegangen. Aber ich bin dennoch skeptisch, ob die bisherigen Bemühungen ausreichen, denn das Gros der zur Verfügung stehenden Gelder ist nach wie vor nicht verwendet oder gar beantragt worden. Ich wünsche mir, dass mehr passiert und hoffe, dass ich mit diesen Einblicken dazu beitragen kann.

Mehr zum Thema: In der Schule lernen Kinder fürs Leben. Heißt es. Sie lernen lesen, schreiben und rechnen. Sie lernen Erdkunde, Geschichte und Politik. So weit, so gut. Das brauchen wir alle. Sie lernen aber nicht, eine Steuererklärung zu machen, einen Mietvertrag zu lesen oder wie sie Geld anlegen. Und vor allem erfahren sie viel zu wenig darüber, was es für Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt gibt. Denkt Schule hier nicht etwas einseitig?

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