Essay Die Parallelgesellschaft der Finanzelite

Quelle: imago images

Eine globale Finanzelite hat sich ihre eigene Parallelgesellschaft erschaffen. Die Bewohner dieser entgrenzten Welt sind höchstbezahlt, kosmopolitisch, gesellschaftlich entkoppelt und über die Maße privilegiert.

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Seit der Finanzkrise 2008 ist die Welt des Börsenhandels und des Investmentbankings in den Mittelpunkt öffentlicher Debatten und politischer Kontroversen gerückt. Die Aufmerksamkeit, die der bisweilen opaken Finanzwelt mitsamt ihrem Sonderwissen und ihren Statussymbolen seither zuteil wird, erscheint nicht verwunderlich, wenn man die ökonomischen und gesellschaftlichen Folgen bedenkt, die sich mit den Finanzmärkten heute verbinden.

Als Wirtschaftssektor betrachtet, sind die Finanzmärkte zu einem globalen Leitmarkt aufgestiegen, der den Branchen aus der „Realwirtschaft“ die Kennziffern und Konjunkturen vorgibt. Gesellschaftlich haben die Finanzmärkte eine massive Vertiefung sozialer Ungleichheit in praktisch allen OECD-Ländern hervorgebracht. Die hohen Profite im Finanzgeschäft ließen eine Klasse von Superreichen entstehen. Zudem bildete sich aus der international vernetzten Schar der Banker, Finanzmakler, Broker und Fondsmanager die neue Sozialkategorie der „working rich“ (Andrew Sayer), die zu den Hauptgewinnern des Aufstiegs des Finanzwesens zählt.

Die „Dienstklasse des Finanzmarktkapitalismus“ (Paul Windolf) begann seit den späten Achtzigerjahren, die Geschäftszentren der Weltstädte zu bevölkern. Finanzvermögen zu sammeln und zu vermehren, mutierte zum Metier einer neuen Berufsgruppe von Geldexperten. Ihr wirtschaftlicher Einfluss wurde ebenso zu einem Thema kritischer Erörterungen wie ihr gesellschaftlicher Status und ihre Berufsmoral. Wichtige Gründe hierfür waren von vorneherein der globale Bezugsrahmen der Financial Professionals und die transnationale Reichweite ihrer ökonomischen Aktivitäten. Beides sorgte für unterschiedliche Charakterisierungen. Wohlmeinenden Stimmen scheint der Ausgriff auf globale Märkte, Netzwerke und Informationen eine günstige Voraussetzung dafür zu sein, ein breites Spektrum kultureller Strömungen gleichermaßen in sich aufnehmen zu können, da globale Experten an keine Besonderheit einer bestimmten Kultur oder Gesellschaft mehr gebunden seien.

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Kritische Einschätzungen sehen in demselben Prozess die Abspaltung einer transnationalen Elite, die durch eine weitgehende Indifferenz gegenüber allen konkreten gesellschaftlichen Problemen gekennzeichnet sei und zunehmend eine Welt für sich bilden würde. Dies hatte etwa der große Liberale Ralf Dahrendorf vor Augen, als er bereits zur Jahrtausendwende den Aufstieg einer neuen „globalen Klasse“ heraufziehen sah: akademisch gebildete Hochverdiener aus der IT-Branche und der Finanzindustrie, die überwiegend in Großstädten leben, Englisch so gut wie ihre Muttersprache sprechen, weltweit mobil sind und sich kulturell zunehmend global orientieren. Welches Gewicht die rasch prosperierenden Professionals aus der Investmentbranche innerhalb kurzer Zeit erlangten, konnte Dahrendorf als Vorstandsmitglied einer Bank in der Londoner City übrigens noch aus eigener Anschauung studieren.

Seither wird die Frage, ob wir es (nicht nur) auf den Finanzmärkten mit einer globalen Wirtschaftselite zu tun haben, in der Managementforschung kontrovers diskutiert. Während US-amerikanische Untersuchungen schon in den Neunzigerjahren von einer World Class der wirtschaftlichen Spitzenkräfte sprachen, machten Studien aus Deutschland zuletzt mit der Schlagzeile auf, dass die Existenz einer globalen Wirtschaftselite eine „Legende“ sei. Allerdings wurden in solchen Studien zwischen der gewerblichen Wirtschaft und der Finanzbranche nicht unterschieden und das Ausmaß von Auslandsaufenthalten zum alleinigen Kriterium beruflicher Globalisierung erhoben. Beides ist nicht überzeugend. Die Finanzmärkte stellen aufgrund ihrer Operationsweise heute per se die globalsten Märkte dar. Um Risiken zu verringern und Renditen zu maximieren, diversifizieren Anleger ihr Portfolio und verteilen Investitionen auf möglichst unterschiedliche Sektoren. Dies erzeugt unzählige Verbindungen zwischen Märkten überall auf der Welt und zieht eine globale Orientierung des Finanzsektors im Ganzen nach sich, wie sie einmalig im heutigen Wirtschaftsleben ist.

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