
Von 1975 bis 1977 habe ich voller Stolz eine Banklehre in Köln absolviert. Dabei habe ich für meinen späteren Beruf als Value Investor dort mehr gelernt, als an der Universität im Studium samt Promotion. Die Ausbildung bei den deutschen Banken war fantastisch. Heute tut es mir in der Seele weh, wenn ich sehe, was aus unseren Banken geworden ist.
Werfen wir einen Blick weiter zurück: Die drei Großbanken, Deutsche Bank, Dresdner Bank und Commerzbank im Verbund mit den Sparkassen- und Genossenschaftsorganisationen haben wesentlichen Anteil am wirtschaftlichen Aufstieg der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Eigenkapital der Bevölkerung und der Industrie war zerstört. Mit umfangreichen Kreditfinanzierungen griffen sie jahrzehntelang Unternehmern unter die Arme. Nur so konnte nach und nach die Eigenkapitalbasis in Deutschland wieder aufgebaut werden. Darüber hinaus engagierten sich die Leiter der Banken in den Aufsichtsräten der Industrie. Ihr branchenübergreifendes Wissen und ihre Personalkontakte waren von großer Wichtigkeit.
Zur Person
Nach einer Industriekarriere ist Elsässer seit 1998 selbständiger Value Investor und gründete vor dreizehn Jahren den Value Fonds "ME Fonds - Special Values“ (www.aqualutum.de). Elsässer wuchs in London, Hongkong und Paris auf. Nach Banklehre und Wirtschaftsstudium in Köln arbeitete er in einer Wirtschaftsprüfungs-Sozietät, als Finanzdirektor bei Dow Chemical Deutschland, in Sydney für Benckiser und in Singapur für die Storck Gruppe. Darüber hinaus arbeitete er einige Jahre eng mit dem New Yorker Investor Guy Wyser-Pratte zusammen, mit dem er unter anderem 2001 gegen den Rüstungskonzern Rheinmetall zu Felde zog. Im Jahr 2012 gründete er mit dem Profifußballer Simon Rolfes das Sport-Management Unternehmen Rolfes & Elsässer - The Career Company.
Sie agierten nicht einfach als Financiers, sondern zugleich auch als Mentoren, Unternehmensberater und Headhunter in einem bei den Unternehmen im Mittelstand und Großindustrie.
Bankmanager wie Herman Josef Abs von der Deutschen Bank, Jürgen Ponto von der Dresdner Bank, „Paulchen“ Lichtenberg von der Commerzbank sind hier als tonangebende Persönlichkeiten der ersten Stunden zu erwähnen. Sie prägten eine ganze Generation nachfolgender Führungspersönlichkeiten in ihren Banken. Auf der regionalen Ebene operierten die Leiter der Großfilialen, den sogenannten Kopfstellen, mit weitgehender Autonomie. Sie konnten ihre genaue Kenntnis der persönlichen Verhältnisse der Unternehmerfamilien in das Bankgeschäft mit einfließen lassen. Chef der Dresdner Bank in Münster, Ulm oder Lübeck zu sein, war ein toller Job, eine autonome und hoch angesehene Position. Unter dem Gesichtspunkt täglicher Berufszufriedenheit war das sicher viel besser als in den Vorstand nach Frankfurt befördert zu werden.





Wertpapierprofis in fast jeder Filiale
Die Großbanken in Deutschland boten dem Kunden einen echten Service rund ums Geld und Kapital. Fast in jeder Filiale gab es einen Wertpapierberater beziehungsweise eine Wertpapierabteilung. Diese Leute waren wirkliche Profis und hatten langjährige Erfahrung in ihrem Metier. Sie durften ihre eigenen Ansichten über die verschiedenen Aktien vertreten.
Ich erinnere mich gut, wie wichtig meiner Großmutter als „lebenslänglicher“ Kundin der Deutschen Bank in Karlsruhe ihr Wertpapierberater war. Man saß regelmäßig, auch ganz spontan, in der Kassenhalle zusammen und stritt sich intensiv darüber, ob es zum Beispiel an der Zeit war, bei der Rheinelektra AG auszusteigen und ob man bei KSB-Pumpen einsteigen sollte. Ja, bundesweit wurde ein individueller Service auf hohem Fachniveau geboten. Und zwar ohne „Private Wealth“ Abteilungen oder Vermögensverwaltungsverträge. Man war Bankkunde mit Konten, gegebenenfalls Krediten und Aktiendepots, etc. Das genügte.
Und warum gibt es das heute nicht mehr? „Ja, das rechnet sich alles nicht mehr“, bekomme ich immer wieder zu hören. Doch das Argument hinkt. Denn wie sah es damals mit den Aktionären und dem Geschäft der Banken aus? Schauen Sie sich mal die alten Bilanzen an. Die Banken florierten, sie konnten das Filialnetz aufbauen, machten Jahr für Jahr Gewinne und zahlten den Aktionären regelmäßig Dividenden. Die Bankaktien waren eine gute Geldanlage. Das ist doch erstaunlich.
Wohlstandsgesellschaft war nie vermögender
Seitdem hat sich die Ausgangslage noch verbessert: Die Bevölkerungszahl in Deutschland ist dank permanenter Zuwanderung und Wiedervereinigung stark gestiegen. Es gibt also mehr Kunden als zuvor. Durch den Wohlstand ist die Bevölkerung so vermögend wie noch nie zuvor. Beim Thema Kapitalanlagen gibt es einen riesigen Beratungsbedarf.
Bei einer solch guten Ausgangslage muss man sich fragen: Was ist da eigentlich schief gelaufen?
Der Banker und die Weltfinanz
In den Neunziger Jahren nahm ein unsäglicher Trend seinen Anfang. Der Banker wurde geboren. Die Vorstände schielten nach New York und London. Sie wollten mit der Weltfinanzelite aufschließen. Besonders gefielen den Topmanagern die Bonus-Bezahlungssysteme. Die Gehalts-Geldgier nahm ihren Anfang. Banken waren mit der alten Rolle eines Dienstleisters für den braven Kunden nicht mehr zufrieden.





Der Bankangestellte mutierte zum Finanzmanager, der mehr aus dem „ Laden“ für sich heraus holen wollte. Die Chance, in kurzer Zeit als Top-Banker doch Multimillionär zu werden, war so verlockend, dass die Bankkultur samt Kundeninteressen über den Haufen geworfen wurde. Verheerend war der Schulterschluss von den Bank-Aufsichtsräten mit den Bankvorständen. Es war keiner da, der den fatalen Rollenwechsel untersagt hätte.
Das passierte natürlich nicht alles von heut auf morgen. Nach außen wird es bis heute anders verpackt und mit Hinweis auf die Zwänge der internationalen Finanzwelt begründet. Es ist nun aber mal so, dass die meisten Katastrophen und Fehlentwicklungen ganz simpel zu erklären sind. Der Kern des Übels liegt häufig in charakterlichen Defiziten oder Fehlentscheidungen einiger weniger, verantwortlicher Personen.
Auf einen Blick: Probleme bei der Deutschen Bank
Im Ranking der wertvollsten Banken der Welt (nach Marktkapitalisierung in Milliarden Euro) landet die Deutsche Bank mit 40 Milliarden Euro auf Rang 40.
Zum Vergleich: Die Industrial and Commercial Bank of China belegt mit 265 Milliarden Euro den ersten, Wells Fargo (USA) mit 259 Milliarden Euro den zweiten Platz.
Auswahl, gerundet; Stand: 11.05.2015; Quelle: Bloomberg
Die meisten für 2015 ausgegebenen Ziele haben Jürgen Fitschen und Anshu Jain nicht erreicht: Statt bei unter 65 Prozent liegt das Verhältnis von Kosten zu Erträgen bei 84 Prozent, statt einer Nachsteuerrendite von zwölf erzielte die Bank zuletzt drei Prozent, im Investmentbanking waren es fünf statt der avisierten 15 Prozent. Der Vorsteuergewinn im Privatkundengeschäft war 2014 weniger als halb so hoch wie geplant.
2,2 Milliarden Euro zahlte die Deutsche Bank wegen Manipulation von Libor und Euribor.
Co-Chef Fitschen steht derzeit in München wegen versuchten Prozessbetrugs vor Gericht.
Die Manipulation von Libor und Euribor setzt Co-Bankchef Jain unter Druck.
Und wozu hat das Ganze geführt? Wo stehen wir heute im Großbankensystem?
Aberwitzige Summen werden von Banken für Rechtsstreitigkeiten und Anwälte ausgegeben. Die Mitarbeiter sind verunsichert. Statt Kontinuität in der Geschäftsstrategie und Führung wird die Kundschaft mit ständigen Wechseln erschreckt. Die individuelle Beratung breiter Bevölkerungskreise mit einem Vermögen von bis zu Euro 100.000 Euro - sie ist dahin. Echte Wertpapierfachleute für Durchschnittskunden gibt es kaum noch. Das Börsen Know-how bei den Bankberatern nimmt ab. Aus treusorgenden Bankangestellten sind per „Order di Mufti“ Verkäufer von vorgegebenen Finanzprodukten geworden.
Aufgeblähte Bilanzen statt Kundengeschäft
Typische Anzeichen des aktuellen Szenarios in der Großbankenszene: Aufgeblähte Geschäftsvolumina, Bilanzen, die kein Aktionär mehr durchblicken kann, statt Kundengeschäft, riskante Eigengeschäfte im spekulativen Bereich. Aus einstigen Substanzriesen mit Immobilienbesitz im allerbesten Lagen sind kostenlastige Zentral-Organisationen mit überteuerten Büromieten geworden. Der Typ des überbezahlten Mitarbeiters mit wenig Loyalität dem Arbeitgeber gegenüber ist keine Seltenheit und symptomatisch für den Werteverfall.
Was heißt das nun für den Geldanleger? Als Value-Investor versuche ich vor einer Investitionsentscheidung immer zwei Fragen zu beantworten:
Wo liegen die Wurzeln der Branche, wie ist der Status Quo und wo geht die Reise in den nächsten zehn bis 15 Jahren wohl hin?
Hat die Branche überhaupt eine echte Existenzberechtigung? Liefert sie ein Produkt oder eine Dienstleistung, die wirklich gebraucht wird?
Und da mache ich mir bei den Aktien der Großbanken doch einige Sorgen. Der Verlust an Kundenorientierung wiegt schwer. Und auch die mangelnde Bereitschaft, die Organisations-Strukturen an die Bedürfnisse des Kern-Kundengeschäftes anzupassen, verheißt nichts Gutes.
Technologische Neuerungen bedrohen Großbanken
Weiterhin: Wenn ich an die Geschwindigkeit denke, mit der bahnbrechende technologische Neuerungen auf den Markt kommen, wird mir ganz schwarz vor Augen. Vieles steckt da noch in den Kinderschuhen, aber die Zeichen sind an der Wand zu erkennen. Hierzu nur einige Beispiele für die Bedrohung der Großbanken:
Stimmen zum Chefwechsel bei der Deutschen Bank
„Ihre Entscheidung, ihr Amt früher als geplant niederzulegen, zeigt auf eine beeindruckende Weise ihre Einstellung, die Interessen der Bank vor ihre eigenen zu stellen.“
„Die neue Spitze der Deutschen Bank steht weiter vor einer existenziellen Frage. Ein neuer Chef wird möglicherweise nicht ausreichen, um das strategische Dilemma zu beenden. Jains Nachfolger John Cryan, ein ehemaliger Investmentbanker aus dem Aufsichtsrat, kann zwar frischen Wind in die bevorstehenden Aufgaben bringen, aber wenig mehr. In vielerlei Hinsicht sind seine Hände gebunden.“
„Als Außenstehender ist John Cryan unbefleckt von den rechtlichen Problemen, die den Ergebnissen der Deutschen Bank und ihrem Ruf schaden. Anshu Jain musste sich der Frage stellen, ob jemand, der dem Investmentbanking so nahe steht, der Richtige sein kann, um mit den Vorwürfen aufzuräumen. Die meisten Anschuldigungen richten sich gegen das Investmentbanking, das Jain führte, bevor er Vorstandschef wurde.“
„John Cryans erste Aufgabe wird es sein, eine neue Strategie zu finden. Die Deutsche Bank braucht eine radikale Operation – wahrscheinlich eine Aufspaltung. Cryan hat sicherlich den Hintergrund und die Erfahrung für diese Herausforderung. Aber die Aktionäre werden nicht viel Geduld haben. Um ihr Vertrauen wieder herzustellen, muss Cryan schnell und richtig handeln.
„Endlich, ist man geneigt zu sagen, denn die alte Garde der Bank wirkte von Anfang an wenig geeignet für einen echten Neuanfang nach den Wirren der Finanzkrise. Besonders Jain steht für genau jene Kultur, die der Bank wegen dubioser Machenschaften ihrer Mitarbeiter rund um den Globus Bussen in Milliardenhöhe seitens der Aufsichtsbehörden eingebrockt hat und die letztlich das Ansehen der einst so stolzen 'Deutschen' – wie das Finanzinstitut in der angelsächsischen Welt, wo die Konkurrenz sitzt, genannt wird – ramponiert hat.“
„Der Aufsichtsrat zieht die Konsequenzen aus dem Abstimmungsdesaster auf der Hauptversammlung. Die Entscheidung für John Cryan kommt nicht überraschend.“
„Die finanziellen Kennzahlen und der Aktienkurs haben sich weit von den Zielen der Bank entfernt. Die Deutsche Bank hat nach Angaben der Behörden die Ermittlungen im Libor-Skandal behindert und auch der jüngste Geldwäscheskandal in Russland zeigt, dass der Kulturwandel nicht vorankommt." Es ist daher nur konsequent, dass es jetzt einen Wechsel an der Spitze gibt.“
„Wir begrüßen die Reaktion des Aufsichtsrats zeitnah zur Hauptversammlung. Um die großen Herausforderungen der Bank in den Griff zu bekommen, war ein wirklicher Neuanfang unausweichlich.“
„Der designierte neue Vorstandschef des Geldinstituts, John Cryan, verfügt über eine gute Reputation. Der Markt reagiert positiv. Zumindest teilweise können die Ziele der neuen Strategie 2020 nun eingepreist werden, was bisher wegen des mangelnden Vertrauens in das bisherige Führungsduo nicht der Fall gewesen ist.“
„Insgesamt rechnen wir damit, dass der Markt die Ankündigung zunächst zwar positiv aufnimmt, allerdings nur kurzfristig. Denn die zentralen Herausforderungen bei Deutschlands größter Bank sind struktureller Natur. Das grundlegende Problem ist die fehlende Basis zur Generierung höherer Renditen. Wegen der mangelnden Möglichkeiten für strategische Veränderungen bevorzugen wir weiter die Aktie der britischen Bank Barclays sowie die der Schweizer Banken Credit Suisse und UBS.“
„Die bisherigen Chefs sind zu stark mit den alten Problemen verbunden. Der neue Vorstand muss jetzt aufräumen, vor allem im Investmentbanking, wo das teilweise kriminelle Verhalten strukturell bedingt war.“
Mit dem Stühlerücken an der Konzernspitze ist es nicht getan. Der Nachfolger wird kaum anders agieren als die alten Chefs. Große Finanzkonzerne können wegen ihrer wirtschaftlichen Bedeutung die Politik erpressen, um am Ende auch mit Steuerzahlergeld gerettet zu werden. Wir brauchen eine Stärkung von Sparkassen und Volksbanken, und nicht von Großbanken.“
Börsengänge, also Eigenkapitalbeschaffung für Unternehmen, an den Banken vorbei via Internet und Cloud-Financing.
Statt Zweigstellen und Filialbetrieben fungiert das Smartphone als die Bankstelle der Zukunft.
Preis- und Zinstransparenz bis auf die Knochen durch Internetanbieter bei Hypothekendarlehen.
Börsentransaktionen online direkt zwischen Börsen und Geldanlegern, zu Minigebühren.
Kreditvermittlung direkt über digitale Abwicklungsplattformen.
Den Unterschied zwischen überholter Bankstruktur und modernem, sicheren Finanzgeschäft kann man gut erkennen, wenn man als Investor beispielsweise die Entwicklung derAktien von Deutscher Bank und der HSBC mit der der Mastercard-Organisation vergleicht:
Zu Anfang 2011 stand die Aktie der Deutschen Bank bei 39 Euro, heute bei 24 Euro.
Zu Anfang 2011 notiert HSBC in London bei 6,80 Pfund. Heute bei 5,20 Pfund.
Mastercard stand zu Anfang 2011 bei 23 Dollar und ist seitdem konstant auf beachtliche 98 Dollar gestiegen!
Gott sei Dank gibt es in der Welt der Finanzen immer noch einige eher kleinere Bankinstitute, die sich spezialisiert haben, über echtes Mitarbeiter-Know-how verfügen und dem Kunden einen echten Mehrwert offerieren. Leider sind diese Institute meist privat gehalten.
Geldanlage
Für mich als Investor steht fest: Bei Großbanken vermisse ich den „Value“. Am weiten Horizont sehe ich eine existenziell bedrohte Branche. Ich bin mir nicht sicher, ob es „Großbanken“, wie wir sie kennen, in zehn Jahren überhaupt noch geben wird.
Dr. Markus Elsässer ist Gründer und berät den ME Fonds- Special Values (WKN: 663307) und den Rohstoff-Aktienfonds ME Fonds Pergamon (WKN: 593117). Diese beiden Fonds könnten Positionen in Titeln halten, die in dieser Kolumne genannt sind.
Für den Fall, dass Leser dieser Kolumne Positionen eines genannten Titels in einem Umfang erwerben, der dazu geeignet ist, den Preis des Titels zu beeinflussen, könnte der Verfasser dieser Kolumne und / oder einer beziehungsweise beide die Fonds im Falle der Veräußerung des Titels aus deren Portfolio nach einem solchen Kursanstieg vom Erwerb des Titels durch die Leser der Kolumne profitieren. Auch im Falle eines Verkaufs in einem entsprechenden Umfang durch Leser der Kolumne könnte der Verfasser dieser Kolumne und / oder einer beziehungsweise beide Fonds von fallenden Kursen durch günstigere Einstiegskurse im Falle eines späteren Kursanstiegs profitieren.