Wie die SNB zur Begründung mitteilte, haben sich „die Unterschiede in der geldpolitischen Ausrichtung der bedeutenden Währungsräume in der letzten Zeit markant verstärkt und dürften sich noch weiter akzentuieren”. Der Euro habe vor diesem Hintergrund deutlich gegenüber dem Dollar abgewertet, wodurch sich auch der Franken zum Dollar abgeschwächt habe. „Vor diesem Hintergrund ist die Nationalbank zum Schluss gekommen, dass die Durchsetzung und die Aufrechterhaltung des Euro-Franken-Mindestkurses nicht mehr gerechtfertigt ist”, so die Schweizer Notenbank. SNB-Chef Thomas Jordan rechtfertigte die überraschende Aufgabe des Franken-Mindestkurses. Ein Festhalten an dem Kursziel hätte auf lange Sicht keinen Sinn ergeben. „Der Ausstieg musste überraschend erfolgen“, erklärte er.
Lutz Karpowitz, Devisenexperte der Commerzbank, sieht die Aufhebung der Wechselkursobergrenze jedoch eher im Zusammenhang zu der gestrigen Vorabentscheidung des Generalanwalts des Europäischen Gerichtshofs. Aus dieser war hervorgegangen, dass die Europäische Zentralbank zur Not auch unbegrenzt Staatsanleihen ankaufen darf. „Damit ist endgültig klar, dass die EZB machen kann, was sie will. Die Schweiz versucht sich so aus dem generellen Dilemma zu befreien, an die Geldpolitik der EZB gebunden zu sein“, sagte Karpowitz.
Ökonomen zu den Staatsanleihenkäufen der EZB
"Die EZB sollte keine Staatspapiere kaufen, denn dann würde sie die Zinsen der Wackelstaaten weiter drücken und sie anregen, sich noch mehr zu verschulden. Der Kauf wird von Artikel 123 des EU-Vertrages zu Recht verboten, weil er einer verbotenen Monetisierung der Staatsschulden gleichkommt. Man sollte auch bedenken, dass selbst die US-Notenbank Fed keine Staatspapiere von Gliedstaaten kauft. Kalifornien, Illinois oder Minnesota stehen am Rande der Pleite, und doch hilft die Fed ihnen nicht mit Krediten. Es ist schlichtweg unakzeptabel, dass die EZB meilenweit über die Fed hinausgeht, obwohl Europa den gemeinsamen Bundesstaat noch gar nicht gegründet hat. Die EZB-Politik treibt die Staaten Europas in Gläubiger-Schuldner-Verhältnisse und wird längerfristig nichts als Streit und Spannungen erzeugen."
"Die EZB verfehlt ihr Mandat der Preisstabilität und ist dabei, ihr wichtigstes Gut zu verlieren: ihre Glaubwürdigkeit. In letzter Instanz ist der Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB ein notwendiges Übel, um ihrem Mandat gerecht zu werden. Je zögerlicher die EZB handelt, desto weniger effektiv ihre Geldpolitik und desto höher die Risiken."
"Ich sehe derzeit keine Deflationsgefahren, die Staatsanleihekäufe rechtfertigen könnten. Ohne die notwendigen Anpassungsprozesse in den Peripherieländern und dem ökonomisch vorteilhaften Ölpreisrückgang läge die aktuelle Inflationsrate in etwa um einen Prozentpunkt höher, als es derzeit der Fall ist. Die Jagd nach Rendite und die Risikobereitschaft an den Finanzmärkten würden weiter erhöht, der Anreiz, fürs Alter langfristig zu sparen, würde weiter vermindert."
"Seit Anfang 2009 ist der Zuwachs der Geldmenge M3 mit durchschnittlich 1,7 Prozent weit hinter dem Referenzwert von 4,5 Prozent zurückgeblieben, den einst EZB und Bundesbank für sinnvoll hielten. Entsprechend schwächelt die Konjunktur, während der Preisauftrieb auch ohne Öl gefährlich nah an die Deflation herankommt. In dieser Lage muss die EZB mit einer Offenmarktpolitik gegenhalten, also mit dem Kauf von Anleihen auf dem offenen Markt, der auch Staatsanleihen umfassen sollte."
"Es ist nicht notwendig, nun auch noch mit breit angelegten Staatsanleihekäufen auf den Ölpreisverfall zu reagieren. Die EZB sollte nicht nur auf Deflationsrisiken schauen, sondern auch berücksichtigen, dass sie als Käufer von Staatsanleihen den Regierungen zusätzlichen Anreiz gäbe, notwendige Strukturreformen aufzuschieben."
In den vergangenen Wochen und Monaten hatte die eidgenössische Zentralbank immer wieder mit dem Euro zusammen abwerten müssen, um die ausgerufene Wechselkursobergrenze von 1,20 Franken einzuhalten. Immer neue Franken wurden auf den Markt geworfen, um dieses Ziel einzuhalten. Die Schweiz war der Geldpolitik der EZB vollkommen ausgeliefert.
Glaubwürdigkeit der SNB ist perdu
Mit der Aufhebung des Mindestkurses drosselt sie nun die Geldflut und sorgt damit für Irritationen. „Die Glaubwürdigkeit der SNB ist endgültig dahin“, sagt Karpowitz. „Gestern behauptete sie noch, die Franken-Euro-Kopplung sei das wichtigste geldpolitische Mittel. Heute soll das auf einmal alles nicht mehr gelten. Da fragt man sich doch, was man dann noch glauben soll.“
Wie sich EZB und Euro-Länder vor neuen Turbulenzen schützen
Um private Banken in Euro-Ländern vor vorübergehenden Liquiditätsengpässen zu schützen, hat die Europäische Zentralbank ein spezielles Kreditprogramm (ELA) aufgelegt. Damit können zum Beispiel griechische Banken bei der griechischen Notenbank Wertpapiere gegen Geld eintauschen, die nicht den üblichen Qualitätskriterien der EZB gerecht werden.
In Luxemburg hat im Herbst 2012 der Europäische Stabilitätsmechanismus, kurz ESM, seine Arbeit aufgenommen. Geschäftsführer ist Klaus Regling, ein früherer Generaldirektor in der EU-Kommission. Der Fonds kann bis zu 500 Milliarden Euro mobilisieren, um Euro-Länder bei Zahlungsschwierigkeiten mit Krediten und Bürgschaften zu unterstützen. Die Hilfen sind an ein wirtschaftspolitisches Reformprogramm geknüpft, das die Ursachen der Probleme bekämpfen soll.
Als Lehre aus der Krise soll Brüssel die Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten stärker überwachen. „Two-Pack“ und „Six-Pack“ heißen die neuen Mechanismen, die Euro-Gruppenchef Jeroen Dijsselbloem die Kontrolle erleichtern sollen. Leider nehmen die Länder die Empfehlungen nicht wirklich ernst.
Mit wenigen Worten hat EZB-Chef Mario Draghi die Märkte im Juli 2012 beruhigt. „Was immer nötig sei“, werde die EZB zur Rettung des Euro tun – ein Vollkaskoschutz für Investitionen in Euro-Staatsanleihen. Das entsprechende Programm (OMT) kam im September hinzu.
Nach einem Stresstest hat die Europäische Zentralbank im November 2014 die Aufsicht über rund 120 europäische Großbanken übernommen. Bei künftigen Bankpleiten sollen Steuerzahler nicht mehr in die Pflicht genommen wer- werden. Ob’s klappt?
Auch Helaba-Analyst Ulrich Wortberg sieht die Glaubwürdigkeit der SNB beschädigt, nachdem sie in den vergangenen Monaten stets die Wechselkurs-Untergrenze vehement verteidigt hatte. „Einen neuen Mindestkurs dürfte es wohl nicht mehr geben, da die Marktteilnehmer kein Vertrauen mehr haben, dass dieser langfristig gehalten wird. Der Euro-Franken wird nun den Marktkräften überlassen und es dürften sich Kurse im Bereich der Parität einstellen.
Ein weiterer Grund für den drastischen Schritt der Schweizer Notenbanker könnte auch die Debatte über eine sogenannte Goldinitiative sein. Den Schweizern wurde ein Volksentscheid vorgelegt, in dem sie darüber abstimmen sollten, ob die Zentralbank mindestens 20 Prozent aller Franken mit Gold decken muss. Obwohl der Volksentscheid scheiterte, zeigt es doch, wie sehr sich viele Schweizer um die Stabilität des Geldes sorgt - zumal absehbar ist, dass der Euro weiter unter Druck bleibt.
Chris Beauchamp, Marktanalyst bei IG Markets, glaubt, dass weitere Überraschungen folgen könnten. "Meine erste Reaktion war, dass das ein Signal für eine bevorstehende Aktion der EZB ist. Allerdings war die Reaktion an den Aktienmärkten dafür zu negativ. Aber es passiert ja nicht jeden Tag, dass eine Notenbank einfach einer Währung den Boden unter den Füßen wegzieht“, sagt er. Die Leute hätten eindeutig Angst, dass etwas Größeres bevorsteht.
Für den Schweizer Markt und die Wirtschaft seien der rasant steigende Franken und ein abstürzender Euro sehr schlecht. „Die Stimmung ist seit Jahresbeginn ziemlich unruhig, und so eine Nachricht sorgt für Volatilität."