Euro auf Tauchstation Gefährliche Verzweiflungstaten der Europäischen Zentralbank

Niedrigzinsen, Strafsteuern in Form von Negativzinsen und milliardenfacher Anlauf von Schrottanleihen ­ so will die Europäische Zentralbank die Deflation bekämpfen, obwohl die für die Konjunktur eigentlich unproblematisch wäre. Erster unmittelbar sichtbarer Effekt ist die Schwächung des Euro. Er geht gegenüber den anderen Inflationswährungen postwendend auf die von den Südeuropäern schon seit langem geforderte Talfahrt und wertete allein gegenüber dem Dollar im dritten Quartal um 8 Prozent ab. Die Deutsche Bank prophezeit jetzt gar schon die Euro-Dollar Parität.

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Mit welchen Maßnahmen Regierungen und Notenbanken Sparer attackieren können
Instrument: NiedrigzinsAusgestaltung: Notenbank kauft (über Banken, die günstig Geld bekommen) Staatsanleihen; Notenbank hält Leitzinsen untennegativ betroffen wären/sind: Konten, Anleihen, Lebensversicherung, Betriebsrenten, VersorgungswerkeEintrittswahrscheinlichkeit: läuft bereits; •••••wie gefährlich für das Vermögen?: Inflation frisst Zinsen; Sparen lohnt sich kaum; ••••∘Vorteil für Staaten: niedrige Zinslast auf eigene Schuldenhistorische Vorbilder: USA• = unwahrscheinlich/ sehr niedrige Einbußen; ••••• = so gut wie sicher/ sehr hohe Einbußen Quelle: dpa
Instrument: Inflation zulassenAusgestaltung: Notenbanken schöpfen weiter Geld; Bürger verlieren Vertrauen; Umlaufgeschwindigkeit des Geldes steigtnegativ betroffen wären/sind: Bargeld, Konten, Anleihen, LebensversicherungEintrittswahrscheinlichkeit: aktuell gering; langfristig wahrscheinlich; •••∘∘wie gefährlich für das Vermögen?: Hohe Inflation kann sämtliche Geldvermögen entwerten; •••••Vorteil für Staaten: Schulden werden nicht auf dem Papier, aber real drastisch verringerthistorische Vorbilder: Deutschland 1923; Frankreich 18. Jahrhundert; Zimbabwe 2009 Quelle: dpa
Instrument: NegativzinsAusgestaltung: Notenbank setzt negativen Leitzins fest; Banken legen negative Zinsen auf die Guthaben von Sparern um oder verteuern Gebühren/Kreditenegativ betroffen wären/sind: KontenEintrittswahrscheinlichkeit: ist bereits in der Diskussion; •••∘∘wie gefährlich für das Vermögen?: Erspartes leidet nominal durch Negativzinsen und real durch Inflation ••••∘Vorteil für Staaten: höheres Wachstum durch ausgeweitete Kreditvergabe erhoffthistorische Vorbilder: Schweiz 1964, 1970er; Schweden; Dänemark Quelle: dpa
Instrument: VermögensabgabeAusgestaltung: Staat schneidet sich von allen Vermögenswerten einmalig ein Stück abnegativ betroffen wären/sind: Konten, Aktien, Anleihen, ImmobilienEintrittswahrscheinlichkeit: wird diskutiert, aber starker Widerstand zu erwarten; ••∘∘∘wie gefährlich für das Vermögen?: je reicher desto härter; ••••∘Vorteil für Staaten: kann Schulden sofort drastisch senkenhistorische Vorbilder: Deutschland 1918/19, 1952 Quelle: dpa
Instrument: ZwangsanleiheAusgestaltung: Staat zwingt Bürger, einen Teil ihres Vermögens in Staatsanleihen zu packen; wird (teilweise) zurückgezahltnegativ betroffen wären/sind: Konten, Aktien, Anleihen, ImmobilienEintrittswahrscheinlichkeit: wird diskutiert, aber starker Widerstand zu erwarten; ••∘∘∘wie gefährlich für das Vermögen?: hängt von Rückzahlungen ab; •••∘∘Vorteil für Staaten: verschafft Spielraum bis zum Rückzahlungsdatumhistorische Vorbilder: Deutschland 1914, 1922/23 Quelle: dpa
Instrument: Neue SteuernAusgestaltung: Vermögensteuer, zum Beispiel ein Prozent auf steuerpflichtiges Vermögen (nach Abzug von Freibeträgen)negativ betroffen wären/sind: Vermögen generellEintrittswahrscheinlichkeit: politische Forderung; ••••∘wie gefährlich für das Vermögen?: für Vermögende; •••∘∘Vorteil für Staaten: weitere Einnahmenhistorische Vorbilder: Deutschland, wurde 1997 abgeschafft Quelle: dpa
Instrument: Neue SteuernAusgestaltung: Transaktionsteuer von 0,1 Prozent auf Aktien und Anleihen und 0,01 Prozent auf Derivate; fällig für jedes Geschäft negativ betroffen wären/sind: Aktien, Anleihen, Derivate; indirekt auch Fonds und LebensversicherungenEintrittswahrscheinlichkeit: politisch herrscht Konsens; •••••wie gefährlich für das Vermögen?: drückt auch Rendite von Fonds und Versicherungen; •••∘∘Vorteil für Staaten: weitere Einnahmenhistorische Vorbilder: Deutschland 1881–1991; Schweden 1985–1992 Quelle: dpa

Ein Chart zum Fürchten – zumindest dann, wenn man Notenbanker ist! „Wir mussten handeln, das ist unsere Pflicht“, befand EZB-Chef Mario Draghi, und leitete aus dieser – Preisanstiege tendenziell ohnehin verschleiernden Statistik – nicht etwa einen erfüllten Stabilitätsauftrag der EZB ab, sondern … Deflationsgefahren. Obwohl sinkende Preise, selbst nach einer Studie der Fed, für die Konjunkturentwicklung unproblematisch sind, muss dieses keynesianische Märchen von der „bösen“ Deflation jetzt als Rechtfertigung dafür dienen, dass die EZB ihren bisherigen geldpolitischen Experimenten eine neue Dimension verleihen wird.

Jährliche Inflation im Euroraum und in der Europäischen Union. (zum Vergrößern bitte anklicken)

Ohne die Wirkung seines Mitte September gestarteten TLTRO-„Deflationsbekämpfungsprogramms, das den Banken geschätzt 1.000 Milliarden Euro für vier Jahre verheißt, abzuwarten, reduzierte der oberste Dienstleister der Finanzminister Europas aber nicht nur den „Leitzins“ auf weltweit konkurrenzlose 0,05 Prozent, sondern offenbarte mit der Erhebung einer 0,2-Prozent-Strafsteuer (Negativzinsen) auf bei der EZB gehaltene Bankeinlagen den ganzen Irrsinn der gegenwärtigen „Geldpolitik“. Denn, obwohl Europas Banken aufgrund ihrer zu hohen Risikofreude bei der Vergabe von Krediten in eine bis heute andauernde Schieflage geraten sind, will jetzt ausgerechnet die erst jüngst auch noch mit Bankenaufsicht (!) beauftragte EZB die seit Jahren an ihrem Geld- und Dauerrettungstropf hängenden Zombie-Banken in feinster planwirtschaftlicher Manier dazu zwingen, … mehr Kreditrisiken zu wagen!

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Damit sich aber auch garantiert Erfolge einstellen, ist die EZB auch noch bereit, alles zu tun, um den brachliegenden europäischen Verbriefungsmarkt zu „stimulieren“. Abermals brachte die EZB eine „dicke Bertha“ in Stellung, versprach sie doch den Banken, ihre in intransparente Kreditverbriefungen verpackten beziehungsweise noch zu verpackenden (faulen) Kredite bereits ab Mitte Oktober gegen frisch gedrucktes Geld - bis zu 1.000 Milliarden Euro - abzukaufen. Unter dem Deckmantel der Geldpolitik wird die ihr Mandat immer flexibler interpretierende „Währungshüterin“ so die von den Banken eingegangenen Kreditrisiken auf die eigene Bilanz nehmen, um die entstehenden Verluste dann einfach sozialisieren zu können.

Währungsexperimente auf dem Weg zur Euro-Lira

Einen ersten unmittelbaren „Achtungserfolg“ konnte das Währungsexperiment der EZB auf ihrem Weg zur Euro-Lira jedenfalls schon erreichen, ging doch der „starke“ Euro gegenüber den anderen Inflationswährungen postwendend auf die von den Südeuropäern schon seit langem geforderte Talfahrt und wertete allein gegenüber dem Dollar im dritten Quartal um 8 Prozent ab.

Kumulierte Notenbank-Bilanzsumme. (zum Vergrößern bitte anklicken)

Während die US-Notenbank ihr 1.500 Milliarden Dollar schweres QE3-Gelddruckprogramm im Oktober auslaufen lassen will, wird die Bank of Japan hingegen ihrem Geldmengenverdopplungsziel folgend auch in diesem Jahr wieder im Gegenwert von rund 450 Milliarden Euro frisches Geld drucken. Da sich – quasi just in time – aber nun die EZB bereit erklärt hat, anstelle der Fed die „Versorgung“ der Welt mit kostenlosem Geld zu übernehmen, kann kein Zweifel daran bestehen, dass die als Antwort auf die Überschuldungskrise von den Notenbanken gestartete Liquiditätsschwemme weltweit ihre Fortsetzung erfährt.

Im Umfeld der geldpolitischen Verzweiflungstaten der EZB, geopolitischer Unsicherheiten und konjunktureller Enttäuschungen hat Gold im September, jedenfalls auf Dollar-Basis, seine gesamten Jahresgewinne wieder eingebüßt, während die Aktien- und Anleihemärkte im Blasenmodus verblieben. Immer zahlreicher drängen neue Unternehmen an die internationalen Börsenplätze und treffen dabei – trotz mehr als ambitionierter Bewertungen (Alibaba, Rocket Internet) – auf überbordendes Interesse, was Erinnerungen an die Endphase der Technologieblase des Jahres 2000 wach werden lässt.

Nach dem jüngsten Preisverfall des Goldes prognostizieren viele Marktauguren dem „einstigen sicheren Hafen“ Gold nun Kurse von 1.050 Dollar je Feinunze und tiefer, womit unter den Investoren Ängste geschürt werden, die die Blasen anbetenden Auguren allerdings selbst haben sollten. Schließlich zeigen sechs Jahre Dauerrettung des Finanzsystems, eine seit 2007 von 107.000 Milliarden Dollar auf nunmehr über 150.000 Milliarden Dollar (!) gestiegene weltweite Verschuldung, oder ein sich nicht herbeidrucken lassender wirtschaftlicher Aufschwung, dass die geldpolitischen Verzweiflungstaten der Notenbanken die Probleme nicht gelöst, sondern dem System lediglich nur Zeit gekauft haben.

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