Rapper Jay-Z und Twitter-Mitgründer Jack Dorsey inszenieren sich gerade als Wohltäter der besonderen Art. Im New Yorker Bezirk Brooklyn wollen sie den Anwohnern ein Angebot unterbreiten, mit dem diese sich finanziell weiterbilden und ihren Weg in die finanzielle Unabhängigkeit ebnen können – dank Bitcoin. Doch der Zeitpunkt, zu dem die Bitcoin-Akademie der beiden Promis startet, könnte kaum schlechter sein.
Der Kryptomarkt rutscht gerade in die schlimmste Krise seit Jahren. In den vergangenen Tagen haben die Kurse von Bitcoin und Co. deutlich stärker an Wert eingebüßt als der Aktienmarkt. Der Bitcoin, die älteste und bekannteste Kryptowährung, stand am Mittwoch zeitweise bei nur knapp über 20.000 Dollar. Binnen einer Woche verlor er ein Drittel seines Werts. Seit Jahresbeginn, als die Aussicht auf höhere Zinsen Krypto-Anleger das erste Mal verschreckte, rauschte der Bitcoin-Kurs gar um mehr als die Hälfte des Werts ab. Andere Kryptowährungen fallen ähnlich steil oder steiler: Der Börsenwert des gesamten Kryptomarkts sank zuletzt deutlich unter die Marke von einer Billion Dollar.
Anleger fragen sich nun, ob Bitcoin und Co. nach dem herben Ausverkauf einen Boden gefunden haben – oder ob die Furcht vor weiteren Einbrüchen den Kursen weiter zusetzt.
Das Problem: Nicht nur die beginnende Zinswende, die die Notenbanken zur Bekämpfung der hohen Inflation einleiten und die spekulative Anlageklassen wie Kryptowährungen unattraktiver macht, sorgt für Angst. Der Kryptomarkt krankt an systematischen Problemen.
Krypto-Welt löst Versprechen nicht ein
In den vergangenen Tagen mehrten sich die Nachrichten über Schwierigkeiten bei Krypto-Anbietern. Eine US-Kryptofirma beginnt zu wanken und löst einen Dominoeffekt aus, unter dem auch Kunden deutscher Banken leiden. Kryptobörsen wie Binance verwehren Anlegern zwischenzeitlich den Zugang zu ihren Kryptowerten. Und nur wenige Wochen nach dem Crash des Stablecoins Terra beginnt nun der nächste wertstabile Token zu taumeln.
Schwierigkeiten bei einzelnen Anbietern potenzieren die ohnehin schon heftigen Ausverkäufe – und ramponieren das Vertrauen in den Markt. Denn die aktuelle Krise zeige, sagt Alexander Braun von der Technologieberatung Capco, dass die Kryptowelt ihre vollmundigen Versprechen nicht einlöst. Der Bitcoin wurde im Nachgang der Finanzkrise erfunden, als das Misstrauen in Banken besonders groß war. Mit ihm sollten Finanztransaktionen ohne Intermediäre möglich gemacht werden.
„Jetzt stellt sich bei vielen Kryptoprojekten heraus, dass sie das schlechteste aus der alten und der neuen Welt verbinden: Zentralisierung und hohe Risiken“, so Braun. Krypto-Anleger können keineswegs frei über ihr Vermögen verfügen. Und anders als Bankkunden, deren Vermögen gemäß der gesetzlichen Einlagensicherung in Höhe von bis zu 100.000 Euro geschützt ist, drohen Krypto-Anleger im Falle einer Anbieterinsolvenz leer auszugehen.
Das jüngste Beispiel für die Probleme des Kryptomarktes: Celsius Network. Nachdem schon am vergangenen Wochenende die Kurse der Digitalwährungen im Zuge der Veröffentlichung neuer US-Inflationsdaten nachgegeben hatten, pausierte der Kryptokreditplatz Celsius sämtliche Überweisungen und Abhebungen. Als Grund gab das Unternehmen die Marktturbulenzen an.
Probleme bei Binance und Nuri
Celsius gilt als eine Art Krypto-Sparkasse: Das Unternehmen vergibt mit Kryptowährungen besicherte Kredite und Sparprodukte. 1,7 Millionen Kunden hat das Unternehmen Eigenangaben zufolge. Die Kryptofirma verspricht Anlegern eine jährliche Rendite von bis zu 17 Prozent. Sie können dort Cyberdevisen wie Bitcoin oder Ether einzahlen und erhalten für die Verwahrung Zinsen (Staking). Noch immer verwehrt das Unternehmen, das 11,8 Milliarden Euro von Anlegern verwaltet, Nutzern den Zugriff auf ihre Bitcoin-Bestände.
Die Turbulenzen hatten auch unmittelbar Folgen für deutsche Anleger: Die Berliner Neobank Nuri verwehrt Kunden ebenfalls den Zugriff auf ihre Bitcoin-Bestände. Wer bei Nuri ein Bitcoin-Ertragskonto eröffnet hat, verleiht seine Coins über Nuri an Celsius, um Zinsen für seine Bitcoin-Bestände zu bekommen. Die Anlage soll mit drei Prozent verzinst werden – eine moderate Rendite, bei der Anleger offenbar weniger Risiken witterten.
Auch bei Binance, der weltgrößten Kryptobörse, kam es im Zuge des Ausverkaufs zu Problemen. Anfang der Woche konnten Anleger zwischenzeitlich keine Coins mehr abheben. Binance erklärte auf dem Kurznachrichtendienst Twitter, eine „steckengebliebene Transaktion, die einen Rückstau verursacht“ habe, sei dafür verantwortlich.
Der Abhebungsstopp dauerte drei Stunden. Wenn Anleger in turbulenten Marktphasen ihre Coins nicht abheben dürfen, schürt das Verunsicherung, meint Timo Emden vom gleichnamigen Analysehaus Emden Research. „Die Ansteckungsgefahr für weitere Unternehmen aus der Branche ist und bleibt zudem groß“, so Emden.
Krypto-ABC: Die wichtigsten Begriffe verständlich erklärt
Der Fokus am Kryptomarkt liegt klar auf dem Bitcoin. Unter Altcoins versteht man Kryptowährungen, die nach der ältesten Digitalwährung erfunden wurden und eine Alternative zum Bitcoin darstellen. Beispiele dafür sind Ethereum, Cardano oder Solana.
Der Bitcoin ist nicht nur die dem Volumen nach größte, sondern auch die älteste Kryptowährung der Welt. Schon im Oktober 2008 skizzierte Satoshi Nakamoto, das Pseudonym des Bitcoin-Erfinders, in einem Whitepaper mit dem Titel „A Peer-to-Peer Electronic Cash System“, wie so eine virtuelle Währung aussehen könnte. Kurz darauf, im Januar 2009, wurden die ersten Bitcoin geschürft. Weil Nakamoto unter einem Pseudonym agierte, ist bis heute unklar, wer genau den Bitcoin ins Leben gerufen hat.
Transaktionen von Kryptowährungen werden auf der Blockchain dokumentiert. Die Blockchain ist eine öffentliche, dezentrale Datenbank. Die Informationen werden nicht auf einem einzelnen Server, sondern auf vielen tausenden Rechnern gespeichert. „Chain“ kommt aus dem Englischen und bedeutet „Kette“.
Jede Transaktion wird in einem Block gespeichert und an eine Kette der bereits vorhandenen Datensätze angehängt. Deshalb wird die Blockchain auch digitales Kassenbuch genannt. Die gespeicherten Daten können im Nachgang nicht mehr oder nur mit Zustimmung des Netzwerkes geändert werden. So soll ein fälschungssicheres Protokoll entstehen.
Ether ist hinter dem Bitcoin die zweitgrößte Kryptowährung und basiert auf der Ethereum-Blockchain. Im Vergleich zur Bitcoin-Blockchain gilt diese als moderner und leistungsfähiger und soll in Kürze auf das energiesparendere Proof-of-Stake-Verfahren umgestellt werden. Auch Smart Contracts können über Ethereum gehandelt werden. Beliebt ist die Kryptowährung auch, weil NFTs (non fungible Token) oft auf Ethereum basieren und deshalb mit Ether bezahlt werden.
Mining ist das Erzeugen (Schürfen) neuer Coins. Bei diesem Prozess stellen Miner im Fall des Bitcoin die Rechenleistung ihrer Computer zur Verfügung, um komplexe mathematische Aufgaben zu lösen. So werden Transaktionen verifiziert und auf der Blockchain gespeichert. Die Miner werden fürs Bereitstellen der Rechenleistung mit neu generierten Bitcoin belohnt.
Bei einigen anderen Kryptowährungen basiert das Mining dagegen nicht auf Rechenleistung, sondern auf den Anteilen der Netzwerk-Teilnehmer an der jeweiligen Kryptowährung (siehe Proof of Stake). In diesem Fall wird das Mining deshalb auch oft als Staking bezeichnet. Auch dafür bekommen Teilnehmer eine Prämie, also quasi eine Art Verzinsung für ihren Anteil.
Minten bezeichnet das Erstellen eines NFTs (non fungible Token). Mit dem „Prägen“ des Bildes ist in diesem Fall das Hochladen in die Blockchain gemeint.
Die Abkürzung NFT steht für non-fungible Token, also nicht austauschbare Wertmarken. NFTs sind virtuelle Güter, die über die Blockchain gehandelt werden. Oft sind es etwa digitale Bilder oder Sammelkarten. Jeder NFT ist einzigartig. Wer einen kauft, wird in der Blockchain als Eigentümer registriert und kann so beispielsweise ein Echtheitszertifikat für ein virtuelles Bild oder ein digitales Kunstwerk vorweisen.
Mit dem Proof-of-Work-Verfahren werden neue Münzen einiger Kryptowährungen wie dem Bitcoin geschaffen. Dafür stellen die Miner die Rechenleistung des Systems zur Verfügung, um komplexe Aufgaben zu lösen. Wer es zuerst schafft, die Aufgabe zu lösen, darf den Block an die Blockchain anhängen und erhält eine Belohnung in Form digitaler Münzen. Der Proof-of-Work-Ansatz gilt als besonders energieintensiv.
Einige Blockchains basieren auf dem Proof of Stake-Verfahren. Anders als bei Proof of Work werden dabei fürs Mining keine umfangreiche Hardware und große Mengen an Rechenleistung benötigt. Proof of Stake gilt daher als wesentlich energieschonender.
Statt dessen dürfen diejenigen Transaktionen und neue Coins freigeben, die einen besonders hohen Anteil an einer Kryptowährung halten. Sie werden dann Validatoren genannt. Der Prozess beruht auf einem Konsensmechanismus. Je höher der Preis, desto höher die Anzahl der Coins, um am Prozess teilzunehmen.
Smart Contracts sind virtuelle Verträge, die über die Blockchain getauscht werden. Diese treten unter bestimmten zuvor festgelegten Bedingungen selbstständig in Kraft. Insbesondere Banken und andere Finanzinstitute sehen in Smart Contracts einen großen Nutzen. Sie könnten zum Beispiel beim Börsenhandel Intermediäre – also zwischengeschaltete Stellen wie Wertpapierbroker– überflüssig machen.
Die Wallet ist eine Art digitale Geldbörse für Kryptowährungen. Sie ermöglicht es Nutzern, Kryptoguthaben zu kaufen und zu verschicken. Es gibt mehrere Arten von Wallets. Die Hardware-Wallet ist quasi ein USB-Stick, auf dem das Kryptovermögen und die Zugänge eines Nutzers gespeichert sind. Eine Paper-Wallet wird auf Papier ausgedruckt.
Dafür wird ein QR-Code generiert, den man einscannen muss, um Transaktionen zu tätigen. Eine Software-Wallet kommt ohne externe Geräte oder Papierausdrucke aus. Hier werden die Daten in einem Computerprogramm gespeichert. Nutzer dürfen ihre Zugangsdaten nicht vergessen: Sonst bliebe ihnen der Zugriff auf ihr Kryptovermögen verwehrt.
Dieses Krypto-ABC entstammt dem großen Krypto-1x1 der WirtschaftsWoche: Das vollständige Dossier finden Sie hier zum Download
Der jüngste Krypto-Crash führte auch dazu, dass der Stablecoin USDD aus dem Tron-Netzwerk seine Bindung an den Dollar verlor. Um Wertschwankungen zu verhindern, hinterlegen die Initiatoren von Stablecoins diese mit anderen Vermögenswerten wie beispielsweise die US-Leitwährung oder Anleihen. Stablecoins sind so etwas wie die Wechselstube am Kryptomarkt: Mit ihnen können Anleger schnell Coins kaufen oder tauschen. Seit Montag liegt der Wert eines USDD unter einem Dollar. Zuletzt notierte er bei etwa 0,97 Dollar. Von einem Crash des Stablecoins kann man zwar noch nicht sprechen.
Krypto-Crashs: „Weitere Luftschlösser werden in nächster Zeit kollabieren“
Dennoch: Nach den jüngsten Ereignissen reagiert der Kryptomarkt besorgt, wenn ein Stablecoin seine Bindung an den Dollar verliert und damit sein Versprechen bricht. Erst im Mai kollabierte der Stablecoin TerraUSD des Terra-Netzwerkes – ein Hauptgrund für den immensen Wertverfall vor gut vier Wochen.
Zwischen TerraUSD und dem USDD-Coin gibt es eine entscheidende Gemeinsamkeit: Beide sind algorithmische Stablecoins. Für diese spezielle Form von Stablecoins werden keine Fiatwährungen hinterlegt, sondern Kryptowährungen. USDD, der nun um seine Dollar-Koppelung kämpft, wird mit Bitcoin, dem Stablecoin Terra und dem Tron-Token besichert. Als Reaktion auf die Verluste des Tron-Stablecoin wurden zusätzlich USDC-Coins, dem Stablecoin von Coinbase und dem Entwickler Circle, als Reserve hinterlegt. Ob das die Lage entspannt, bleibt offen.
Für Krypto-Fachmann Braun ist klar: Wegen der jüngsten Ereignisse wird der Markt vorerst in Aufruhr bleiben. Viele Krypto-Projekte müssten jetzt beweisen, dass sie auch in Stresssituationen standhaft bleiben. Gelingen wird das nicht immer, so Braun: „Weitere Luftschlösser werden in nächster Zeit kollabieren.“