Elsässers Auslese

Das heimliche Vermögen der Deutschen

Markus Elsässer Value Investor

Die Deutsche Nation hat sich grundlegend verändert. Sie ist reicher als vermutet. Wie soll man gesellschaftspolitisch und kulturell mit dem Volkswohlstand umgehen? Eine Kolumne.

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viel Geld Quelle: AP

In den Fernsehmedien und Tagesnachrichten steht die wachsende Zahl von Hartz IV Empfängern und Sozialhilfebedürftigen im Mittelpunkt des Interesses. Viel ist von den Millionen privat überschuldeter Haushalte die Rede. Doch der Eindruck täuscht. Tatsächlich sind sicherlich 80 Prozent der Deutschen Bevölkerung so vermögend wie noch nie zuvor. Dies betrifft nicht nur Großunternehmer und prominente Megareiche. Die Wohlstandswelle hat die gesamte Nation erfasst.

Diese Entwicklung wird durch stabile Trends und Faktoren gestützt. Jahrzehnte beständigen Schaffens innerhalb friedlicher Rahmenbedingungen - moderates Zinsniveau, Öffnung globaler Märkte und kontrollierte Inflation - haben zu einer wahren Explosion der Unternehmereinkünfte geführt. Viele erfolgreiche, mittelständische Geschäftsleute verdienen heute in einem Jahr mehr als sie früher Umsatz gemacht haben. Zum anderen ist das Gehaltsniveau vieler Fach- und Führungskräfte weit überdurchschnittlich gestiegen. Jahr für Jahr können Rücklagen und Ersparnisse gebildet werden.

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Des Weiteren erzielen Eigentümer erfolgreicher Firmen bei Unternehmensverkäufen Rekordpreise. Oft werden Transaktionen zum doppelten oder dreifachen Umsatz als Kaufpreis abgeschlossen. Die Bewertung von Großkonzernen an den Börsen hat sich in den letzten 20 Jahren vervielfacht. Gründerfamilien werden mit unerwarteten Vermögensgrößenordnung konfrontiert.

Zur Veranschaulichung: Ein winziger Anteil von nur 0,4 Prozent an der Firma Johnson & Johnson ist heute über eine Milliarde Euro wert. Analog sind die jährlichen Ausschüttungen an Mitglieder alter Industriedynastien gestiegen. Im Rahmen der Generationenfolge ist das Erben unter der „normalen“ Durchschnittsbevölkerung viel weiter verbreitet als angenommen. Wenn Sie in einer Behörde oder einem Großunternehmen arbeiten, dann können Sie davon ausgehen, dass mindestens jeder zehnte Kollege oder jede zehnte Kollegin Vermögen geerbt hat oder erben wird. Immer mehr Menschen haben zusätzlich zu ihrem Arbeitseinkommen Vermögenssubstanz oder Zusatzeinkünfte aus Erbschaften.

So gehen die Deutschen mit Geld um
Die Deutschen gelten als fleißige Sparer. Doch die Statistik sagt etwas anderes. 30 Prozent der Deutschen haben gar nichts auf der hohen Kante. 19 Prozent wollten sich nicht dazu äußern. Elf Prozent besitzen bis zu 2.500 Euro. Nur ein Prozent besitzt mehr als 500.000 Euro an Geldvermögen.Quelle: Das Buch „Wie wir Deutschen ticken“, erschienen im Edel Verlag und basiert auf repräsentativen Umfragen des Meinungsforschungsinstituts YouGov. Quelle: dpa
Die Einstellung der Deutschen zur Aktie ist bekanntlich eher skeptisch. 16 Prozent aller Männer und sieben Prozent aller Frauen besitzen Aktien. Zum Vergleich: In den USA legen 56 Prozent der Bevölkerung ihr Geld in Aktien an. Der Aktienbesitz ist auch von der Bildung und dem Einkommen abhängig: Wer mehr als 3.000 Euro im Monat verdient, hat eher Aktien (23 Prozent). Wer weniger als 3.000 Euro verdient kommt noch auf elf Prozent Aktien. Wer Abitur hat, besitzt auch öfter Aktien (18 Prozent) als ein Hauptschulabsolvent (sechs Prozent). Quelle: dpa
40 Prozent aller Deutschen besitzen kein nennenswertes Vermögen. Beliebtester Besitz ist mit 32 Prozent das Sparbuch, dahinter kommt mit 27 Prozent das Auto bzw. Möbel. 23 Prozent der Deutschen besitzen Immobilien und nur sechs Prozent verfügen über Gold. Quelle: dpa
Die Mehrheit der Deutschen scheint den Artikel aus dem Grundgesetz „Eigentum verpflichtet“ nicht zu mögen. 52 Prozent wünschen sich, dass ein Unternehmer mit seiner Firma tun kann, was er will. Beim geliebten Eigenheim ist dies noch deutlicher: 74 Prozent wollen, dass ein Grundstückseigentümer mit seinem Grundstück machen kann, was er will. Nur 33 Prozent äußerten sich für eine Zwangsvermietung einer leeren Immobilie durch den Staat. Quelle: dpa
Bei der Beziehung zum Geld sind die Deutschen innerlich gespalten. Die Moral und die Gier geben sich die Hand – wohl ohne, dass es die Befragten merkten. So sagten 75 Prozent der Deutschen: „Bei uns werden Menschen zu sehr über ihren Besitz definiert.“ Besitz wird also überbewertet. An anderer Stelle sagten jedoch 77 Prozent: „Es ist mir wichtig, einen gewissen Wohlstand zu haben.“ Sprich: Wenn die anderen Geld lieben, ist das schlecht. Wenn ich selbst Geld habe, dann ist es kein Problem. Quelle: dpa
Geld macht nicht glücklich, so lautet eine abgedroschene Lebensweisheit. Die Mehrheit der Deutschen schließt sich ihr an. „Nur“ 36 Prozent sagten, dass sie glücklicher wären, wenn sie mehr Geld hätten. Quelle: dpa
Beim Thema Geld sind die Deutschen sehr misstrauisch. Oder selbstbewusst. Oder beides. Jedenfalls gaben 76 Prozent an, dass sie sich bei finanziellen Entscheidungen auf ihr eigenes Wissen verlassen. Auf Platz zwei landen Freunde und Verwandte mit 28 Prozent, dicht gefolgt vom Bankberater mit 23 Prozent. Nur zehn Prozent vertrauen einem unabhängigen Finanzberater und neun Prozent den Finanztipps in der Presse. Quelle: gms

In unserer Gesellschaft ist dies ein wohlgehütetes Geheimnis. Man spricht nicht darüber. Die Angst vor Neid oder Aussonderung sitzt tief. Allein aus meinem Umfeld kann ich mit zahllosen Beispielen von Menschen aufwarten, die sich in ihrer „Not des Erbens“ an mich vertrauensvoll wenden. Ein einfacher Musiker, der täglich mit dem Fahrrad zur Probe fährt und nachmittags zu Hause Musikunterricht gibt, hat zwei Häuser im Wert von 500.000 Euro von seiner Tante geerbt. Auf meinen Vorschlag, er möge doch erst einmal die Hypothek auf seinem Einfamilienhaus ablösen, erwidert er, dass habe er längst schon getan, als seine andere Tante vor Jahren gestorben sei.

Ein anderes Beispiel: Auf der Suche nach einer Industriehalle bekomme ich den Tipp, dass eine bestimmte Immobilie zwei Schwestern gehört, deren Vater selbständiger Handwerker gewesen ist. Ich rufe daraufhin die eine Schwester auf ihrer Bürotelefonnummer an. Es stellt sich heraus, sie ist Sachbearbeiterin beim Einwohnermeldeamt. Als ich sie auf ihre Industrieimmobile anspreche, zuckt sie am Telefon zusammen und flüstert in den Telefonhörer: „Um Gottes willen, woher wissen sie das?“. In einem anderen Fall wundern sich die Nachbarn, wieso der Gymnasiallehrer einen gehobenen Lebensstandard führen kann. Nun seine Ehefrau ist Hausfrau, kümmert sich um die Familie, gehört aber in vierter Generation zu einem deutschen Rüstungsclan. Sie bezieht im Jahr etwa 800.000 Euro Jahreseinkünfte aus der Firma ihrer Vorfahren. Der Clan umfasst heute etwa 380 Mitglieder.

So hoch ist das Gehaltsniveau in Deutschland

Die meisten sind an ihren Nachnamen durch Verheiratung nicht zu erkennen. Allen ist eines gemeinsam: Bloß nicht auffallen, damit ja kein Mensch erfährt, dass man privilegiert geboren und zudem Nutznießer von ethisch problematischen Geschäften ist. Diese Thematik, eines vom Schicksal sozusagen auferlegten „Zwangsvermögens“, ist ein ganz besonderes Problem für Mitglieder von Gewerkschaften, von politischen Parteien wie der Grünen, Linken und Sozialdemokraten, Mitarbeitern von Umweltorganisationen und anderen Non-Profit Organisationen.

Die Wahrheit hinter verschlossenen Türen lautet: Wir haben es in Deutschland mit einer Nation zu tun, die in Richtung erheblicher privater Reserven tendiert, mit einer Art „Super-Schweiz“. Die Spaltung der Nation geht nicht entlang einer 50:50 Linie. Es dominiert unsichtbar ein Breitenreichtum, dem eine Minderheit wirtschaftlich Bedürftiger gegenübersteht. Ob dies nun als politisch korrekt empfunden wird oder nicht, gesellschaftspolitisch sollte man die Augen nicht davor verschließen.

Kulturell sind die meisten Familien auf den Umgang mit Vermögenswerten nicht vorbereitet. Die besondere Herausforderung der nächsten Jahrzehnte ist die Übergabe der Vermögen an die nächste Generation. Hier sind die meisten Familien völlig überfordert. An den Schulen wird das Thema ausgeklammert. Im privaten Umfeld ist ein Gedankenaustausch mit Freunden kaum möglich. Ich stelle immer wieder fest, wie verloren und unsicher die vererbende Generation vor der Frage steht: „Wie und wann sage ich was meinem Kinde?“

In diesem Schlamassel wird viel Porzellan zertrümmert. Von der schwierigen Aufgabe, die Kinder auf das Erbe vorzubereiten, wird meine nächste Auslese handeln. Eines der spannendsten Themen unserer Zeit.

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