Die Zahlenfrau
Fintechs wie Trade Republic werden aktuell höher bewertet als so manche traditionelle Bank. Quelle: Imago

Woher kommt der Fintech-Boom?

Der Fintech-Hype ist ausgebrochen: Als Gründerin von zwei Finanztechnologie-Firmen freue ich mich sehr über die großen Finanzierungsrunden im ersten Halbjahr. Aber: Warum fließt in unserer Branche plötzlich so viel Geld?

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Vielleicht haben Sie es mitbekommen: In den letzten Monaten hat Deutschland so manches „Einhorn“ hinzugewonnen, also Unternehmen, die mit mehr als einer Milliarde US-Dollar bewertet werden. 2020 waren vier der sechzehn deutschen „Unicorns“ Finanztechnologie-Unternehmen, nämlich N26, Mambu, Wefox und Deposit Solutions. In diesem Jahr neu auf die deutsche Einhorn-Wiese hinzugesellt haben sich Scalable Capital, Trade Republic und nun auch die Solarisbank.

Den hohen Firmenbewertungen gehen enorme Finanzierungsrunden voraus: Trade Republic etwa hat 900 Millionen US-Dollar eingesammelt und ist mit einer Bewertung von 5 Milliarden Dollar aktuell das wertvollste deutsche Start-up. Auch in anderen europäischen Ländern hat die Kasse ordentlich geklingelt, zum Beispiel beim Wiener Krypto-Fintech Bitpanda, das dank einer Finanzierungsrunde von 120 Millionen US-Dollar zum ersten Unicorn made in Austria aufstieg. Europas mit Abstand heißestes Eisen ist der Zahlungsabwickler Klarna, der sich im Juni über eine Finanzspritze von 640 Millionen Dollar freuen durfte (nachdem erst im März eine Milliarde Dollar geflossen waren), damit seine Unternehmensbewertung auf knapp 46 Milliarden Dollar hochschraubte und jetzt das weltweit am zweithöchsten bewertete Fintech ist.

Von außen betrachtet kann man sich fragen: Warum sind manche Fintech-Firmen nun höher bewertet als etablierte Banken?

Gemeinsam mit Marcus Mosen, der die deutsche Fintech-Industrie seit ihren Anfängen als Manager und später als Berater und Investor begleitet, habe ich dafür ein paar Gründe gesammelt:

1. Banken weiter ohne echte Strategie

Im Juni hat die Unternehmensberatung PwC eine Studie veröffentlicht, nach der die europäischen Banken in den nächsten zwei Jahren bis zu 40 % ihrer Filialen schließen müssten, um ihre Gewinneinbrüche zu kompensieren. Nach wie vor fehlt vielen klassischen Banken eine Strategie für die digitale Zukunft. In einer Analyse zitiert Marcus den Vortrag einer großen Wirtschaftsberatung, aus dem hervorgeht, dass nur 14 Prozent aller Bankkunden den Service ihrer Bank als wirklich innovativ empfinden – kein Wunder, dass ihr Marktanteil seit Jahren kontinuierlich sinkt und immer mehr Fintechs und Neobanken den Wettbewerb um den Endkunden gewinnen. Die hohen Fundings der letzten Monate tragen dieser Entwicklung eindrucksvoll Rechnung. Zwar haben Fintechs bisher noch geringere Gewinne und Marktanteile als die klassischen Banken, aber mit ihren Finanzierungsspritzen bepreisen die Investoren das enorme Wachstumspotential und die durch und durch digitalen Geschäftsmodelle unserer Branche.

2. Seit Corona zoomen auch die Investoren

Die meisten VC-Gelder für heimische Fintechs kommen nicht aus Deutschland und Europa, sondern aus Amerika oder Asien. Vor Corona wurden sensible Investorengespräche zwischen Gründer und Geldgeber persönlich vor Ort geführt, weswegen einer von beiden ins Flugzeug steigen musste.

Marcus: „Die Pandemie hat gezeigt, dass man auch sehr vertrauliche Gespräche oder Geschäftsabschlüsse über Teams oder Zoom machen kann, nicht nur im Kleinen, sondern auch im Großen. Zu Beginn der Pandemie ist das ganze VC- und M&A-Geschäft kurz eingebrochen, irgendwann ging es wieder los, und dann haben Venture Capital-Firmen ihre Deals auch über Video gemacht, das ist schon eine bemerkenswerte Entwicklung.“ Eine sehr erfreuliche Entwicklung, denn damit wird der Zugang zu VC-Kapital für Gründer aus aller Welt niedrigschwelliger.

3. Digitalen Anwendungen gehört die Zukunft

Dasselbe Phänomen trifft auch auf uns Endverbraucher zu: Vor Corona war das vertrauliche Gespräch mit dem Bankberater vielleicht noch ein Grund, eine Bankfiliale aufzusuchen. Inzwischen haben auch ältere, nicht tech-affine Generationen gemerkt: Die meisten Sachen lassen sich digital regeln. Marcus sagt: „Jetzt mit der Kenntnis von Corona können bei den Fintechs neue Strukturen, die sich an die neuen Marktgegebenheiten anpassen, sehr schnell hochgezogen werden.“ Wieder sind Fintechs hier im Vorteil gegenüber der klassischen Bank, die meist nicht über dieselbe Beweglichkeit und technischen Voraussetzungen verfügt, um sich rasch auf das geänderte Kundenverhalten einzustellen. Zumal Fintechs seit jeher Treiber der Digitalisierung sind und massiv auf künftige Schlüsseltechnologien wie Künstliche Intelligenz oder Blockchain setzen, was sie vor allem für eine jüngere Zielgruppe sehr attraktiv macht.



4. Deutsche Fintechs sind inzwischen etabliert

Für einige mögen die jüngsten Riesenfundings und die hohen Unternehmensbewertungen überraschend kommen. So überraschend ist das allerdings nicht, denn die Fintech-Szene in Deutschland ist im Vergleich zu anderen Ländern relativ alt, mit einem hohen Anteil weit entwickelter Player. Marcus: „Die Fintechs, die jetzt fünf oder sechs Jahre alt sind, haben inzwischen sehr viel Erfahrung und Kompetenzen aufgebaut. Da arbeiten auch nicht mehr nur Jungstars, die direkt von der Uni kommen, sondern echte Schwergewichte von Traditionsunternehmen.“ Zudem bauen viele Fintech-Gründer der ersten Stunde gerade neue Unternehmen auf, so wie ich nach Ratepay nun Banxware gegründet habe.

5. Europäische Champions müssen aufgebaut werden

Bei digitalen Finanzdienstleistungen befinden wir uns in einem Wettrennen mit den US-Tech-Konzernen, aber auch mit den Super-Apps aus Asien. Deswegen brauchen wir dringend große, europäische Fintech-Champions. Marcus: „Für manches Fintech, das jetzt eine Milliardenbewertung hat, ist das nächste wahrscheinliche Szenario der Börsengang. Für den Standort Deutschland wäre es gut, wenn auch mal neue Unternehmensstrukturen an die Börse kommen, und nicht nur Maschinen- oder Autobauer. Wir sehen, dass viele jüngere Leute ihr Geld gerne in Tech-Unternehmen investieren, mit denen sie täglich in Berührung kommen.“ Es wäre toll, wenn diese Unternehmen nicht nur Netflix oder Apple hießen und junge Anleger auch Aktien ihres Brokers oder ihrer digitalen Bank kaufen könnten. Und wenn die europäischen Fintechs in Europa an die Börse gehen würden und nicht in den USA.

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Wunsch für die Zukunft: Mehr europäisches Venture Capital und weniger Regulierung

Bei aller Euphorie: Damit alte und neue europäische Fintechs künftig eine starke Position im globalen Markt einnehmen können, muss laut Marcus Mosen noch an einigen Stellschrauben gedreht werden: „Um mehr europäische Schwergewichte zu erschaffen, muss die Politik die Leitplanken richtig stellen und diese Unternehmen fördern. Das sage ich insbesondere mit Blick auf die Bundestagswahl. Der Casus „Wirecard“ darf kein Grund dafür sein, die deutsche Fintech-Industrie kaputt zu regulieren. Abgesehen davon brauchen wir dringend mehr Venture Capital-Firmen in Europa, damit das Geld nicht immer nur von ausländischen Investoren kommt.“

Mehr zum Thema: Lesen Sie hier die letzte Kolumne von Miriam Wohlfahrt: Bisher liegt das Geld der Deutschen meistens brach und wird kaum investiert. Aber damit ist jetzt Schluss. Und das ist gut – oder etwa nicht?

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